Sensibilisierung, Vereinbarkeit und Quoten – der (fast) erfolglose Kampf für raschere politische Inklusion von Frauen

Was sind Grün­de dafür, dass die gleich­be­rech­tig­te Ver­tre­tung von Frau­en in poli­ti­schen Macht­po­si­tio­nen auch 50 Jah­re nach Ein­füh­rung des Frau­en­stimm- und ‑wahl­rechts noch immer nicht erreicht wur­de? Eine Ana­ly­se der par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­se zwi­schen 1971 und 2020 ermög­licht Erklärungen.

Zwi­schen 1971 und 2020 wur­den im Total 70 par­la­men­ta­ri­sche Vor­stös­se ein­ge­reicht, die eine ein­fa­che­re und rasche­re poli­ti­sche Inklu­si­on von Frau­en in poli­ti­sche Behör­den oder eine Sen­si­bi­li­sie­rung der Bevöl­ke­rung für Fra­gen pari­tä­ti­scher Reprä­sen­ta­ti­on forderten. 

Abbildung: Anzahl eingereichter Vorstösse pro Jahrzehnt, die eine einfachere und raschere Inklusion von Frauen forderten (Quelle: Bühlmann 2021)

Aus der Abbil­dung las­sen sich fünf Beob­ach­tun­gen ablei­ten, die die nur sehr schlep­pend umge­setz­te gleich­be­rech­tig­te Ver­tre­tung von Frau­en in Macht­po­si­tio­nen mit erklä­ren können.

  • Die Zahl an Vor­stös­sen, die Mass­nah­men für eine gleich­be­rech­tig­te Inklu­si­on von Frau­en in poli­ti­sche Macht­po­si­tio­nen for­dern, ist abso­lut gese­hen sehr gering. Die 70 ein­ge­reich­ten Vor­stös­se dürf­ten weni­ger als ein Pro­zent aller par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­se wäh­rend der letz­ten 50 Jah­re aus­ma­chen. Den­noch ist dies deut­lich mehr als in ande­ren The­men­be­rei­chen, in denen im Par­la­ment für mehr Gleich­stel­lung gekämpft wur­de, wie auch die ver­schie­de­nen the­ma­ti­schen Kapi­tel im Sam­mel­band “Dem Lauf­git­ter ent­kom­men” bele­gen.
  • Die Mehr­zahl der Vor­stös­se (54.3%) stammt von Par­la­men­ta­rie­rin­nen. Je 16 Vor­stös­se (21.3%) wur­den von Par­la­men­ta­ri­ern bzw. Kom­mis­sio­nen oder Frak­tio­nen ein­ge­reicht. Die kras­se Unter­ver­tre­tung der Frau­en im Par­la­ment dürf­te eine höhe­re Zahl an Vor­stös­sen also ver­hin­dert haben. Sich für die eige­ne Gleich­be­rech­ti­gung ein­zu­set­zen, wur­de erst mög­lich, nach­dem ers­te Posi­tio­nen im Macht­zen­trum besetzt wer­den konn­ten – also eben erst seit der Ein­füh­rung des Frau­en­stimm- und ‑wahl­rechts.
  • Vor­stös­se für eine gleich­be­rech­tig­te Ver­tre­tung in poli­ti­schen Gre­mi­en stam­men zu über 80 Pro­zent von Links-Grün. SP-Mit­glie­der ver­ant­wor­ten die Hälf­te aller par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­se zur För­de­rung einer geschlech­ter­ge­rech­te­ren Ver­tre­tung in poli­ti­schen Behör­den. Zwölf Vor­stös­se stam­men von den Grü­nen (17.1%). Links-Grün war zudem in der Regel feder­füh­rend bei eini­gen der zehn Kommissionsminderheitenanträge.
  • Die meis­ten der ein­ge­reich­ten Vor­stös­se für eine gleich­be­rech­tig­te Ver­tre­tung in poli­ti­schen Gre­mi­en waren erfolg­los. Ledig­lich 18 der 70 Vor­stös­se (25.7%) sties­sen in den eid­ge­nös­si­schen Räten auf Unter­stüt­zung. Die­ses Vier­tel muss aller­dings rela­ti­viert wer­den. Bei zehn erfolg­rei­chen Vor­stös­sen han­del­te es sich um Pos­tu­la­te. Aus­ser einem Bericht dürf­ten die Anlie­gen also nur wenig bewegt haben. Bezeich­nend scheint, dass von den 18 erfolg­rei­chen Vor­stös­sen acht von Män­nern (44.4 %), drei von Kan­to­nen (16.7 %), zwei von Kom­mis­sio­nen (11.1 %) und ledig­lich fünf von Frau­en (27.8 %) stamm­ten. Die Erfolg­lo­sig­keit lässt sich wohl auch durch die Her­kunft der Vor­stös­se aus dem rot-grü­nen Lager erklä­ren, die im Par­la­ment in der Regel auf eine bür­ger­li­che Pha­lanx und nur sel­ten auf die Unter­stüt­zung bür­ger­li­cher Abweichler:innen stiessen.
  • Vor­stös­se für eine gleich­be­rech­tig­te­re Ver­tre­tung in poli­ti­schen Behör­den fol­gen einer The­men­kon­junk­tur. In den 1970er Jah­ren fin­den sich acht Vor­stös­se mit einem Schwer­punkt auf Sen­si­bi­li­sie­rung. Es ging dabei ins­be­son­de­re dar­um, den Frau­en den Umgang mit ihrem neu erhal­te­nen Stimm­recht zu erleich­tern. Ein eigent­li­cher Ein­bruch kann in den 1980er Jah­ren fest­ge­stellt wer­den, als ledig­lich vier Vor­stös­se ein­ge­reicht wur­den, die sich auf die Ver­tre­tung von Frau­en in par­la­men­ta­ri­schen und extrapar­la­men­ta­ri­schen Kom­mis­sio­nen kon­zen­trie­ren. In den 1990er Jah­ren wur­den dann vor allem Quo­ten als Instru­ment gefor­dert, die aller­dings nicht nur im Par­la­ment, son­dern mit der mit einem Ja-Anteil von knapp zwan­zig Pro­zent deut­lich abge­lehn­ten Volks­in­itia­ti­ve «Für eine gerech­te Ver­tre­tung der Frau­en in den Bun­des­be­hör­den» auch in der Stimm­be­völ­ke­rung einen schwe­ren Stand hat­ten. Dies dürf­te (auch) ein Grund sein, wes­halb im dar­auf­fol­gen­den Jahr­zehnt vor allem wie­der auf Sen­si­bi­li­sie­rung gesetzt wur­de und die Ver­ein­bar­keit des Par­la­ments­man­dats mit Beruf und Fami­lie in den Fokus rückte.

Die Grün­de, wes­halb die For­de­rung nach einer gleich­be­rech­tig­ten Ver­tre­tung von Frau­en in poli­ti­schen Macht­po­si­tio­nen im Par­la­ment bis­her nicht auf offe­ne Ohren gestos­sen ist, lässt sich am Bei­spiel der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Quo­ten ver­deut­li­chen: Das links-grü­ne Lager möch­te die Ent­wick­lung der nur lang­sam zuneh­men­den Frau­en­an­tei­le mit­tels Quo­ten beschleu­ni­gen, wäh­rend sich für die bür­ger­li­che Mehr­heit gleich­be­rech­tig­te Reprä­sen­ta­ti­on ohne akti­ve För­de­rung ein­stel­len soll.

Frei­lich legen die Zunah­me der Frau­en­an­tei­le in den Behör­den, aber auch die Geschich­te der par­la­men­ta­ri­schen Bestre­bun­gen für eine gerech­te­re Ver­tre­tung von Frau­en in poli­ti­schen Ämtern nahe, dass die­se Ent­wick­lung in der Tat zwar sehr lang­sam, aber den­noch ste­tig zu sein scheint.

Als Bei­spiel sei hier­zu die wach­sen­de Anzahl an in letz­ter Zeit gar teil­wei­se erfolg­rei­chen For­de­run­gen für ein müt­ter- und fami­li­en­ge­rech­te­res Par­la­ments­man­dat genannt: War für Gabri­el­le Nan­chen (cvp, VS), eine der zehn ers­ten Natio­nal­rä­tin­nen, das Amt nur sehr schwer ver­ein­bar mit ihrem Fami­li­en­le­ben – in einem Inter­view führ­te sie aus, dass sie die Wahl eigent­lich nicht hat­te anneh­men wol­len, weil sie als Mut­ter klei­ner Kin­der zu Hau­se nicht abkömm­lich gewe­sen sei –, for­dern drei Stan­des­in­itia­ti­ven, denen aktu­ell Fol­ge gege­ben wur­de, dass Par­la­men­ta­rie­rin­nen, die Mut­ter gewor­den sind, ihr Amt aus­üben kön­nen sol­len, ohne finan­zi­el­le Ein­bus­sen zu erlei­den. Dass die­se For­de­run­gen im Jahr 2020 noch not­wen­dig sind, gibt frei­lich Anlass dazu, das Glas als noch immer halb leer zu sehen.


Refe­renz:

Bild: We can do it! J. Howard Mil­ler, 1943.

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