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Sensibilisierung, Vereinbarkeit und Quoten – der (fast) erfolglose Kampf für raschere politische Inklusion von Frauen

Marc Bühlmann
5th Januar 2022

Was sind Gründe dafür, dass die gleichberechtigte Vertretung von Frauen in politischen Machtpositionen auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts noch immer nicht erreicht wurde? Eine Analyse der parlamentarischen Vorstösse zwischen 1971 und 2020 ermöglicht Erklärungen.

Zwischen 1971 und 2020 wurden im Total 70 parlamentarische Vorstösse eingereicht, die eine einfachere und raschere politische Inklusion von Frauen in politische Behörden oder eine Sensibilisierung der Bevölkerung für Fragen paritätischer Repräsentation forderten. 

Abbildung: Anzahl eingereichter Vorstösse pro Jahrzehnt, die eine einfachere und raschere Inklusion von Frauen forderten (Quelle: Bühlmann 2021)

Aus der Abbildung lassen sich fünf Beobachtungen ableiten, die die nur sehr schleppend umgesetzte gleichberechtigte Vertretung von Frauen in Machtpositionen mit erklären können.

  • Die Zahl an Vorstössen, die Massnahmen für eine gleichberechtigte Inklusion von Frauen in politische Machtpositionen fordern, ist absolut gesehen sehr gering. Die 70 eingereichten Vorstösse dürften weniger als ein Prozent aller parlamentarischen Vorstösse während der letzten 50 Jahre ausmachen. Dennoch ist dies deutlich mehr als in anderen Themenbereichen, in denen im Parlament für mehr Gleichstellung gekämpft wurde, wie auch die verschiedenen thematischen Kapitel im Sammelband "Dem Laufgitter entkommen" belegen.
  • Die Mehrzahl der Vorstösse (54.3%) stammt von Parlamentarierinnen. Je 16 Vorstösse (21.3%) wurden von Parlamentariern bzw. Kommissionen oder Fraktionen eingereicht. Die krasse Untervertretung der Frauen im Parlament dürfte eine höhere Zahl an Vorstössen also verhindert haben. Sich für die eigene Gleichberechtigung einzusetzen, wurde erst möglich, nachdem erste Positionen im Machtzentrum besetzt werden konnten – also eben erst seit der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts.
  • Vorstösse für eine gleichberechtigte Vertretung in politischen Gremien stammen zu über 80 Prozent von Links-Grün. SP-Mitglieder verantworten die Hälfte aller parlamentarischen Vorstösse zur Förderung einer geschlechtergerechteren Vertretung in politischen Behörden. Zwölf Vorstösse stammen von den Grünen (17.1%). Links-Grün war zudem in der Regel federführend bei einigen der zehn Kommissionsminderheitenanträge.
  • Die meisten der eingereichten Vorstösse für eine gleichberechtigte Vertretung in politischen Gremien waren erfolglos. Lediglich 18 der 70 Vorstösse (25.7%) stiessen in den eidgenössischen Räten auf Unterstützung. Dieses Viertel muss allerdings relativiert werden. Bei zehn erfolgreichen Vorstössen handelte es sich um Postulate. Ausser einem Bericht dürften die Anliegen also nur wenig bewegt haben. Bezeichnend scheint, dass von den 18 erfolgreichen Vorstössen acht von Männern (44.4 %), drei von Kantonen (16.7 %), zwei von Kommissionen (11.1 %) und lediglich fünf von Frauen (27.8 %) stammten. Die Erfolglosigkeit lässt sich wohl auch durch die Herkunft der Vorstösse aus dem rot-grünen Lager erklären, die im Parlament in der Regel auf eine bürgerliche Phalanx und nur selten auf die Unterstützung bürgerlicher Abweichler:innen stiessen.
  • Vorstösse für eine gleichberechtigtere Vertretung in politischen Behörden folgen einer Themenkonjunktur. In den 1970er Jahren finden sich acht Vorstösse mit einem Schwerpunkt auf Sensibilisierung. Es ging dabei insbesondere darum, den Frauen den Umgang mit ihrem neu erhaltenen Stimmrecht zu erleichtern. Ein eigentlicher Einbruch kann in den 1980er Jahren festgestellt werden, als lediglich vier Vorstösse eingereicht wurden, die sich auf die Vertretung von Frauen in parlamentarischen und extraparlamentarischen Kommissionen konzentrieren. In den 1990er Jahren wurden dann vor allem Quoten als Instrument gefordert, die allerdings nicht nur im Parlament, sondern mit der mit einem Ja-Anteil von knapp zwanzig Prozent deutlich abgelehnten Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden» auch in der Stimmbevölkerung einen schweren Stand hatten. Dies dürfte (auch) ein Grund sein, weshalb im darauffolgenden Jahrzehnt vor allem wieder auf Sensibilisierung gesetzt wurde und die Vereinbarkeit des Parlamentsmandats mit Beruf und Familie in den Fokus rückte.

Die Gründe, weshalb die Forderung nach einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen in politischen Machtpositionen im Parlament bisher nicht auf offene Ohren gestossen ist, lässt sich am Beispiel der Auseinandersetzungen um Quoten verdeutlichen: Das links-grüne Lager möchte die Entwicklung der nur langsam zunehmenden Frauenanteile mittels Quoten beschleunigen, während sich für die bürgerliche Mehrheit gleichberechtigte Repräsentation ohne aktive Förderung einstellen soll.

Freilich legen die Zunahme der Frauenanteile in den Behörden, aber auch die Geschichte der parlamentarischen Bestrebungen für eine gerechtere Vertretung von Frauen in politischen Ämtern nahe, dass diese Entwicklung in der Tat zwar sehr langsam, aber dennoch stetig zu sein scheint.

Als Beispiel sei hierzu die wachsende Anzahl an in letzter Zeit gar teilweise erfolgreichen Forderungen für ein mütter- und familiengerechteres Parlamentsmandat genannt: War für Gabrielle Nanchen (cvp, VS), eine der zehn ersten Nationalrätinnen, das Amt nur sehr schwer vereinbar mit ihrem Familienleben – in einem Interview führte sie aus, dass sie die Wahl eigentlich nicht hatte annehmen wollen, weil sie als Mutter kleiner Kinder zu Hause nicht abkömmlich gewesen sei –, fordern drei Standesinitiativen, denen aktuell Folge gegeben wurde, dass Parlamentarierinnen, die Mutter geworden sind, ihr Amt ausüben können sollen, ohne finanzielle Einbussen zu erleiden. Dass diese Forderungen im Jahr 2020 noch notwendig sind, gibt freilich Anlass dazu, das Glas als noch immer halb leer zu sehen.


Referenz:

Bild: We can do it! J. Howard Miller, 1943.