Die Pionierinnen der Schweizer Politik – der lange und steinige Gang durch die Institutionen

Auf natio­na­ler Ebe­ne waren die Frau­en in den letz­ten 50 Jah­ren ein­mal ganz kurz in der Mehr­heit – im Bun­des­rat sas­sen 2010 vier Frau­en. Auf allen ande­ren Macht­po­si­tio­nen domi­nier­ten und domi­nie­ren noch immer Männer.

Die Geschich­te der Demo­kra­tie kann als Geschich­te der Aus­wei­tung der Betei­li­gungs­rech­te gele­sen wer­den. Die­se Rech­te wer­den aber nicht ein­fach ver­ge­ben, son­dern sie müs­sen gegen eine herr­schen­de Macht­eli­te erkämpft wer­den, die ihre Vor­herr­schaft zuerst durch Exklu­si­on ver­tei­digt und erst, wenn es nicht mehr anders geht, Zuge­ständ­nis­se für mehr Inklu­si­on macht. Aber auch wenn damit ein Recht für Teilnah­me erteilt wird, bedeu­tet das noch lan­ge nicht, dass auch der Zugang zu Ent­schei­dungs­macht geöff­net ist. Die effek­ti­ve Teilhabe an Poli­tik, die es erlaubt, eige­ne Inter­es­sen nicht nur anzu­mel­den, son­dern auch durch­zu­set­zen, benö­tigt näm­lich die Beset­zung von Posi­tio­nen in der Macht­eli­te selbst.

Die­se Erfah­rung muss­ten und müs­sen auch die Frau­en und die For­de­rung nach gen­der­gleich­be­rech­tig­ter Ver­tre­tung in der Poli­tik machen. Auch 50 Jah­re nach Ein­füh­rung des Frau­en­stimm- und ‑wahl­rechts kann nicht von tat­säch­li­cher poli­ti­scher Gleich­be­rech­ti­gung gespro­chen wer­den, wenn die Beset­zung der zen­tra­len Ämter der natio­na­len Legis­la­ti­ve, Exe­ku­ti­ve und Judi­ka­ti­ve betrach­tet werden.

Abbildung: Frauenanteile in der Legislative (National- und Ständerat), der Exekutive und der Judikative (Bundesgericht) 1971 bis 2020 (in Prozent)

Entwicklung in der Legislative

1971 wur­den von den 267 zu den eid­ge­nös­si­schen Wah­len ange­tre­te­nen Frau­en (dies ent­sprach rund 16 Pro­zent aller Kan­di­da­tu­ren) zehn gewählt. Sie erhiel­ten drei Nel­ken und eine Rose, Platz wur­de ihnen aber nur sehr lang­sam gemacht. Bis 2019 waren stets weni­ger als ein Drit­tel der Sit­ze in der Volks­kam­mer von Frau­en besetzt. Erst bei den Wah­len 2019 über­schritt die­ser Wert 40 Prozent.

Als schwer ein­nehm­ba­re Fes­tung erwies und erweist sich der Stän­de­rat. Die ers­te Kan­tons­ver­tre­te­rin – Lise Girar­din (fdp, GE) – wur­de zwar eben­falls 1971 gewählt, die klei­ne Kam­mer blieb aber zwi­schen 1975 und 1978 ein rei­nes Män­ner­gre­mi­um und erst 2003 stieg der Frau­en­an­teil in der klei­nen Kam­mer auf über 20 Pro­zent, mäan­dert seit­her aber auf tie­fem Niveau.

Dass die ers­te Natio­nal­rats­prä­si­den­tin – Eli­sa­beth Blun­schy-Stei­ner (cvp, SZ) bereits 1977 gewählt wur­de, wur­de als Aus­rut­scher betrach­tet. Die ers­te Stän­de­rats­prä­si­den­tin – Josi Mei­er (cvp, LU) – wur­de erst 1991 gekürt. Seit 1971 waren 39 Män­ner höchs­te Schwei­zer und ledig­lich 14 Frau­en (26.4%) beklei­de­ten das Amt der Natio­nal­rats­prä­si­den­tin. Im Stän­de­rat sas­sen in der glei­chen Zeit 48 Prä­si­den­ten und ledig­lich vier Prä­si­den­tin­nen (7.7%).

Entwicklungen in der Exekutive

Bis 1982 fan­den Frau­en in Ver­bin­dung mit dem Begriff «Bun­des­rat» höchs­tens als Gat­ti­nen Erwäh­nung, obwohl zwi­schen 1971 und 1984 – der Wahl von Eli­sa­beth Kopp (fdp, ZH) zur ers­ten Bun­des­rä­tin – elf Ersatz­wah­len (und vier Bestä­ti­gungs­wah­len) statt­fan­den. Nur bei den letz­ten bei­den Wah­len tra­ten Kan­di­da­tin­nen an: 1983 wur­de Lili­an Uch­ten­ha­gen (sp, ZH) die Wahl aber ver­wei­gert. Immer­hin bedeu­te­te die­ses unrühm­li­che Kapi­tel in der Geschich­te der Exe­ku­tiv­wah­len, dass fort­an kei­ne Bun­des­rats­er­satz­wahl mehr statt­fand, bei der nicht wenigs­tens eine Spreng­kan­di­da­tin Stim­men erhielt.

Aller­dings ver­gin­gen nach dem Rück­tritt von Eli­sa­beth Kopp 1989, zu dem sich die ers­te Magis­tra­tin nach einem eigent­li­chen media­len «Kes­sel­trei­ben» (NZZ) und dem Vor­wurf  der Amts­ge­heim­nis­ver­let­zung, der sich spä­ter als halt­los her­aus­stell­te, gezwun­gen sah, noch ein­mal vier Jah­re und fünf Ersatz­wah­len, bis Ruth Drei­fuss (sp, GE) zur zwei­ten Magis­tra­tin gewählt wur­de. Auch die­ser Wahl ging eine «Schlamm­schlacht» um die offi­zi­el­le Kan­di­da­tin Chris­tia­ne Brun­ner (sp, GE) vor­aus, wie dies Leni Robert (gfl, BE) bezeich­net. Nach­dem 2003 Chris­toph Blo­cher (svp, ZH) statt Ruth Metz­ler (cvp, AI) und Hans-Rudolf Merz (fdp, AR) statt Chris­ti­ne Beer­li (fdp, BE) gewählt wor­den war, ver­rin­ger­te sich der Frau­en­an­teil von kurz­zei­tig zwei wie­der auf einen Sieb­tel. Erst ab 2006 mit der Wahl von Doris Leu­thard (cvp, LU) sas­sen stets min­des­tens zwei Frau­en in der Regierung.

1998 wur­de Bun­des­rä­tin Ruth Drei­fuss als ers­te Frau tur­nus­ge­mäss ins Bun­des­prä­si­di­um gewählt, mit dem schlech­tes­ten Ergeb­nis seit 1971 nota­be­ne. Die­ses Bild wie­der­hol­te sich dann sie­ben wei­te­re Male: Miche­li­ne Cal­my-Rey (2007 und 2011), Doris Leu­thard (2010 und 2017), Eve­li­ne Wid­mer-Schlumpf (2012) und Simo­net­ta Som­ma­ru­ga (2015 und 2020) erhiel­ten im Schnitt 162 Stim­men. Auf die im glei­chen Zeit­raum gewähl­ten Bun­des­prä­si­den­ten ent­fie­len durch­schnitt­lich 183 Stimmen.

Zwi­schen 1971 und 2020 stan­den zudem zwei Frau­en der Bun­des­kanz­lei vor. «Ach­te Bun­des­rä­tin», wie das Amt ger­ne bezeich­net wird, waren von 1999 bis 2007 Anne­ma­rie Huber-Hotz (fdp) und von 2008 bis 2015 Cori­na Casa­no­va (cvp). Damit beträgt der Frau­en­an­teil in die­sem Amt ein Drittel. 

Entwicklungen in der Judikative

Mar­grith Big­ler-Eggen­ber­ger (sp) wur­de bereits 1972 als neben­amt­li­che und 1974 als voll­amt­li­che Bun­des­rich­te­rin gewählt – mit ver­gleichs­wei­se sehr gerin­gen 124 Stim­men und im Amt­li­chen Bul­le­tin mit fal­schem Namen beti­telt. Gan­ze 18 Jah­re spä­ter erhielt Big­ler-Eggen­ber­ger in Lau­sanne eine Kol­le­gin. Kath­rin Klett (sp) wur­de 1991 mit 135 von 222 mög­li­chen Stim­men zur zwei­ten Bun­des­rich­te­rin gewählt. Ende 2020 waren 15 der 38 Bun­des­ge­richts­sit­ze von Frau­en besetzt (39.5%).

Die ers­te Bun­des­ge­richts­prä­si­den­tin – Mar­tha Niquil­le (cvp) – wur­de 2020 gekürt. Sie erhielt 173 von 223 mög­li­chen Stim­men, weil sich die SVP gegen ihre Wahl stellte.

Diskussion

Zwar nimmt der Frau­en­an­teil auch auf den zen­tra­len Macht­po­si­tio­nen kon­ti­nu­ier­lich zu. Die For­de­rung nach einer adäqua­ten deskrip­ti­ven Abbil­dung der gesam­ten Bevöl­ke­rung in die­sen Macht­po­si­tio­nen ist aber nach wie vor nicht erfüllt. Auch 50 Jah­re nach der Ein­füh­rung des Frau­en­stimm- und ‑wahl­rechts sind Natio­nal­rä­tin­nen, Stän­de­rä­tin­nen, Bun­des­rä­tin­nen und Bun­des­rich­te­rin­nen in der Min­der­zahl. Zudem gab es noch nie eine Natio­nal­bank­prä­si­den­tin, noch nie eine SBB-Che­fin, noch nie eine Swiss­com-Che­fin, noch nie eine Fin­ma-Direk­to­rin oder noch nie eine Ver­wal­tungs­prä­si­den­tin der SUVA. Der Gang durch die Insti­tu­tio­nen braucht einen sehr lan­gen Atem.


Quel­le:
 
Foto: Eli­sa­beth Kopp als Gemein­de­prä­si­den­tin von Zumi­kon (1974 — 1980). Wiki­me­dia Commons.
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