Das Steuersystem steht oft nicht im Zentrum von gleichstellungspolitischen Bemühungen. Dabei setzt die Art und Weise, wie Familien besteuert werden, starke Anreize für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell. Davon zeugt auch die schweizerische Debatte im Bereich Familienbesteuerung der letzten 40 Jahre.
In unserem Beitrag nehmen wir zwei zentrale Elemente der Diskussion auf und zeichnen den Diskurs der letzten Jahrzehnte nach: einerseits die Abschaffung der sogenannten Heiratsstrafe, andererseits die Frage nach einer Änderung der gemeinsamen Besteuerung von Ehepartnern – etwa hin zur Individualbesteuerung.
Wie das Steuersystem steuert
Seit der Schaffung der direkten Bundessteuer in der Schweiz, die aus der früheren Wehrsteuer hervorging, gilt in der Schweiz ein Modell der Familienbesteuerung (ESTV 2021). Dabei werden die Einkommen von Ehepartnern addiert.
Um der aus der Progression resultierenden Benachteiligung von Ehepaaren entgegenzuwirken, profitieren diese zwar von einem reduzierten Verheiratetentarif (ESTV 2020). Insgesamt zahlen Ehepaare dadurch aber trotzdem in vielen Erwerbskonstellationen mehr Steuern als Konkubinatspaare, die einzeln besteuert werden.
Je gleicher die Einkommensanteile der Ehepartner am Einkommen sind, desto grösser ist diese sogenannte Heiratsstrafe. Finanziell am besten fahren in einem Familienbesteuerungsmodell folglich Einverdienendenehepaare, da es bei diesen zu keiner Addition weiterer Einkommen und somit nicht zu einem Anstieg der Progression kommt, gleichzeitig aber trotzdem der Verheiratetentarif zum Tragen kommt. Die aktuelle Familienbesteuerung begünstigt somit das traditionelle Familienmodell eines arbeitenden Vaters und einer sich um Haus und Familie kümmernden Mutter.
Aus einer gleichstellungspolitischen Sicht liesse sich die Problematik der unerwünschten Anreize durch das Steuersystem am besten lösen, indem ein Individualbesteuerungssystem eingeführt würde (siehe z.B. Roth und Schmidheiny 2016, aber auch Ecoplan 2019). Wie bei den Konkubinatspaaren würden entsprechend auch Ehepaare einzeln besteuert. Dies würde Zweitverdienende besserstellen als Modelle der Gemeinschaftsbesteuerung, da ihre Einkommen dadurch nicht zu einer höheren Progression besteuert würden.
Aus sozial- und gesellschaftspolitischer sowie aus finanzpolitischer Sicht ist eine solche Revision insofern problematisch, als Ehepaare, welche in vielen Bereichen bereits bessergestellt sind als Alleinstehende oder Konkubinatspaare, dadurch finanziell entlastet würden. Würden nicht gleichzeitig die Steuersätze für Verheiratete erhöht, hätte diese Umstellung einerseits einen höheren durch Alleinstehende und Konkubinatspaare geleisteten Anteil am Steuerbetrag und andererseits weniger Steuererträge insgesamt zur Folge.
Ein (nicht geführter) politischer Streit ums «richtige» Familienmodell
Der Reformbedarf der Ehegatten- und Familienbesteuerung in der Schweiz, insbesondere die Abschaffung der Heiratsstrafe sowie die steuerliche Entlastung von Familien ist seit langem relativ breit akzeptiert. Die Frage der konkreten Umsetzung scheiterte jedoch immer wieder an unterschiedlichen Vorstellungen darüber, welche Familien genau entlastet und welche Art von Ungleichbehandlung aufgehoben werden sollen.
Bis Ende 2020 war es vor dem Hintergrund dieser Uneinigkeit nicht gelungen, die durch die Progression entstehende Benachteiligung von Ehepaaren bei der Progression gegenüber Konkubinatspaaren – deren Beseitigung schon 1984 vom Bundesgericht verlangt worden war – vollständig zu eliminieren.
Erste Schritte dazu wurden mittels Erhöhung der Kinderabzüge (1987) und des Zweitverdienendenabzugs (2008) unternommen, welche administrativ einfacher zu bewerkstelligen sind als ein Systemwechsel. Gleichzeitig fehlte es an politischen Mehrheiten insbesondere für Massnahmen, welche eine egalitäre Rollenteilung fördern und die Zivilstandsabhängigkeit der Besteuerung beenden.
Der Blick auf die steuerpolitischen Diskussionen im Bereich der Ehegatten- und Familienbesteuerung macht auch klar, dass dieses Politikfeld bisher nur selten mit gleichstellungspolitischen Zielen verbunden wurde. Der Fokus der steuerpolitischen Bestrebungen lag – nicht zuletzt geprägt durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung – eher auf der Abschaffung der Heiratsstrafe und der steuerlichen Erleichterung von Familien im Allgemeinen. Zwar ist die Forderung nach einem Systemwechsel hin zur Individualbesteuerung ähnlich alt wie die Bestrebung, die genannten Benachteiligungen aufzuheben. Konkrete Schritte scheiterten jedoch auch hier an der Frage, welches Familienmodell gefördert werden soll.
Gerade die politische Linke befindet sich in einer schwierigen Situation: Einerseits befürwortet sie eine Individualbesteuerung als Instrument zur Gleichstellung der Frauen, andererseits fürchtet sie die Steuerausfälle und eine Benachteiligung von einkommensschwächeren Haushalten, da die Individualbesteuerung insbesondere Personen mit hohen Einkommen zugutekommen würde.
Am häufigsten brachte bisher die FDP das Thema der Individualbesteuerung ein, welche eine stärkere Einbindung der Frauen in die Arbeitswelt auch aus wirtschaftlicher Sicht befürwortete. Sie ist es denn auch, welche die aktuelle Volksinitiative für eine Individualbesteuerung lancierte – jedoch mit Unterstützung von linken Politikerinnen und Politikern.
Kein Systemwechsel in Sicht
Ein Systemwechsel von der gemeinsamen zur Individualbesteuerung stellt im Schweizer Kontext ein schwieriges Unterfangen dar. Zum einen liegen den aufgezeigten politischen Hürden strukturell tiefverankerte Zielkonflikte zu Grunde – etwa zwischen Ein- und Zweiverdienendenhaushalten oder zwischen Personen mit niedrigeren und höheren Einkommen. Die Wahl des Steuersystems entspricht damit auch einem Gegenüberstellen unterschiedlicher gleichstellungs-, familien- und gesellschaftspolitischer Ideale, welche nicht alle gleichzeitig verfolgt werden können.
Zum anderen werden diese politischen Widersprüche durch den institutionellen Kontext verstärkt. So gibt es neben dem nationalen Steuersystem 26 weitere kantonale Steuersysteme, die allesamt und möglichst gleichzeitig reformiert werden müssten – dies aus praktischen Gründen, aber auch, um die gleichstellungspolitischen Ziele eines Systemwechsels auch tatsächlich zu realisieren. Die föderalistische und direkt-demokratische Struktur, insbesondere das Ständemehr, gibt aber gerade den reformkritischen Kräften ein starkes Vetoinstrument in die Hand, um eine solch fundamentale Reform des Schweizer Steuersystems zu verhindern.
Quelle:
Stadelmann‐Steffen, Isabelle und Anja Heidelberger (2021). “Mit Steuern steuern – Gleichstellung und die steuerliche Begünstigung des präferierten Familienmodells.” In Dem Laufgitter entkommen. Frauenforderungen im Eidgenössischen Parlament seit 1950, eds. Marlène Gerber und Anja Heidelberger. Zürich/Genf: Seismo Verlag, 289–309.
Referenzen:
- Ecoplan. 2019. Auswirkungen Einer Individualbesteuerung Vergleich Verschiedener Steuersysteme in Der Schweiz. Im Auftrag Der Müller-Möhl Foundation. Bern. www.ecoplan.ch (March 26, 2021).
- ESTV. 2021. Ehepaar- und Familienbesteuerung. Online, zuletzt abgerufen am 29.11.2021. https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/die-estv/steuerpolitik/steuerpolitische-themen/ehepaar-familienbesteuerung.html
- Pfau-Effinger, B. (2000), Kultur und Frauenerwerbstätigkeit in Europa. Theorie und Empirie des internationalen Vergleichs, Leske und Budrich, Opladen.
Bild: Logo Individualbesteuerung