1

Die Pionierinnen der Schweizer Politik – der lange und steinige Gang durch die Institutionen

Marc Bühlmann
8th Dezember 2021

Auf nationaler Ebene waren die Frauen in den letzten 50 Jahren einmal ganz kurz in der Mehrheit – im Bundesrat sassen 2010 vier Frauen. Auf allen anderen Machtpositionen dominierten und dominieren noch immer Männer.

Die Geschichte der Demokratie kann als Geschichte der Ausweitung der Beteiligungsrechte gelesen werden. Diese Rechte werden aber nicht einfach vergeben, sondern sie müssen gegen eine herrschende Machtelite erkämpft werden, die ihre Vorherrschaft zuerst durch Exklusion verteidigt und erst, wenn es nicht mehr anders geht, Zugeständnisse für mehr Inklusion macht. Aber auch wenn damit ein Recht für Teilnahme erteilt wird, bedeutet das noch lange nicht, dass auch der Zugang zu Entscheidungsmacht geöffnet ist. Die effektive Teilhabe an Politik, die es erlaubt, eigene Interessen nicht nur anzumelden, sondern auch durchzusetzen, benötigt nämlich die Besetzung von Positionen in der Machtelite selbst.

Diese Erfahrung mussten und müssen auch die Frauen und die Forderung nach gendergleichberechtigter Vertretung in der Politik machen. Auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts kann nicht von tatsächlicher politischer Gleichberechtigung gesprochen werden, wenn die Besetzung der zentralen Ämter der nationalen Legislative, Exekutive und Judikative betrachtet werden.

Abbildung: Frauenanteile in der Legislative (National- und Ständerat), der Exekutive und der Judikative (Bundesgericht) 1971 bis 2020 (in Prozent)

Entwicklung in der Legislative

1971 wurden von den 267 zu den eidgenössischen Wahlen angetretenen Frauen (dies entsprach rund 16 Prozent aller Kandidaturen) zehn gewählt. Sie erhielten drei Nelken und eine Rose, Platz wurde ihnen aber nur sehr langsam gemacht. Bis 2019 waren stets weniger als ein Drittel der Sitze in der Volkskammer von Frauen besetzt. Erst bei den Wahlen 2019 überschritt dieser Wert 40 Prozent.

Als schwer einnehmbare Festung erwies und erweist sich der Ständerat. Die erste Kantonsvertreterin – Lise Girardin (fdp, GE) – wurde zwar ebenfalls 1971 gewählt, die kleine Kammer blieb aber zwischen 1975 und 1978 ein reines Männergremium und erst 2003 stieg der Frauenanteil in der kleinen Kammer auf über 20 Prozent, mäandert seither aber auf tiefem Niveau.

Dass die erste Nationalratspräsidentin – Elisabeth Blunschy-Steiner (cvp, SZ) bereits 1977 gewählt wurde, wurde als Ausrutscher betrachtet. Die erste Ständeratspräsidentin – Josi Meier (cvp, LU) – wurde erst 1991 gekürt. Seit 1971 waren 39 Männer höchste Schweizer und lediglich 14 Frauen (26.4%) bekleideten das Amt der Nationalratspräsidentin. Im Ständerat sassen in der gleichen Zeit 48 Präsidenten und lediglich vier Präsidentinnen (7.7%).

Entwicklungen in der Exekutive

Bis 1982 fanden Frauen in Verbindung mit dem Begriff «Bundesrat» höchstens als Gattinen Erwähnung, obwohl zwischen 1971 und 1984 – der Wahl von Elisabeth Kopp (fdp, ZH) zur ersten Bundesrätin – elf Ersatzwahlen (und vier Bestätigungswahlen) stattfanden. Nur bei den letzten beiden Wahlen traten Kandidatinnen an: 1983 wurde Lilian Uchtenhagen (sp, ZH) die Wahl aber verweigert. Immerhin bedeutete dieses unrühmliche Kapitel in der Geschichte der Exekutivwahlen, dass fortan keine Bundesratsersatzwahl mehr stattfand, bei der nicht wenigstens eine Sprengkandidatin Stimmen erhielt.

Allerdings vergingen nach dem Rücktritt von Elisabeth Kopp 1989, zu dem sich die erste Magistratin nach einem eigentlichen medialen «Kesseltreiben» (NZZ) und dem Vorwurf  der Amtsgeheimnisverletzung, der sich später als haltlos herausstellte, gezwungen sah, noch einmal vier Jahre und fünf Ersatzwahlen, bis Ruth Dreifuss (sp, GE) zur zweiten Magistratin gewählt wurde. Auch dieser Wahl ging eine «Schlammschlacht» um die offizielle Kandidatin Christiane Brunner (sp, GE) voraus, wie dies Leni Robert (gfl, BE) bezeichnet. Nachdem 2003 Christoph Blocher (svp, ZH) statt Ruth Metzler (cvp, AI) und Hans-Rudolf Merz (fdp, AR) statt Christine Beerli (fdp, BE) gewählt worden war, verringerte sich der Frauenanteil von kurzzeitig zwei wieder auf einen Siebtel. Erst ab 2006 mit der Wahl von Doris Leuthard (cvp, LU) sassen stets mindestens zwei Frauen in der Regierung.

1998 wurde Bundesrätin Ruth Dreifuss als erste Frau turnusgemäss ins Bundespräsidium gewählt, mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1971 notabene. Dieses Bild wiederholte sich dann sieben weitere Male: Micheline Calmy-Rey (2007 und 2011), Doris Leuthard (2010 und 2017), Eveline Widmer-Schlumpf (2012) und Simonetta Sommaruga (2015 und 2020) erhielten im Schnitt 162 Stimmen. Auf die im gleichen Zeitraum gewählten Bundespräsidenten entfielen durchschnittlich 183 Stimmen.

Zwischen 1971 und 2020 standen zudem zwei Frauen der Bundeskanzlei vor. «Achte Bundesrätin», wie das Amt gerne bezeichnet wird, waren von 1999 bis 2007 Annemarie Huber-Hotz (fdp) und von 2008 bis 2015 Corina Casanova (cvp). Damit beträgt der Frauenanteil in diesem Amt ein Drittel. 

Entwicklungen in der Judikative

Margrith Bigler-Eggenberger (sp) wurde bereits 1972 als nebenamtliche und 1974 als vollamtliche Bundesrichterin gewählt – mit vergleichsweise sehr geringen 124 Stimmen und im Amtlichen Bulletin mit falschem Namen betitelt. Ganze 18 Jahre später erhielt Bigler-Eggenberger in Lausanne eine Kollegin. Kathrin Klett (sp) wurde 1991 mit 135 von 222 möglichen Stimmen zur zweiten Bundesrichterin gewählt. Ende 2020 waren 15 der 38 Bundesgerichtssitze von Frauen besetzt (39.5%).

Die erste Bundesgerichtspräsidentin – Martha Niquille (cvp) – wurde 2020 gekürt. Sie erhielt 173 von 223 möglichen Stimmen, weil sich die SVP gegen ihre Wahl stellte.

Diskussion

Zwar nimmt der Frauenanteil auch auf den zentralen Machtpositionen kontinuierlich zu. Die Forderung nach einer adäquaten deskriptiven Abbildung der gesamten Bevölkerung in diesen Machtpositionen ist aber nach wie vor nicht erfüllt. Auch 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts sind Nationalrätinnen, Ständerätinnen, Bundesrätinnen und Bundesrichterinnen in der Minderzahl. Zudem gab es noch nie eine Nationalbankpräsidentin, noch nie eine SBB-Chefin, noch nie eine Swisscom-Chefin, noch nie eine Finma-Direktorin oder noch nie eine Verwaltungspräsidentin der SUVA. Der Gang durch die Institutionen braucht einen sehr langen Atem.


Quelle:
 
Foto: Elisabeth Kopp als Gemeindepräsidentin von Zumikon (1974 — 1980). Wikimedia Commons.