1

Wie freiwillige Vereine das politische Engagement zwischen Sprachregionen angleichen

Sinisa Hadziabdic
6th Oktober 2021

Die Kohäsion zwischen Kantonen und die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern am politischen Leben bilden die Grundlage des Schweizer Bundesstaates. Anhand der Daten des Schweizer Haushalt-Panels wird gezeigt, dass die Beteiligung an freiwilligen Vereinen dazu beiträgt, die Kluft in der politischen Partizipation zu überbrücken, die die Bürgerinnen und Bürger in den deutschsprachigen Kantonen von denen in den französisch- und italienischsprachigen Kantonen unterscheidet.

Eines der charakteristischsten und wertvollsten Merkmale des Schweizer Bundesstaates ist die Fähigkeit, eine Reihe heterogener Einheiten wie die Schweizer Kantone unter demselben politischen Dach zu vereinen. Diese Kohäsion hängt von der aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger aller Kantone an dem gemeinsamen demokratischen Projekt ab. Trotz der föderalen Einheit wissen wir aber, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in den verschiedenen Kantonen in sehr unterschiedlichem Masse in der Politik engagieren. Am auffälligsten ist das stärkere politische Engagement der Bürgerinnen und  Bürger in den deutschen Kantonen im Vergleich zu denen in den französisch- und italienischsprachigen Kantonen. Wie kann diese Kluft überwunden werden? Folgende Analyse zeigt, dass dies insbesondere durch das Engagement in freiwilligen Vereinen erreicht werden kann. Dies ist vor allem daher relevant, da demokratische Ergebnisse nur dann als gerecht angesehen werden können, wenn alle davon betroffenen Bevölkerungsgruppen zu ihrer Entstehung beigetragen haben.

Überbrückung der demokratischen Kluft? Die Rolle der freiwilligen Vereine

Eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur beschreibt Vereine als "Schulen der Demokratie", in denen die Bürgerinnen und Bürger die Einstellungen und Verhaltensweisen einüben können, die notwendig sind, um aktive Bürgerinnen und Bürger zu sein. Anhand der Daten des Schweizer Haushalt-Panels analysiert dieser Beitrag diese Rolle, die den Vereinen zugeschrieben wird – insbesondere ob Vereine bei der Steigerung des politischen Engagements der Bürgerinnen und Bürger sowie bei der Verringerung der Kluft zwischen deutschen und lateinischen Regionen helfen.

Die empirischen Resultate zeigen, dass Vereine bei Mitgliedern in lateinischen Kantonen deutlich stärkere positive Effekte auf das politische Interesse und die Neigung zur Beteiligung an direktdemokratischen Initiativen haben als in deutschen Kantonen. Dieses Muster erklärt sich sowohl durch das allgemeine Gefälle im politischen Engagement zwischen Sprachregionen als auch durch die Tatsache, dass Vereine ein besonderes Umfeld darstellen, das sich diesem Gefälle entziehen kann.

Zudem zeigen sich Unterschiede zwischen den Sprachregionen hinsichtlich des Engagements von neuen und langjährigen Vereinsmitgliedern. Einerseits sind Neulinge in lateinischen Kantonen weniger politisch engagiert als ihre deutschen Pendants, da sie aus einem regionalen Kontext stammen, der durch ein geringeres politisches Engagement gekennzeichnet ist. Andererseits engagieren sich langjährige Mitglieder in allen Sprachregionen stärker in der politischen Welt als Neulinge, und innerhalb von Verbänden desselben Typs weisen sie über die Sprachregionen hinweg ein sehr ähnliches Niveau der politischen Beteiligung auf. Diese Homogenität erklärt sich dadurch, dass Verbände desselben Typs durch ähnliche interne Dynamiken gekennzeichnet sind, die regionalen Unterschiede umgehen. Hinzu kommt, dass einige Verbände föderalistisch organisiert sind, wobei die zentralen Spitzenorganisationen die Funktionsweise der homogenen lokalen Sektionen beeinflussen.

Das geringere politische Engagement der Neulinge in den lateinischen Kantonen gibt ihnen einen grösseren Spielraum, dieses als Folge des Vereinsengagements zu erhöhen. Aus diesem Grund üben die langjährigen Mitglieder über die Sprachregionen hinweg, mit denen Neulinge in den Verbänden interagieren, einen stärkeren positiven Einfluss auf die Neulinge in den lateinischen Kantonen aus und ziehen sie auf ein ähnliches Beteiligungsniveau wie ihre deutschen Pendants. Der positive Einfluss ist in den deutschen Kantonen weniger ausgeprägt, da Neulinge bereits vor ihrem Beitritt relativ stark politisch aktiv sind.

Interessanterweise üben alle Verbandstyps einen solchen angleichenden Effekt aus. Obwohl der Effekt bei Vereinen mit politischem Charakter, wie z.B. Umweltorganisationen, deutlich ausgeprägter ist, verringern auch unpolitische Organisationen wie Sportvereine oder Kulturvereine die Unterschiede zwischen Sprachregionen.

In Gesundheit und Krankheit, immer nach Kohäsion und Inklusion streben

Diese Ergebnisse bedeuten, dass freiwillige Vereinigungen als demokratische Gleichmacher zwischen lateinischen und deutschen Regionen wirken. Als solche stärken sie das Gefüge des schweizerischen Bundesstaates, indem sie die Kohäsion zwischen Kantonen und die Gerechtigkeit der politischen Ergebnisse durch die verstärkte direkte Beteiligung der Bürger stärken. Diese beiden Grundsätze - die direkte Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger und das Streben nach Einheit statt nach Spaltung - sollten im Mittelpunkt jeder politischen Intervention stehen, was die politischen Eliten von heute stets im Hinterkopf behalten sollten.


Referenz

  • Hadziabdic, Sinisa. (2021). Institutionally Embedded Democratic Equalizers: Differential Political Involvement Effects of Voluntary Associations across Language Regions in SwitzerlandSwiss Political Science Review001– 20. https://doi.org/10.1111/spsr.12477

Bild: unsplash.com