Die Konzernverantwortungs-initiative ist entwicklungspolitisch klar zu befürworten

Sel­ten sind sich die For­schen­den eines Fach­be­reichs so einig: Die Ende Novem­ber zur Abstim­mung kom­men­de Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ist aus ent­wick­lungs­po­li­ti­scher Sicht zu befür­wor­ten. Auch der Vor­wurf des Neo­ko­lo­nia­lis­mus ist unhaltbar.

Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren der Ent­wick­lungs­öko­no­mie aus der gan­zen Schweiz haben ein Posi­ti­ons­pa­pier zu Guns­ten der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ver­ab­schie­det. Der Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Pri­vat­wirt­schaft ist ein ent­schei­den­der Motor der Ent­wick­lung und der Armuts­be­kämp­fung – aber nur, wenn dabei grund­le­gen­de Men­schen­rech­te wie der Schutz von Leib und Leben gewähr­leis­tet sind und kei­ne gro­ben Ver­let­zun­gen des natür­li­chen Lebens­um­felds damit einhergehen.
  • Ohne kla­re Haf­tungs­re­geln wer­den immer wie­der ein­zel­ne Unter­neh­men mit ihrer Tätig­keit gros­sen ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Scha­den anrich­ten, ins­be­son­de­re dann, wenn ihre Macht­po­si­ti­on im betrof­fe­nen Land gross und die Regie­rung schwach ist.
  • Die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ist für die gros­se Zahl von Schwei­zer Unter­neh­men för­der­lich, die inter­na­tio­na­le Men­schen­rechts- und Umwelt­stan­dards schon jetzt respektieren.
  • Die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve trägt zur Wirk­sam­keit und Nach­hal­tig­keit der Schwei­zer Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit bei.
  • Es ist nicht damit zu rech­nen, dass sich Schwei­zer Kon­zer­ne auf­grund der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve aus Ent­wick­lungs­län­dern zurück­zie­hen. Somit ist auch nicht mit einem Ver­lust an Arbeits­plät­zen zu rech­nen, son­dern mit der Ver­bes­se­rung der der­zei­ti­gen Umwelt- und Arbeits­si­tua­ti­on in den betrof­fe­nen Ländern.
  • Ins­ge­samt ist die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ein geeig­ne­tes Instru­ment, um sicher­zu­stel­len, dass Akti­vi­tä­ten von Schwei­zer Unter­neh­men in Ent­wick­lungs­län­dern ent­wick­lungs­för­dernd und nicht ent­wick­lungs­hem­mend wirken.

Aus öko­no­mi­scher Sicht braucht man sich also um die ent­wick­lungs­po­li­ti­sche Wirk­sam­keit der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve kei­ne Sor­gen zu machen.

Die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve
Am 29. Novem­ber wird über die Eid­ge­nös­si­sche Volks­in­itia­ti­ve ‘Für ver­ant­wor­tungs­vol­le Unter­neh­men – zum Schutz von Mensch und Umwelt’ (kurz: Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve) abge­stimmt. Bei die­ser von einer brei­ten Koali­ti­on aus Poli­tik, Wirt­schaft und Schwei­zer Hilfs­wer­ken unter­stütz­ten Initia­ti­ve geht es dar­um, dass Kon­zer­ne mit Sitz in der Schweiz ver­pflich­tet wer­den sol­len, auch bei ihrer Tätig­keit im Aus­land grund­le­gen­de Men­schen­rech­te und Umwelt­stan­dards einzuhalten.
Die Konzernverantwortungsinitiative — ein neokolonialistisches Instrument?

Im lau­fen­den Abstim­mungs­kampf wird die ent­wick­lungs­po­li­ti­sche Bedeu­tung der Initia­ti­ve aber zusätz­lich durch den eher aus poli­ti­scher oder polit­öko­no­mi­scher Per­spek­ti­ve moti­vier­ten Vor­wurf des Neo­ko­lo­nia­lis­mus in Fra­ge gestellt. Die­ser Vor­wurf ist aus mei­ner Sicht unhaltbar. 

Es han­delt sich dabei auch nicht wirk­lich um ein Argu­ment, son­dern viel­mehr um die m.E. bewusst irre­füh­ren­de Ver­wen­dung eines poli­ti­schen Kampf­be­griffs. Übli­cher­wei­se wird der Vor­wurf des Neo­ko­lo­nia­lis­mus eher von einem lin­ken poli­ti­schen Spek­trum ver­wen­det, um die Macht­aus­übung inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen und Geschäfts­tä­tig­kei­ten von mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen in ärme­ren Län­dern anzu­pran­gern. Über die­ses Label ver­är­gert, ver­su­chen die Geg­ner der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve nun, den Spiess argu­men­ta­tiv umzu­dre­hen. Aber macht das Sinn?

Wohl kaum. Tat­säch­lich ist es so, dass ein­zel­ne Gross­un­ter­neh­men in klei­nen armen Län­dern eine unge­heu­re Macht­po­si­ti­on ein­neh­men kön­nen. Oft­mals beträgt auch der Gesamt­um­satz eines sol­chen Kon­zerns ein Viel­fa­ches des gesam­ten Volks­ein­kom­mens gewis­ser Län­der. Im Kon­text von Kor­rup­ti­on und Miss­wirt­schaft ent­ste­hen dabei leicht Kon­stel­la­tio­nen, in denen unver­ant­wort­li­che Regie­run­gen mit unver­ant­wort­li­chen Kon­zer­nen gemein­sa­me Sache machen zu Las­ten der eige­nen Bevöl­ke­rung. In Sys­te­men, in denen weder die Regie­rung noch der Kon­zern in irgend­ei­ner Form demo­kra­tisch oder recht­lich zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den kön­nen, gibt es dafür star­ke Anreize.

Dies kann dazu füh­ren, dass gros­se Unter­neh­men in einem Land direkt die Ver­ab­schie­dung zen­tra­ler Geset­ze zum Schutz der Men­schen­rech­te und der Umwelt ver­hin­dern. Oder dass Rechts­nor­men, die von Regie­run­gen auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne befür­wor­tet wur­den, nicht in natio­na­les Gesetz über­führt wer­den. Mög­lich ist auch, dass bestehen­de natio­na­le Geset­ze schlicht nicht umge­setzt werden.

Ratifizierte Menschenrechtsabkommen und die Plausibilität ihrer Umsetzung

In der Abbil­dung ist die Anzahl der rati­fi­zier­ten UN-Men­schen­rechts­ab­kom­men und der Index für Rechts­si­cher­heit pro Land abge­bil­det. Es zeigt sich dabei, dass zwi­schen die­sen bei­den Grös­sen kein erkenn­ba­rer Zusam­men­hang besteht. Es gibt also eine gros­se Zahl von Ent­wick­lungs­län­dern, die zwar for­mal inter­na­tio­nal aner­kann­te Stan­dards für sich bean­spru­chen, in denen de fac­to jedoch nicht damit zu rech­nen ist, dass sich Betrof­fe­ne je auf die­se Rech­te wer­den beru­fen kön­nen. Dies betrifft ins­be­son­de­re die Län­der im lin­ken obe­ren Qua­dran­ten, wie Vene­zue­la, Boli­vi­en, Mali, Niger, Ecua­dor oder Benin.

 

Datenquellen: United Nations (2020), World Justice Project (2020). (Leider gibt es für die Schweiz keine Daten für den Rechtssicherheitsindex, so dass sie nicht als Vergleichswert angeführt werden kann.)

Die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve kann hier Abhil­fe schaf­fen, sofern es Schwei­zer Kon­zer­ne sind, die für die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen — und auch für mas­si­ve Umwelt­schä­den — ver­ant­wort­lich sind. Damit erhal­ten die Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit, ihre Rech­te ein­zu­kla­gen. Da sol­che Ver­fah­ren teu­er sind und die Beweis­füh­rung kom­pli­ziert, ist nur mit weni­gen Kla­gen in extre­men Aus­nah­me­si­tua­tio­nen zu rech­nen. Aber dass zumin­dest theo­re­tisch die Mög­lich­keit einer sol­chen Kla­ge besteht, wird die Kon­zer­ne dazu brin­gen, beson­ders extre­me For­men von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und Umwelt­schä­di­gun­gen von vorn­her­ein zu vermeiden.

Es geht bei der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve also nicht um Schwei­zer, son­den um inter­na­tio­na­le Nor­men, die oft von den betref­fen­den Län­dern selbst for­mal akzep­tiert wor­den sind. Die Initia­ti­ve schafft die Grund­la­ge dafür, dass Men­schen vor Ort die Mög­lich­keit haben, für die tat­säch­li­che Durch­set­zung ihrer Rech­te zu kämp­fen. Dies als Neo­ko­lo­nia­lis­mus zu bezeich­nen, erscheint gera­de­zu zynisch.

 


Refe­renz:

Micha­e­lo­wa, Kat­ja (2020). Die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ist ent­wick­lungs­po­li­tisch sinn­voll. Öko­no­men­stim­me, 30.10.2020.

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