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Die Konzernverantwortungs-initiative ist entwicklungspolitisch klar zu befürworten

Katharina Michaelowa
2nd November 2020

Selten sind sich die Forschenden eines Fachbereichs so einig: Die Ende November zur Abstimmung kommende Konzernverantwortungsinitiative ist aus entwicklungspolitischer Sicht zu befürworten. Auch der Vorwurf des Neokolonialismus ist unhaltbar.

Professorinnen und Professoren der Entwicklungsökonomie aus der ganzen Schweiz haben ein Positionspapier zu Gunsten der Konzernverantwortungsinitiative verabschiedet. Der Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Privatwirtschaft ist ein entscheidender Motor der Entwicklung und der Armutsbekämpfung – aber nur, wenn dabei grundlegende Menschenrechte wie der Schutz von Leib und Leben gewährleistet sind und keine groben Verletzungen des natürlichen Lebensumfelds damit einhergehen.
  • Ohne klare Haftungsregeln werden immer wieder einzelne Unternehmen mit ihrer Tätigkeit grossen entwicklungspolitischen Schaden anrichten, insbesondere dann, wenn ihre Machtposition im betroffenen Land gross und die Regierung schwach ist.
  • Die Konzernverantwortungsinitiative ist für die grosse Zahl von Schweizer Unternehmen förderlich, die internationale Menschenrechts- und Umweltstandards schon jetzt respektieren.
  • Die Konzernverantwortungsinitiative trägt zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit bei.
  • Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich Schweizer Konzerne aufgrund der Konzernverantwortungsinitiative aus Entwicklungsländern zurückziehen. Somit ist auch nicht mit einem Verlust an Arbeitsplätzen zu rechnen, sondern mit der Verbesserung der derzeitigen Umwelt- und Arbeitssituation in den betroffenen Ländern.
  • Insgesamt ist die Konzernverantwortungsinitiative ein geeignetes Instrument, um sicherzustellen, dass Aktivitäten von Schweizer Unternehmen in Entwicklungsländern entwicklungsfördernd und nicht entwicklungshemmend wirken.

Aus ökonomischer Sicht braucht man sich also um die entwicklungspolitische Wirksamkeit der Konzernverantwortungsinitiative keine Sorgen zu machen.

Die Konzernverantwortungsinitiative
Am 29. November wird über die Eidgenössische Volksinitiative ‘Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt’ (kurz: Konzernverantwortungsinitiative) abgestimmt. Bei dieser von einer breiten Koalition aus Politik, Wirtschaft und Schweizer Hilfswerken unterstützten Initiative geht es darum, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichtet werden sollen, auch bei ihrer Tätigkeit im Ausland grundlegende Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten.

Die Konzernverantwortungsinitiative – ein neokolonialistisches Instrument?

Im laufenden Abstimmungskampf wird die entwicklungspolitische Bedeutung der Initiative aber zusätzlich durch den eher aus politischer oder politökonomischer Perspektive motivierten Vorwurf des Neokolonialismus in Frage gestellt. Dieser Vorwurf ist aus meiner Sicht unhaltbar.  

Es handelt sich dabei auch nicht wirklich um ein Argument, sondern vielmehr um die m.E. bewusst irreführende Verwendung eines politischen Kampfbegriffs. Üblicherweise wird der Vorwurf des Neokolonialismus eher von einem linken politischen Spektrum verwendet, um die Machtausübung internationaler Organisationen und Geschäftstätigkeiten von multinationalen Konzernen in ärmeren Ländern anzuprangern. Über dieses Label verärgert, versuchen die Gegner der Konzernverantwortungsinitiative nun, den Spiess argumentativ umzudrehen. Aber macht das Sinn?

Wohl kaum. Tatsächlich ist es so, dass einzelne Grossunternehmen in kleinen armen Ländern eine ungeheure Machtposition einnehmen können. Oftmals beträgt auch der Gesamtumsatz eines solchen Konzerns ein Vielfaches des gesamten Volkseinkommens gewisser Länder. Im Kontext von Korruption und Misswirtschaft entstehen dabei leicht Konstellationen, in denen unverantwortliche Regierungen mit unverantwortlichen Konzernen gemeinsame Sache machen zu Lasten der eigenen Bevölkerung. In Systemen, in denen weder die Regierung noch der Konzern in irgendeiner Form demokratisch oder rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, gibt es dafür starke Anreize.

Dies kann dazu führen, dass grosse Unternehmen in einem Land direkt die Verabschiedung zentraler Gesetze zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt verhindern. Oder dass Rechtsnormen, die von Regierungen auf internationaler Ebene befürwortet wurden, nicht in nationales Gesetz überführt werden. Möglich ist auch, dass bestehende nationale Gesetze schlicht nicht umgesetzt werden.

Ratifizierte Menschenrechtsabkommen und die Plausibilität ihrer Umsetzung

In der Abbildung ist die Anzahl der ratifizierten UN-Menschenrechtsabkommen und der Index für Rechtssicherheit pro Land abgebildet. Es zeigt sich dabei, dass zwischen diesen beiden Grössen kein erkennbarer Zusammenhang besteht. Es gibt also eine grosse Zahl von Entwicklungsländern, die zwar formal international anerkannte Standards für sich beanspruchen, in denen de facto jedoch nicht damit zu rechnen ist, dass sich Betroffene je auf diese Rechte werden berufen können. Dies betrifft insbesondere die Länder im linken oberen Quadranten, wie Venezuela, Bolivien, Mali, Niger, Ecuador oder Benin.

 

Datenquellen: United Nations (2020), World Justice Project (2020). (Leider gibt es für die Schweiz keine Daten für den Rechtssicherheitsindex, so dass sie nicht als Vergleichswert angeführt werden kann.)

Die Konzernverantwortungsinitiative kann hier Abhilfe schaffen, sofern es Schweizer Konzerne sind, die für die Menschenrechtsverletzungen — und auch für massive Umweltschäden — verantwortlich sind. Damit erhalten die Betroffenen die Möglichkeit, ihre Rechte einzuklagen. Da solche Verfahren teuer sind und die Beweisführung kompliziert, ist nur mit wenigen Klagen in extremen Ausnahmesituationen zu rechnen. Aber dass zumindest theoretisch die Möglichkeit einer solchen Klage besteht, wird die Konzerne dazu bringen, besonders extreme Formen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen von vornherein zu vermeiden.

Es geht bei der Konzernverantwortungsinitiative also nicht um Schweizer, sonden um internationale Normen, die oft von den betreffenden Ländern selbst formal akzeptiert worden sind. Die Initiative schafft die Grundlage dafür, dass Menschen vor Ort die Möglichkeit haben, für die tatsächliche Durchsetzung ihrer Rechte zu kämpfen. Dies als Neokolonialismus zu bezeichnen, erscheint geradezu zynisch.

 


Referenz:

Michaelowa, Katja (2020). Die Konzernverantwortungsinitiative ist entwicklungspolitisch sinnvoll. Ökonomenstimme, 30.10.2020.