Der Frauenanteil in der Schweizer Judikative

Frau­en sind welt­weit in der Poli­tik weni­ger ver­tre­ten als Män­ner – auch in der Schweiz. Doch wäh­rend vie­le Infor­ma­tio­nen zum Frau­en­an­teil in den kan­to­na­len und natio­na­len Par­la­men­ten und Regie­run­gen vor­lie­gen, war bis­her wenig über Frau­en in der Judi­ka­ti­ve bekannt. Mei­ne Ana­ly­se zeigt erst­mals auf, dass der Frau­en­an­teil in der Judi­ka­ti­ve wäh­rend der letz­ten Jahr­zehn­ten ähn­lich gestie­gen ist wie in der natio­na­len Politik.

Die drit­te demo­kra­ti­sche Gewalt im Staat, die Judi­ka­ti­ve, wur­de in der Geschlech­ter­for­schung und der Poli­tik­wis­sen­schaft bis­her eher ver­nach­läs­sigt. Wenig ist dem­nach über das Geschlech­ter­ver­hält­nis unter Rich­te­rin­nen und Rich­tern bekannt.

Im Rah­men mei­ner Mas­ter­ar­beit ging ich Fra­gen rund um den Geschlech­ter­an­teil in der Judi­ka­ti­ve nach. Mei­ne Ana­ly­sen zei­gen, dass die rich­ter­li­che Gewahlt immer noch män­ner­do­mi­niert ist, obwohl in der Schweiz seit 2003 jedes Jahr mehr Frau­en als Män­ner Rechts­wis­sen­schaf­ten stu­die­ren und ent­spre­chen­de Berufs­we­ge ein­schla­gen. Im Jahr 2020 betrug der Frau­en­an­teil in den kan­to­na­len Judi­ka­ti­ven vier­zig Pro­zent und liegt damit ähn­lich hoch wie im Schwei­zer Parlament.

Daten und Methoden
Der erstell­te Daten­satz umfasst die Anga­ben von ins­ge­samt 2873 Richter*innen aus 26 kan­to­na­len Judi­ka­ti­ven, die im Jahr 2020 tätig waren. Dafür wur­den die Anga­ben auf den kan­to­na­len Web­sei­ten aus­ge­wer­tet und alle Mit­glie­der der ver­schie­de­nen Gerich­ten zusam­men­ge­stellt. Zusätz­lich zu Name, Geschlecht und Kan­ton wur­den auch Infor­ma­tio­nen zur Gerichts­art, zur Posi­ti­on und zum Wahl­or­gan erfasst. Die Staats­an­walt­schaft ist nicht erfasst.
Röstigraben bei der Frauenrepräsentation?

2001 erschien der ers­te Gleich­stel­lungs­at­las der Schweiz. Dar­in zeigt Büh­ler (2001) auf, dass es in der Schweiz gleich­stel­lungs­freund­li­che­re und gleich­stel­lungs­kri­ti­sche­re Regio­nen gibt. Stadt­re­gio­nen und die fran­zö­si­sche Schweiz wei­sen dabei weni­ger geschlechts­spe­zi­fi­sche Ungleich­hei­ten auf als die Deut­schweiz oder länd­li­che Regio­nen und Agglo­me­ra­tio­nen (Büh­ler 2001, S. 130). 

Abbil­dung 1 ver­an­schau­licht die kan­to­na­len Dif­fe­ren­zen der Geschlech­ter­ver­tei­lung. Dabei ste­chen zwei Kan­to­ne beson­ders her­vor: der Kan­ton Jura, der mit gesamt­haft 73 Pro­zent den höchs­ten Anteil an Frau­en in den Gerich­ten ver­zeich­net und der Kan­ton Zug, mit nur 13 Pro­zent Rich­te­rin­nen. Aber auch sonst wird deut­lich, dass die Judi­ka­ti­ve der fran­zö­sisch­spra­chi­ge Schweiz einen deut­lich höhe­ren weib­li­chen Anteil auf­weist als die Deutsch­schweiz oder das Tessin.

Abbildung 1: Frauenanteil in der Judikative der Schweiz

Die horizontalen und vertikalen Unterschiede

Jeder Kan­ton in der Schweiz ver­fügt über ein zwei­stu­fi­ges Gerichts­sys­tem. Die zwei­te Instanz (Ober­ge­richt, Kan­tons­ge­richt) beur­teilt die Ent­schei­de der ers­ten Instanz, wel­che ange­foch­ten wer­den. Hier fin­det sich ein Über­blick über das Gerichts­sys­tem.

Schlüs­selt man die gesam­te Judi­ka­ti­ve in die ers­te und zwei­te Instanz auf, kann man sehen, dass sich der Trend wei­ter­zieht: die Deutsch­schweiz hat in bei­den Instan­zen deut­lich weni­ger weib­li­che Mit­glie­der. Das Tes­sin hat in der zwei­ten Instanz sogar gar kei­ne Frauen.

Aus Abbil­dung 2 wird deut­lich, dass der Frau­en­an­teil auf der ers­ten Instanz all­ge­mein höher ist als der auf der zwei­ten Instanz. Für ein Man­dat im Ober­ge­richt, d.h. der zwei­ten Instanz, benö­tigt jemand einer­seits mehr Erfah­rung und ande­rer­seits setzt es sich aus weni­ger Mit­glie­der zusam­men. Die Annah­me liegt nahe, dass aus die­sen Grün­den der Kon­kur­renz­kampf um eine Stel­le in der zwei­ten Instanz höher ist und dies eine Aus­wir­kung auf das jewei­li­ge Geschlech­ter­ver­hält­nis hat.

Abbildung 2: Der Frauenanteil im Vergleich zw. 1. und 2. Instanz

 

Bei den erst­in­stanz­li­chen ver­ti­ka­len Unter­schie­den (Gerichts­art) zeigt sich, dass die Gerich­te, die sozia­le The­men bear­bei­ten (d.h., das Fami­li­en­ge­richt und das Sozi­al­ver­si­che­rungs­ge­richt), deut­lich mehr weib­li­che Mit­glie­der beschäf­ti­gen als Gerich­te, die sich mit wirt­schaft­li­chen The­men aus­ein­an­der­set­zen und wo das männ­li­che Geschlecht häu­fi­ger anzu­tref­fen ist. Bei Abtei­lun­gen, die sich mit dem Zivil- und Straf­recht aus­ein­an­der­set­zen, ist das Geschlech­ter­ver­hält­nis rela­tiv ausgeglichen.

Im stetigen Wandel

Die Judi­ka­ti­ve in der Schweiz befin­det sich in einem ste­ten Wan­del. Einer­seits wer­den neue Abtei­lun­gen gebil­det und ande­re abge­schafft, ande­rer­seits ist die Fluk­tua­ti­on hoch und Man­da­te wer­den lau­fend neu besetzt. Mei­ne Unter­su­chung ist eine Moment­auf­nah­me der heu­ti­gen Situa­ti­on der Geschlech­ter­ver­tei­lung in den kan­to­na­len Gerich­ten. Als sol­che lie­fert sie nur Annah­men, wie­so das Geschlech­te­ver­hält­nis in der drit­ten Gewalt so ver­teilt ist.

Einer­seits kann ver­mu­tet wer­den, dass die indi­vi­du­el­len Prä­fe­ren­zen der Frau­en dazu füh­ren, dass sie gar nicht erst kan­di­die­ren. Grün­de dafür sind zum Bei­spiel fami­liä­re Ver­pflich­tun­gen, eine ande­re poli­ti­sche Sozia­li­sie­rung als Män­ner, aber auch die Selbst­ein­schät­zung der eige­nen Qua­li­fi­ka­tio­nen (Fox & Law­less, 2014). Ande­rer­seits kann auch das Gerichts­sys­tem der Schweiz hin­dernd wir­ken, um in allen Kan­to­nen ein aus­ge­gli­che­nes Geschlech­ter­ver­hält­nis zu errei­chen. Hier spielt die fak­ti­sche Vor­aus­set­zung der Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit zur Rich­ter­wahl eine Rol­le, da man als Parteilose/r wenig Chan­cen auf ein Amt hat. Da im Daten­satz die Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit der Richter*innen nicht erfasst wur­de, soll­te die­se Annah­me mit Vor­sicht genos­sen und in wei­te­ren Unter­su­chun­gen genau­er ana­ly­siert wer­den.  


Refe­ren­zen:

  • Büh­ler, E. (2001). Frau­en- und Gleich­stel­lungs­at­las Schweiz. Zürich: Seismo
  • Fox, L. R., & Law­less, L. J. (2014). Unco­vering the Ori­gins of the Gen­der Gap in Poli­ti­cal Ambi­ti­on. Ame­ri­can Poli­ti­cal Sci­ence Review, 108(3), 499–519.

 

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung der Mas­ter­ar­beit von Zoe Geiss­ler: Eine Ana­ly­se zur Frau­en­ver­tre­tung der Judi­ka­ti­ve in den Schwei­zer Kan­to­nen. Uni­ver­si­tät Zürich: Insti­tut für Politikwissenschaft. 

 

 

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