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Der Frauenanteil in der Schweizer Judikative

Zoe Geissler
29th September 2020

Frauen sind weltweit in der Politik weniger vertreten als Männer – auch in der Schweiz. Doch während viele Informationen zum Frauenanteil in den kantonalen und nationalen Parlamenten und Regierungen vorliegen, war bisher wenig über Frauen in der Judikative bekannt. Meine Analyse zeigt erstmals auf, dass der Frauenanteil in der Judikative während der letzten Jahrzehnten ähnlich gestiegen ist wie in der nationalen Politik.

Die dritte demokratische Gewalt im Staat, die Judikative, wurde in der Geschlechterforschung und der Politikwissenschaft bisher eher vernachlässigt. Wenig ist demnach über das Geschlechterverhältnis unter Richterinnen und Richtern bekannt.

Im Rahmen meiner Masterarbeit ging ich Fragen rund um den Geschlechteranteil in der Judikative nach. Meine Analysen zeigen, dass die richterliche Gewahlt immer noch männerdominiert ist, obwohl in der Schweiz seit 2003 jedes Jahr mehr Frauen als Männer Rechtswissenschaften studieren und entsprechende Berufswege einschlagen. Im Jahr 2020 betrug der Frauenanteil in den kantonalen Judikativen vierzig Prozent und liegt damit ähnlich hoch wie im Schweizer Parlament.

Daten und Methoden
Der erstellte Datensatz umfasst die Angaben von insgesamt 2873 Richter*innen aus 26 kantonalen Judikativen, die im Jahr 2020 tätig waren. Dafür wurden die Angaben auf den kantonalen Webseiten ausgewertet und alle Mitglieder der verschiedenen Gerichten zusammengestellt. Zusätzlich zu Name, Geschlecht und Kanton wurden auch Informationen zur Gerichtsart, zur Position und zum Wahlorgan erfasst. Die Staatsanwaltschaft ist nicht erfasst.

Röstigraben bei der Frauenrepräsentation?

2001 erschien der erste Gleichstellungsatlas der Schweiz. Darin zeigt Bühler (2001) auf, dass es in der Schweiz gleichstellungsfreundlichere und gleichstellungskritischere Regionen gibt. Stadtregionen und die französische Schweiz weisen dabei weniger geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf als die Deutschweiz oder ländliche Regionen und Agglomerationen (Bühler 2001, S. 130). 

Abbildung 1 veranschaulicht die kantonalen Differenzen der Geschlechterverteilung. Dabei stechen zwei Kantone besonders hervor: der Kanton Jura, der mit gesamthaft 73 Prozent den höchsten Anteil an Frauen in den Gerichten verzeichnet und der Kanton Zug, mit nur 13 Prozent Richterinnen. Aber auch sonst wird deutlich, dass die Judikative der französischsprachige Schweiz einen deutlich höheren weiblichen Anteil aufweist als die Deutschschweiz oder das Tessin.

Abbildung 1: Frauenanteil in der Judikative der Schweiz

Die horizontalen und vertikalen Unterschiede

Jeder Kanton in der Schweiz verfügt über ein zweistufiges Gerichtssystem. Die zweite Instanz (Obergericht, Kantonsgericht) beurteilt die Entscheide der ersten Instanz, welche angefochten werden. Hier findet sich ein Überblick über das Gerichtssystem.

Schlüsselt man die gesamte Judikative in die erste und zweite Instanz auf, kann man sehen, dass sich der Trend weiterzieht: die Deutschschweiz hat in beiden Instanzen deutlich weniger weibliche Mitglieder. Das Tessin hat in der zweiten Instanz sogar gar keine Frauen.

Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass der Frauenanteil auf der ersten Instanz allgemein höher ist als der auf der zweiten Instanz. Für ein Mandat im Obergericht, d.h. der zweiten Instanz, benötigt jemand einerseits mehr Erfahrung und andererseits setzt es sich aus weniger Mitglieder zusammen. Die Annahme liegt nahe, dass aus diesen Gründen der Konkurrenzkampf um eine Stelle in der zweiten Instanz höher ist und dies eine Auswirkung auf das jeweilige Geschlechterverhältnis hat.

Abbildung 2: Der Frauenanteil im Vergleich zw. 1. und 2. Instanz

 

Bei den erstinstanzlichen vertikalen Unterschieden (Gerichtsart) zeigt sich, dass die Gerichte, die soziale Themen bearbeiten (d.h., das Familiengericht und das Sozialversicherungsgericht), deutlich mehr weibliche Mitglieder beschäftigen als Gerichte, die sich mit wirtschaftlichen Themen auseinandersetzen und wo das männliche Geschlecht häufiger anzutreffen ist. Bei Abteilungen, die sich mit dem Zivil- und Strafrecht auseinandersetzen, ist das Geschlechterverhältnis relativ ausgeglichen.

Im stetigen Wandel

Die Judikative in der Schweiz befindet sich in einem steten Wandel. Einerseits werden neue Abteilungen gebildet und andere abgeschafft, andererseits ist die Fluktuation hoch und Mandate werden laufend neu besetzt. Meine Untersuchung ist eine Momentaufnahme der heutigen Situation der Geschlechterverteilung in den kantonalen Gerichten. Als solche liefert sie nur Annahmen, wieso das Geschlechteverhältnis in der dritten Gewalt so verteilt ist.

Einerseits kann vermutet werden, dass die individuellen Präferenzen der Frauen dazu führen, dass sie gar nicht erst kandidieren. Gründe dafür sind zum Beispiel familiäre Verpflichtungen, eine andere politische Sozialisierung als Männer, aber auch die Selbsteinschätzung der eigenen Qualifikationen (Fox & Lawless, 2014). Andererseits kann auch das Gerichtssystem der Schweiz hindernd wirken, um in allen Kantonen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu erreichen. Hier spielt die faktische Voraussetzung der Parteizugehörigkeit zur Richterwahl eine Rolle, da man als Parteilose/r wenig Chancen auf ein Amt hat. Da im Datensatz die Parteizugehörigkeit der Richter*innen nicht erfasst wurde, sollte diese Annahme mit Vorsicht genossen und in weiteren Untersuchungen genauer analysiert werden.  


Referenzen:

  • Bühler, E. (2001). Frauen- und Gleichstellungsatlas Schweiz. Zürich: Seismo
  • Fox, L. R., & Lawless, L. J. (2014). Uncovering the Origins of the Gender Gap in Political Ambition. American Political Science Review, 108(3), 499-519.

 

Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung der Masterarbeit von Zoe Geissler: Eine Analyse zur Frauenvertretung der Judikative in den Schweizer Kantonen. Universität Zürich: Institut für Politikwissenschaft.