Beim Rentenalter klafft eine Lücke zwischen Kandidierenden und Wählenden

Wäh­rend knapp die Häl­fe der Kan­di­die­ren­den der eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters befür­wor­tet, sind es bei den Wäh­len­den nur ein Drit­tel. Beson­ders aus­ge­prägt ist die­ser Gra­ben zwi­schen Par­tei­eli­te und Basis bei FDP, GLP und SVP. Dies zeigt eine Aus­wer­tung, die im Rah­men der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects durch­ge­führt wurde.

Die Finan­zie­rung der Ren­ten zählt auf­grund der demo­gra­phi­schen Ent­wick­lung zu den gröss­ten Her­aus­for­de­run­gen der Schweiz. Im Mai 2017 schei­ter­te die vom Par­la­ment ver­ab­schie­de­te Reform «Alters­vor­sor­ge 2020» in einer Volks­ab­stim­mung. Nach­dem zwei Jah­re spä­ter im Rah­men einer revi­dier­ten Unter­neh­mens­steu­er­re­form (STAF) der AHV zusätz­li­che Mit­tel zuge­spro­chen wor­den sind, steht nun die Erhö­hung des Ren­ten­al­ters im Zen­trum des Interesses.

Gemäss Befra­gungs­da­ten, die im Rah­men der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects 2019 erho­ben wor­den sind, klafft in der Fra­ge der Erhö­hung des Ren­ten­al­ters für bei­de Geschlech­ter eine Lücke zwi­schen Kan­di­die­ren­den und Wäh­len­den. Unter den Kan­die­ren­den erweist sich die­ses Reform­vor­ha­ben als sehr umstrit­ten. Dies lässt sich dar­an erken­nen, dass die Zustim­mungs­ra­te 48 Pro­zent beträgt. Im Gegen­satz dazu stösst die Erhö­hung des Ren­ten­al­ters bei den Wäh­len­den auf wenig Gegen­lie­be. In der Tat wird sie nur von rund einem Drit­tel (34 Pro­zent) befürwortet.

Ausgeprägter Graben bei FDP, GLP und SVP

Wie aus der Abbil­dung 1 her­vor­geht, unter­stüt­zen die Kan­di­die­ren­den der GLP (93 Pro­zent Zustim­mung) und der FDP (91 Pro­zent) fast geschlos­sen eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters für bei­de Geschlech­ter. Wäh­rend sich die Kan­di­die­ren­den der SVP eben­falls deut­lich dafür aus­spre­chen (63 Pro­zent), hält sich die Begeis­te­rung unter jenen der CVP in Gren­zen (47 Pro­zent). Deut­lich abge­lehnt wird die Ren­ten­al­ter­erhö­hung hin­ge­gen im lin­ken Lager. Die Zustim­mungs­ra­te beträgt in den Rei­hen der Grü­nen ledig­lich 14 Pro­zent und inner­halb der SP gar nur 5 Prozent.

Abbildung 1: Zustimmung zur Rentenaltererhöhung für beide Geschlechter nach Partei und Parteiwählerschaft (in %)
Anmerkung: Die Zustimmungsanteile enthalten die Antworten ‘ja’ und ‘eher ja’.

Betrach­tet man die Zustim­mungs­ra­ten für die sechs gröss­ten Par­tei­wäh­ler­schaf­ten, so sticht ins Auge, dass kei­ne die Ren­ten­al­ter­erhö­hung mehr­heit­lich befür­wor­tet. Die höchs­ten Zustim­mungs­ra­ten las­sen sich bei der GLP (49 Pro­zent) und der FDP (46 Pro­zent) aus­ma­chen, gefolgt von der CVP (40 Pro­zent). Auf wenig Zuspruch stösst die­se For­de­rung nicht nur bei den Wäh­ler­schaf­ten der Grü­nen (30 Pro­zent) und der SP (25 Pro­zent), son­dern bemer­kens­wer­ter­wei­se auch bei jener der SVP (28 Prozent).

Wen­den wir uns nun den Zustim­mungs­dif­fe­ren­zen zu. Dies­be­züg­lich zeigt sich, dass die Kluft zwi­schen Eli­te und Basis bei drei Par­tei­en beson­ders aus­ge­prägt ist. Dies betrifft die FDP (45 Pro­zent), die GLP (44 Pro­zent) sowie die SVP (35 Pro­zent). Die­se Par­tei­wäh­ler­schaf­ten ste­hen der Ren­ten­al­ter­erhö­hung weit skep­ti­scher gegen­über als ihren jewei­li­gen Kandidierenden.

Ein ver­gleichs­wei­se klei­ner Gra­ben zeigt sich der­weil bei der CVP (7 Pro­zent). Auf der lin­ken Sei­te erge­ben sich im Gegen­satz dazu nega­ti­ve Dif­fe­ren­zen: ‑16 Pro­zent bei den Grü­nen und ‑20 Pro­zent bei der SP. Somit erwei­sen sich die Wäh­len­den die­ser bei­den Par­tei­en gegen­über einer Erhö­hung des Ren­ten­al­ters als etwas auf­ge­schlos­se­ner als die Kandidierenden.

Mit Blick auf zukünf­ti­ge Refor­men der Alters­vor­sor­ge lässt sich fest­hal­ten, dass auf­grund des Kon­flikts zwi­schen Eli­ten und Basis ein Gelin­gen mit gros­sen Fra­ge­zei­chen behaf­tet ist. Im Par­la­ment mag eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters eine Mehr­heit auf sich ver­ei­ni­gen. Ob dies im Fall einer Volks­ab­stim­mung auch in der Bevöl­ke­rung der Fall sein wird, kann auf­grund der vor­lie­gen­den Daten bezwei­felt wer­den. Nicht nur im lin­ken Lager, son­dern auch inner­halb der bür­ger­li­chen Wäh­ler­schaft schei­nen die Vor­be­hal­te gegen eine Ren­ten­al­ter­erhö­hung für bei­de Geschlech­ter weit ver­brei­tet zu sein.

Die Schwei­zer Wahl­stu­die Selects:
Selects unter­sucht seit 1995 die Wahl­teil­nah­me und das Wahl­ver­hal­ten bei eid­ge­nös­si­schen Wah­len. Selects wird vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds (SNF) geför­dert und von FORS in Lau­sanne durch­ge­führt. Sämt­li­che Daten­sät­ze sind doku­men­tiert und für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke frei zugäng­lich. Im Rah­men von Selects wur­den zu den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 umfang­rei­che Erhe­bun­gen durchgeführt:
    • Nach­wahl­be­fra­gung von 6’664 Wahlberechtigten
    • Drei­ma­li­ge Befra­gung der­sel­ben Per­so­nen vor und nach den Wah­len mit zwi­schen 5’000 und 8’000 Wahl­be­rech­tig­ten pro Befragung
    • Befra­gung von 2’158 Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten für den Natio­nal- und Ständerat
    • Medi­en­stu­die: Inhalts­ana­ly­se von 87 tra­di­tio­nel­len Medi­en (Print und Online) sowie den Auf­trit­ten der Kan­di­die­ren­den und Par­tei­en in den sozia­len Medi­en (Twit­ter und Facebook)

Lite­ra­tur:

  • Tresch, Anke, Laue­ner, Lukas, Bern­hard, Lau­rent, Lutz, Georg und Lau­ra Scaper­rot­ta (2020). Eid­ge­nös­si­sche Wah­len 2019. Wahl­teil­nah­me und Wahl­ent­scheid. FORS-Lau­sanne. Publi­ka­ti­on auf Deutsch (erhält­lich auch auf Fran­zö­sisch und Ita­lie­nisch) unter www.selects.ch.

Bild: pixabay.com

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