Beim Rentenalter klafft eine Lücke zwischen Kandidierenden und Wählenden
Laura Scaperrotta, Laurent Bernhard
4th September 2020
Während knapp die Hälfe der Kandidierenden der eidgenössischen Wahlen 2019 eine Erhöhung des Rentenalters befürwortet, sind es bei den Wählenden nur ein Drittel. Besonders ausgeprägt ist dieser Graben zwischen Parteielite und Basis bei FDP, GLP und SVP. Dies zeigt eine Auswertung, die im Rahmen der Schweizer Wahlstudie Selects durchgeführt wurde.
Die Finanzierung der Renten zählt aufgrund der demographischen Entwicklung zu den grössten Herausforderungen der Schweiz. Im Mai 2017 scheiterte die vom Parlament verabschiedete Reform «Altersvorsorge 2020» in einer Volksabstimmung. Nachdem zwei Jahre später im Rahmen einer revidierten Unternehmenssteuerreform (STAF) der AHV zusätzliche Mittel zugesprochen worden sind, steht nun die Erhöhung des Rentenalters im Zentrum des Interesses.
Gemäss Befragungsdaten, die im Rahmen der Schweizer Wahlstudie Selects 2019 erhoben worden sind, klafft in der Frage der Erhöhung des Rentenalters für beide Geschlechter eine Lücke zwischen Kandidierenden und Wählenden. Unter den Kandierenden erweist sich dieses Reformvorhaben als sehr umstritten. Dies lässt sich daran erkennen, dass die Zustimmungsrate 48 Prozent beträgt. Im Gegensatz dazu stösst die Erhöhung des Rentenalters bei den Wählenden auf wenig Gegenliebe. In der Tat wird sie nur von rund einem Drittel (34 Prozent) befürwortet.
Ausgeprägter Graben bei FDP, GLP und SVP
Wie aus der Abbildung 1 hervorgeht, unterstützen die Kandidierenden der GLP (93 Prozent Zustimmung) und der FDP (91 Prozent) fast geschlossen eine Erhöhung des Rentenalters für beide Geschlechter. Während sich die Kandidierenden der SVP ebenfalls deutlich dafür aussprechen (63 Prozent), hält sich die Begeisterung unter jenen der CVP in Grenzen (47 Prozent). Deutlich abgelehnt wird die Rentenaltererhöhung hingegen im linken Lager. Die Zustimmungsrate beträgt in den Reihen der Grünen lediglich 14 Prozent und innerhalb der SP gar nur 5 Prozent.
Abbildung 1: Zustimmung zur Rentenaltererhöhung für beide Geschlechter nach Partei und Parteiwählerschaft (in %)
Anmerkung: Die Zustimmungsanteile enthalten die Antworten ‘ja’ und ‘eher ja’.
Betrachtet man die Zustimmungsraten für die sechs grössten Parteiwählerschaften, so sticht ins Auge, dass keine die Rentenaltererhöhung mehrheitlich befürwortet. Die höchsten Zustimmungsraten lassen sich bei der GLP (49 Prozent) und der FDP (46 Prozent) ausmachen, gefolgt von der CVP (40 Prozent). Auf wenig Zuspruch stösst diese Forderung nicht nur bei den Wählerschaften der Grünen (30 Prozent) und der SP (25 Prozent), sondern bemerkenswerterweise auch bei jener der SVP (28 Prozent).
Wenden wir uns nun den Zustimmungsdifferenzen zu. Diesbezüglich zeigt sich, dass die Kluft zwischen Elite und Basis bei drei Parteien besonders ausgeprägt ist. Dies betrifft die FDP (45 Prozent), die GLP (44 Prozent) sowie die SVP (35 Prozent). Diese Parteiwählerschaften stehen der Rentenaltererhöhung weit skeptischer gegenüber als ihren jeweiligen Kandidierenden.
Ein vergleichsweise kleiner Graben zeigt sich derweil bei der CVP (7 Prozent). Auf der linken Seite ergeben sich im Gegensatz dazu negative Differenzen: -16 Prozent bei den Grünen und -20 Prozent bei der SP. Somit erweisen sich die Wählenden dieser beiden Parteien gegenüber einer Erhöhung des Rentenalters als etwas aufgeschlossener als die Kandidierenden.
Mit Blick auf zukünftige Reformen der Altersvorsorge lässt sich festhalten, dass aufgrund des Konflikts zwischen Eliten und Basis ein Gelingen mit grossen Fragezeichen behaftet ist. Im Parlament mag eine Erhöhung des Rentenalters eine Mehrheit auf sich vereinigen. Ob dies im Fall einer Volksabstimmung auch in der Bevölkerung der Fall sein wird, kann aufgrund der vorliegenden Daten bezweifelt werden. Nicht nur im linken Lager, sondern auch innerhalb der bürgerlichen Wählerschaft scheinen die Vorbehalte gegen eine Rentenaltererhöhung für beide Geschlechter weit verbreitet zu sein.
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- Nachwahlbefragung von 6’664 Wahlberechtigten
- Dreimalige Befragung derselben Personen vor und nach den Wahlen mit zwischen 5’000 und 8’000 Wahlberechtigten pro Befragung
- Befragung von 2’158 Kandidatinnen und Kandidaten für den National- und Ständerat
- Medienstudie: Inhaltsanalyse von 87 traditionellen Medien (Print und Online) sowie den Auftritten der Kandidierenden und Parteien in den sozialen Medien (Twitter und Facebook)
Literatur:
- Tresch, Anke, Lauener, Lukas, Bernhard, Laurent, Lutz, Georg und Laura Scaperrotta (2020). Eidgenössische Wahlen 2019. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. FORS-Lausanne. Publikation auf Deutsch (erhältlich auch auf Französisch und Italienisch) unter www.selects.ch.
Bild: pixabay.com