Die Traditionswahl — wenn der Wahlentscheid vererbt wird

Die Über­nah­me des Wahl­ver­hal­tens der Eltern durch ihre Kin­der hat vor allem für die CVP eine gros­se Bedeu­tung. Bei der GLP und den Grü­nen spielt die Tra­di­ti­ons­wahl auf­grund des jun­gen Par­tei­al­ters hin­ge­gen eine neben­säch­li­che Rol­le. Die Her­kunft der Wäh­ler­schaf­ten die­ser bei­den öko­lo­gi­schen Par­tei­en unter­schei­det sich jedoch deut­lich: Wäh­rend die Wäh­len­den der GLP vor­wie­gend bür­ger­li­cher Her­kunft sind, kom­men jene der Grü­nen am häu­figs­ten aus SP-Fami­li­en. Dies zei­gen Ana­ly­sen, die im Rah­men der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects erstellt wurden.

Die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­ons­the­se geht davon aus, dass das Wahl­ver­hal­ten der Eltern einen gros­sen Ein­fluss auf die spä­te­re Par­tei­wahl jun­ger Erwach­se­ner aus­übt. Aus Sicht der Par­tei­en ist es nicht nur wün­schens­wert, dass sie neue Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler hin­zu­ge­win­nen oder ehe­ma­li­ge Wäh­len­de erneut mobi­li­sie­ren kön­nen, son­dern auch, dass sich die Par­tei­wahl der bestehen­den Anhän­ger­schaft über die Genera­tio­nen hin­weg fortsetzt.

Die Schwei­zer Wahl­stu­die Selects
Selects unter­sucht seit 1995 die Wahl­teil­nah­me und das Wahl­ver­hal­ten bei eid­ge­nös­si­schen Wah­len. Selects wird vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds (SNF) geför­dert und von FORS in Lau­sanne durch­ge­führt. Sämt­li­che Daten­sät­ze sind doku­men­tiert und für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke frei zugäng­lich.

Im Rah­men von Selects wur­den zu den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 umfang­rei­che Erhe­bun­gen durchgeführt:

  • Nach­wahl­be­fra­gung von 6’664 Wahlberechtigten
  • Drei­ma­li­ge Befra­gung der­sel­ben Per­so­nen vor und nach den Wah­len mit zwi­schen 5’000 und 8’000 Wahl­be­rech­tig­ten pro Befragung
  • Befra­gung von 2’158 Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten für den Natio­nal- und Ständerat
  • Medi­en­stu­die: Inhalts­ana­ly­se von 87 tra­di­tio­nel­len Medi­en (Print und Online) sowie den Auf­trit­ten der Kan­di­die­ren­den und Par­tei­en in den sozia­len Medi­en (Twit­ter und Facebook)
Wie haben die Eltern der Wählerinnen und Wähler von 2019 gewählt?

Auf die Fra­ge nach dem Wahl­ent­scheid des Vaters nann­ten 61 Pro­zent der Befrag­ten eine Par­tei. Neun Pro­zent gaben zu Pro­to­koll, dass ihr Vater (noch) nicht stimm­be­rech­tigt gewe­sen sei, drei Pro­zent, dass er nicht an Wah­len teil­ge­nom­men hät­te, und schliess­lich wuss­ten es 27 Pro­zent nicht oder gaben kei­ne Antwort.

Auf die Fra­ge nach dem Wahl­ent­scheid ihrer Mut­ter konn­ten nur 49 Pro­zent der Wäh­len­den eine Par­tei nen­nen. Auf­grund der ver­gleichs­wei­se spä­ten Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts in der Schweiz (1971), war der Anteil der­je­ni­gen Wäh­len­den, die anga­ben, ihre Mut­ter sei (noch) nicht wahl­be­rech­tigt gewe­sen, als sie 14 Jah­re alt waren, mit zwölf Pro­zent etwas höher als bei der Fra­ge nach dem Wahl­ent­scheid des Vaters. Zehn Pro­zent der befrag­ten Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler gaben an, dass ihre Mut­ter nicht gewählt hät­te, und 29 Pro­zent gaben kei­ne Ant­wort oder wuss­ten es schlicht nicht.

Traditionswahl für CVP am wichtigsten

Abbil­dung 1 zeigt die Bedeu­tung der Tra­di­ti­ons­wahl für die jewei­li­gen Wäh­ler­schaf­ten der sechs gröss­ten Par­tei­en der Schweiz. Die Aus­wer­tung beruht nur auf den­je­ni­gen Wäh­len­den, die Anga­ben zur Par­tei­wahl ihres Vaters und/oder Mut­ter machen konn­ten. Für die CVP hat die Tra­di­ti­ons­wahl eine her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung: Ins­ge­samt 84 Pro­zent ihrer Wäh­len­den gaben an, dass der Vater und/oder die Mut­ter bereits CVP gewählt hätte(n). Mit jeweils über fünf­zig Pro­zent von Wäh­len­den, die aus Haus­hal­ten stam­men, in denen der Vater und/oder die Mut­ter gleich gewählt hat­ten, ist die Tra­di­ti­ons­wahl auch für die FDP, SP und SVP wich­tig. Auf­grund des ver­gleichs­wei­se jun­gen Par­tei­al­ters der GLP und Grü­nen spielt die Tra­di­ti­ons­wahl für die bei­den öko­lo­gi­schen Par­tei­en hin­ge­gen noch kei­ne gros­se Rolle.

Abbildung 1: Wahlentscheid des Vaters bzw. der Mutter als die Wählenden jeweils 14 Jahre alt waren

Lese­bei­spiel: Von jenen, die 2019 SVP wähl­ten, gaben 47% der Befrag­ten an, weder ihr Vater noch ihre Mut­ter hät­ten SVP gewählt, als sie 14 Jah­re alt waren. Bei 19% der SVP-Wäh­len­den hat­te ent­we­der der Vater oder die Mut­ter bereits SVP gewählt und bei 34% sogar bei­de Eltern.

 

Abbil­dung 2 zeigt, wel­cher Par­tei die Eltern der Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern ihre Stim­me gaben, als die­se 14 Jah­re alt waren. Wie bereits erwähnt, ver­fügt die CVP über den weit­aus gröss­ten Anteil an Tra­di­ti­ons-Wäh­len­den: Rund drei Vier­tel ihrer Wäh­ler­schaft gibt an, dass bereits der Vater bzw. die Mut­ter CVP wählte.

Die CVP ist tra­di­tio­nel­ler­wei­se im katho­li­schen Milieu stark ver­an­kert – und bleibt es auch nach den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019. So erziel­te die Par­tei bei den Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken mit 22 Pro­zent einen Wäh­ler­an­teil, der fast dem Dop­pel­ten ihres gesamt­schwei­ze­ri­schen Resul­tats ent­sprach (vgl. Tresch et al. 2020).

Von der FDP-Wäh­ler­schaft gab jede zwei­te Per­son, die sich an die Par­tei­wahl des Vaters zurück­er­in­nern konn­te, an, dass die­ser eben­falls FDP gewählt hät­te. Die­ser Anteil war für die FDP-Wahl der Müt­ter von befrag­ten Per­so­nen etwas gerin­ger (43%).

Abbildung 2: Wahlentscheid des Vaters bzw. der Mutter als die Wählenden 14 Jahre alt waren

Lese­bei­spiel: Von jenen, die 2019 SVP wähl­ten, gaben 43% der Befrag­ten an, ihr Vater hät­te bereits SVP gewählt, als sie 14 Jah­re alt waren. 20% der SVP-Wäh­len­den sag­ten, ihr Vater hät­te FDP gewählt, 19% nann­ten die CVP und 13% die SP.

 

Von den SVP-Wäh­len­den gaben 43 Pro­zent der Befrag­ten an, dass bereits ihr Vater die SVP gewählt hat, und 39 Pro­zent, dass die Mut­ter dies bereits tat. Auf­grund des Umstan­des, dass die SVP in den 90er Jah­ren einen stei­len Auf­stieg zur wäh­ler­stärks­ten Par­tei erleb­te und sich in die­ser Zeit zuneh­mend radi­ka­li­sier­te, ist es nach­voll­zieh­bar, dass der Wert der Tra­di­ti­ons­wäh­len­den bei der SVP klei­ner ist als bei den rest­li­chen Bundesratsparteien.

So haben die Müt­ter und Väter heu­ti­ger SVP-Wäh­len­den noch mehr­heit­lich ande­re Par­tei­en gewählt. 20 Pro­zent der befrag­ten SVP-Wäh­le­rin­nen und ‑Wäh­ler gaben an, der Vater hät­te FDP gewählt, und bei der Par­tei­wahl der Mut­ter stand mit 26 Pro­zent die CVP an der Spitze.

Bei den Sozi­al­de­mo­kra­ten sticht der­weil ins Auge, dass mehr als die Hälf­te der Väter heu­ti­ger SP-Wäh­len­der bür­ger­lich gewählt hat. Nur ca. ein Drit­tel der Väter wähl­te bereits SP. Unter den Müt­tern waren es hin­ge­gen schon 44 Prozent.

GLP-Wählende kommen aus bürgerlichen, Grüne-Wählende aus linken Haushalten

Woher kom­men die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler der GLP und GPS, die nicht auf eine Tra­di­ti­ons­wäh­ler­schaft zäh­len kön­nen? Wie Abbil­dung 2 zu ent­neh­men ist, stammt die GLP-Wäh­ler­schaft zumeist aus bür­ger­li­chen Haus­hal­ten: Fast 70 Pro­zent der Väter und Müt­ter heu­ti­ger GLP-Wäh­len­der wähl­ten SVP, FDP oder CVP. Zudem gaben zwan­zig Pro­zent der GLP-Wäh­len­den an, dass die Mut­ter oder der Vater die SP gewählt hät­te, als sie/er 14 Jah­re alt waren.

Ein deut­lich ande­res Bild zeigt sich in der Wäh­ler­schaft der Grü­nen. Wäh­rend die Väter von GPS-Wäh­len­den häu­fig SP ein­leg­ten (30%) aber auch gut auf die FDP und CVP zu spre­chen waren (je 23%), stand bei Müt­tern von Grü­nen-Wäh­len­den die SP ganz klar am höchs­ten in der Wäh­ler­gunst (43%). Wer heu­te den Grü­nen die Stim­me gibt, kommt dem­nach am häu­figs­ten aus einem SP-Elternhaus.


Lite­ra­tur:

  • Tresch, Anke, Laue­ner, Lukas, Bern­hard, Lau­rent, Lutz, Georg und Lau­ra Scaper­rot­ta (2020). Eid­ge­nös­si­sche Wah­len 2019. Wahl­teil­nah­me und Wahl­ent­scheid. FORS-Lau­sanne. Publi­ka­ti­on auf Deutsch (erhält­lich auch auf Fran­zö­sisch und Ita­lie­nisch) unter www.selects.ch.

Bild: rawpixel.com

 

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