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Die Traditionswahl — wenn der Wahlentscheid vererbt wird

Lukas Lauener
3rd August 2020

Die Übernahme des Wahlverhaltens der Eltern durch ihre Kinder hat vor allem für die CVP eine grosse Bedeutung. Bei der GLP und den Grünen spielt die Traditionswahl aufgrund des jungen Parteialters hingegen eine nebensächliche Rolle. Die Herkunft der Wählerschaften dieser beiden ökologischen Parteien unterscheidet sich jedoch deutlich: Während die Wählenden der GLP vorwiegend bürgerlicher Herkunft sind, kommen jene der Grünen am häufigsten aus SP-Familien. Dies zeigen Analysen, die im Rahmen der Schweizer Wahlstudie Selects erstellt wurden.

Die politische Sozialisationsthese geht davon aus, dass das Wahlverhalten der Eltern einen grossen Einfluss auf die spätere Parteiwahl junger Erwachsener ausübt. Aus Sicht der Parteien ist es nicht nur wünschenswert, dass sie neue Wählerinnen und Wähler hinzugewinnen oder ehemalige Wählende erneut mobilisieren können, sondern auch, dass sich die Parteiwahl der bestehenden Anhängerschaft über die Generationen hinweg fortsetzt.

Die Schweizer Wahlstudie Selects
Selects untersucht seit 1995 die Wahlteilnahme und das Wahlverhalten bei eidgenössischen Wahlen. Selects wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert und von FORS in Lausanne durchgeführt. Sämtliche Datensätze sind dokumentiert und für wissenschaftliche Zwecke frei zugänglich.

Im Rahmen von Selects wurden zu den eidgenössischen Wahlen 2019 umfangreiche Erhebungen durchgeführt:

  • Nachwahlbefragung von 6'664 Wahlberechtigten
  • Dreimalige Befragung derselben Personen vor und nach den Wahlen mit zwischen 5'000 und 8'000 Wahlberechtigten pro Befragung
  • Befragung von 2'158 Kandidatinnen und Kandidaten für den National- und Ständerat
  • Medienstudie: Inhaltsanalyse von 87 traditionellen Medien (Print und Online) sowie den Auftritten der Kandidierenden und Parteien in den sozialen Medien (Twitter und Facebook)
Wie haben die Eltern der Wählerinnen und Wähler von 2019 gewählt?

Auf die Frage nach dem Wahlentscheid des Vaters nannten 61 Prozent der Befragten eine Partei. Neun Prozent gaben zu Protokoll, dass ihr Vater (noch) nicht stimmberechtigt gewesen sei, drei Prozent, dass er nicht an Wahlen teilgenommen hätte, und schliesslich wussten es 27 Prozent nicht oder gaben keine Antwort.

Auf die Frage nach dem Wahlentscheid ihrer Mutter konnten nur 49 Prozent der Wählenden eine Partei nennen. Aufgrund der vergleichsweise späten Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz (1971), war der Anteil derjenigen Wählenden, die angaben, ihre Mutter sei (noch) nicht wahlberechtigt gewesen, als sie 14 Jahre alt waren, mit zwölf Prozent etwas höher als bei der Frage nach dem Wahlentscheid des Vaters. Zehn Prozent der befragten Wählerinnen und Wähler gaben an, dass ihre Mutter nicht gewählt hätte, und 29 Prozent gaben keine Antwort oder wussten es schlicht nicht.

Traditionswahl für CVP am wichtigsten

Abbildung 1 zeigt die Bedeutung der Traditionswahl für die jeweiligen Wählerschaften der sechs grössten Parteien der Schweiz. Die Auswertung beruht nur auf denjenigen Wählenden, die Angaben zur Parteiwahl ihres Vaters und/oder Mutter machen konnten. Für die CVP hat die Traditionswahl eine herausragende Bedeutung: Insgesamt 84 Prozent ihrer Wählenden gaben an, dass der Vater und/oder die Mutter bereits CVP gewählt hätte(n). Mit jeweils über fünfzig Prozent von Wählenden, die aus Haushalten stammen, in denen der Vater und/oder die Mutter gleich gewählt hatten, ist die Traditionswahl auch für die FDP, SP und SVP wichtig. Aufgrund des vergleichsweise jungen Parteialters der GLP und Grünen spielt die Traditionswahl für die beiden ökologischen Parteien hingegen noch keine grosse Rolle.

Abbildung 1: Wahlentscheid des Vaters bzw. der Mutter als die Wählenden jeweils 14 Jahre alt waren

Lesebeispiel: Von jenen, die 2019 SVP wählten, gaben 47% der Befragten an, weder ihr Vater noch ihre Mutter hätten SVP gewählt, als sie 14 Jahre alt waren. Bei 19% der SVP-Wählenden hatte entweder der Vater oder die Mutter bereits SVP gewählt und bei 34% sogar beide Eltern.

 

Abbildung 2 zeigt, welcher Partei die Eltern der Wählerinnen und Wählern ihre Stimme gaben, als diese 14 Jahre alt waren. Wie bereits erwähnt, verfügt die CVP über den weitaus grössten Anteil an Traditions-Wählenden: Rund drei Viertel ihrer Wählerschaft gibt an, dass bereits der Vater bzw. die Mutter CVP wählte.

Die CVP ist traditionellerweise im katholischen Milieu stark verankert – und bleibt es auch nach den eidgenössischen Wahlen 2019. So erzielte die Partei bei den Katholikinnen und Katholiken mit 22 Prozent einen Wähleranteil, der fast dem Doppelten ihres gesamtschweizerischen Resultats entsprach (vgl. Tresch et al. 2020).

Von der FDP-Wählerschaft gab jede zweite Person, die sich an die Parteiwahl des Vaters zurückerinnern konnte, an, dass dieser ebenfalls FDP gewählt hätte. Dieser Anteil war für die FDP-Wahl der Mütter von befragten Personen etwas geringer (43%).

Abbildung 2: Wahlentscheid des Vaters bzw. der Mutter als die Wählenden 14 Jahre alt waren

Lesebeispiel: Von jenen, die 2019 SVP wählten, gaben 43% der Befragten an, ihr Vater hätte bereits SVP gewählt, als sie 14 Jahre alt waren. 20% der SVP-Wählenden sagten, ihr Vater hätte FDP gewählt, 19% nannten die CVP und 13% die SP.

 

Von den SVP-Wählenden gaben 43 Prozent der Befragten an, dass bereits ihr Vater die SVP gewählt hat, und 39 Prozent, dass die Mutter dies bereits tat. Aufgrund des Umstandes, dass die SVP in den 90er Jahren einen steilen Aufstieg zur wählerstärksten Partei erlebte und sich in dieser Zeit zunehmend radikalisierte, ist es nachvollziehbar, dass der Wert der Traditionswählenden bei der SVP kleiner ist als bei den restlichen Bundesratsparteien.

So haben die Mütter und Väter heutiger SVP-Wählenden noch mehrheitlich andere Parteien gewählt. 20 Prozent der befragten SVP-Wählerinnen und -Wähler gaben an, der Vater hätte FDP gewählt, und bei der Parteiwahl der Mutter stand mit 26 Prozent die CVP an der Spitze.

Bei den Sozialdemokraten sticht derweil ins Auge, dass mehr als die Hälfte der Väter heutiger SP-Wählender bürgerlich gewählt hat. Nur ca. ein Drittel der Väter wählte bereits SP. Unter den Müttern waren es hingegen schon 44 Prozent.

GLP-Wählende kommen aus bürgerlichen, Grüne-Wählende aus linken Haushalten

Woher kommen die Wählerinnen und Wähler der GLP und GPS, die nicht auf eine Traditionswählerschaft zählen können? Wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, stammt die GLP-Wählerschaft zumeist aus bürgerlichen Haushalten: Fast 70 Prozent der Väter und Mütter heutiger GLP-Wählender wählten SVP, FDP oder CVP. Zudem gaben zwanzig Prozent der GLP-Wählenden an, dass die Mutter oder der Vater die SP gewählt hätte, als sie/er 14 Jahre alt waren.

Ein deutlich anderes Bild zeigt sich in der Wählerschaft der Grünen. Während die Väter von GPS-Wählenden häufig SP einlegten (30%) aber auch gut auf die FDP und CVP zu sprechen waren (je 23%), stand bei Müttern von Grünen-Wählenden die SP ganz klar am höchsten in der Wählergunst (43%). Wer heute den Grünen die Stimme gibt, kommt demnach am häufigsten aus einem SP-Elternhaus.


Literatur:

  • Tresch, Anke, Lauener, Lukas, Bernhard, Laurent, Lutz, Georg und Laura Scaperrotta (2020). Eidgenössische Wahlen 2019. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. FORS-Lausanne. Publikation auf Deutsch (erhältlich auch auf Französisch und Italienisch) unter www.selects.ch.

Bild: rawpixel.com