Die Zukunft des Händeschüttelns — Wie das Coronavirus das Zusammenleben in Europa verändern kann

Auf die Fra­ge nach dem Hand­schlag sag­te der lei­ten­de US-Viro­lo­ge Dr. Fau­ci kürz­lich: “Ich glau­be nicht, dass wir uns jemals wie­der die Hand geben soll­ten”. Er ver­tritt die Ansicht, dass eine distan­zier­te­re Begrüs­sungs­form sowohl die Infek­ti­on mit dem Coro­na­vi­rus und der sai­so­na­len Grip­pe ver­min­dern wür­de. In Euro­pa, wo das Hän­de­schüt­teln in den letz­ten Jah­ren vor allem bei abge­lehn­ten Ein­bür­ge­run­gen immer wie­der für öffent­li­che Dis­kus­sio­nen sorg­te, könn­te die­se neue medi­zi­ni­sche Emp­feh­lung zu einer Ver­schie­bung der kul­tu­rel­len Para­me­ter führen.

Die Bei­spie­le sind zahl­reich: Im Jahr 2010 wur­de einer alge­ri­schen Frau in Frank­reich die Staats­bür­ger­schaft ver­wei­gert, weil sie dem männ­li­chen Beam­ten in der Pré­fec­tu­re de l’Isè­re die Hand nicht geben woll­te. Im Jahr 2016 wei­ger­te sich ein Stan­des­be­am­ter in Brüs­sel ein Paar zu trau­en, weil ihm die Braut wäh­rend der Zere­mo­nie den Hand­schlag verweigerte.

Die Stadt Ther­wil im Kan­ton Basel-Land­schaft ver­häng­te einem Eltern­paar sogar eine Bus­se von 5’000 Fran­ken, weil ihre Kin­der 2015 der Leh­re­rin nicht die Hand schüt­teln woll­ten. Bun­des­prä­si­den­tin Simo­net­ta Som­ma­ru­ga mein­te damals zu die­sem Fall, das Hän­de­schüt­teln gehö­re selbst­ver­ständ­lich “zur Schwei­zer Kul­tur”. Der Regie­rung des Kan­tons Basel­land ging noch wei­ter und liess ver­lau­ten, dass Lehr­per­so­nen das Recht haben, einen Hand­schlag zu ein­zu­for­dern.

In Däne­mark herrscht die strengs­te Hand­schlag­po­li­tik. Im Dezem­ber 2018 wur­de ein Gesetz ver­ab­schie­det, wel­ches den Hand­schlag bei allen Ein­bür­ge­rungs­ze­re­mo­nien zur Pflicht macht. Wer sich wei­gert, der Bür­ger­meis­te­rin, dem Bür­ger­meis­ter oder ande­ren Beamt*innen bei der Zere­mo­nie die Hand zu schüt­teln, dem kann die däni­sche Staats­bür­ger­schaft ver­wei­gert wer­den. Beim Aus­bruch der Covi­d19-Pan­de­mie hat Däne­mark dar­um sämt­li­che Ein­bür­ge­rungs­ze­re­mo­nien unter dem Mot­to “kein Hand­schlag, kei­ne Staats­bür­ger­schaft” abge­sagt, inzwi­schen wur­de die Hän­de­schüt­tel­re­gel aber tem­po­rär auf­ge­ho­ben.

Was hat es sich mit dem Händedruck genau auf sich?

Ober­fläch­lich betrach­tet, ist das Hän­de­schüt­teln nur eine Form der Begrü­ßung, die sich nicht grund­le­gend von Win­ken, Lächeln oder Ver­beu­gen unter­schei­det — oder Ell­bo­gen­stö­ße, Kopf­ni­cken und Luft­küs­se in den aktu­el­len Zeiten.

In den kul­tu­rell sehr unter­schied­li­chen euro­päi­schen Gesell­schaf­ten ist der Hand­schlag für das Zusam­men­le­ben aber essen­ti­ell gewor­den und wird viel­fäl­tig ein­ge­setzt. Auf das Prin­zip des Zusam­men­le­bens stütz­te sich der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te als er das fran­zö­si­sche Bur­ka-Ver­bot bestä­tig­te. Er sorg­te damit für sehr viel Auf­re­gung und begrün­de­te sei­ne Ent­schei­dung damit, dass die Fra­ge, ob es einer Frau “erlaubt sein soll­te, an öffent­li­chen Orten einen Voll­ge­sichts­schlei­er zu tra­gen, eine Ent­schei­dung der Gesell­schaft sei”, doch das Zusam­men­le­ben in einer Gesell­schaft erfor­de­re von allen Mit­glie­der ein Min­dest­mass an sozia­ler Inter­ak­ti­on, so das Gericht.

Hygienemaske als Bürgerpflicht

Seit dem Aus­bruch der Covi­d19-Pen­de­mie sind Hygie­ne­mas­ken auch im Stras­sen­bild euro­päi­scher Län­der all­ge­gen­wär­tig. Die Art der Gesichts­ver­schleie­rung durch Hygie­ne­mas­ken wird als Akt der Bür­ger­pflicht zum Schutz ver­letz­li­cher Gesell­schafts­mit­glie­der ver­stan­den. Öster­reich, die Slo­wa­kei, Deutsch­land und Frank­reich haben eine Mas­ken­pflicht im öffent­li­chen Raum für bestimm­te Situa­tio­nen emp­foh­len oder bereits umge­setzt.

In der aktu­el­len Gesund­heits­kri­se ermög­licht das Tra­gen von Hygie­ne­mas­ken den Men­schen, am öffent­li­chen Leben teil­zu­neh­men und ihren Ver­pflich­tun­gen nach­zu­ge­hen — obwohl damit die Gesich­ter der Trä­ge­rin­nen und Trä­ger ver­deckt wer­den. Aller­dings geht es dabei momen­tan aber ein­zig dar­um, das Zusam­men­le­ben wäh­rend der Pan­de­mie zu erleich­tern, und nicht um eine Defi­ni­ti­on des­sen, was genau die­ses Zusam­men­le­ben eigent­lich genau bedeutet.

Covid19 macht den Weg frei für die Diskussion über die europäische Begrüssungsform der Zukunft

Die aktu­el­le Kri­se hat unse­re sozia­len Inter­ak­tio­nen vor­über­ge­hend desta­bi­li­siert, aber auch eine Gele­gen­heit geschaf­fen, über alter­na­ti­ve Begrüs­sungs­for­men nach­zu­den­ken. Die Ver­ord­nun­gen vie­ler Regie­run­gen, auf Grund der Covi­d19-Pan­de­mie das Hän­de­schüt­teln zu unter­las­sen und das Gesicht zu bede­cken, zeigt, dass man­che Gewohn­hei­ten für das gesell­schaft­li­che Zusam­men­le­ben nicht zwin­gend not­wen­dig sind. Anstatt an Kon­ven­tio­nen fest­zu­hal­ten, soll­ten die poli­ti­schen Entscheidungsträger*innen in Zukunft folg­lich tole­ran­ter gegen­über Gruss­for­men und unter­schied­li­chen Klei­der­ord­nun­gen sein. 


Hin­weis:

Der Bei­trag The Future of Hand­shaking — How Coro­na­vi­rus Can Trans­form ‘Living Tog­e­ther’ in Euro­pe wur­de am 27. April auf verfassungsblog.de publiziert.

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