1

Die Zukunft des Händeschüttelns — Wie das Coronavirus das Zusammenleben in Europa verändern kann

Ashley Mantha-Hollands, Liav Orgad
30th April 2020

Auf die Frage nach dem Handschlag sagte der leitende US-Virologe Dr. Fauci kürzlich: "Ich glaube nicht, dass wir uns jemals wieder die Hand geben sollten". Er vertritt die Ansicht, dass eine distanziertere Begrüssungsform sowohl die Infektion mit dem Coronavirus und der saisonalen Grippe vermindern würde. In Europa, wo das Händeschütteln in den letzten Jahren vor allem bei abgelehnten Einbürgerungen immer wieder für öffentliche Diskussionen sorgte, könnte diese neue medizinische Empfehlung zu einer Verschiebung der kulturellen Parameter führen.

Die Beispiele sind zahlreich: Im Jahr 2010 wurde einer algerischen Frau in Frankreich die Staatsbürgerschaft verweigert, weil sie dem männlichen Beamten in der Préfecture de l'Isère die Hand nicht geben wollte. Im Jahr 2016 weigerte sich ein Standesbeamter in Brüssel ein Paar zu trauen, weil ihm die Braut während der Zeremonie den Handschlag verweigerte.

Die Stadt Therwil im Kanton Basel-Landschaft verhängte einem Elternpaar sogar eine Busse von 5'000 Franken, weil ihre Kinder 2015 der Lehrerin nicht die Hand schütteln wollten. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga meinte damals zu diesem Fall, das Händeschütteln gehöre selbstverständlich "zur Schweizer Kultur". Der Regierung des Kantons Baselland ging noch weiter und liess verlauten, dass Lehrpersonen das Recht haben, einen Handschlag zu einzufordern.

In Dänemark herrscht die strengste Handschlagpolitik. Im Dezember 2018 wurde ein Gesetz verabschiedet, welches den Handschlag bei allen Einbürgerungszeremonien zur Pflicht macht. Wer sich weigert, der Bürgermeisterin, dem Bürgermeister oder anderen Beamt*innen bei der Zeremonie die Hand zu schütteln, dem kann die dänische Staatsbürgerschaft verweigert werden. Beim Ausbruch der Covid19-Pandemie hat Dänemark darum sämtliche Einbürgerungszeremonien unter dem Motto "kein Handschlag, keine Staatsbürgerschaft" abgesagt, inzwischen wurde die Händeschüttelregel aber temporär aufgehoben.

Was hat es sich mit dem Händedruck genau auf sich?

Oberflächlich betrachtet, ist das Händeschütteln nur eine Form der Begrüßung, die sich nicht grundlegend von Winken, Lächeln oder Verbeugen unterscheidet - oder Ellbogenstöße, Kopfnicken und Luftküsse in den aktuellen Zeiten.

In den kulturell sehr unterschiedlichen europäischen Gesellschaften ist der Handschlag für das Zusammenleben aber essentiell geworden und wird vielfältig eingesetzt. Auf das Prinzip des Zusammenlebens stützte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als er das französische Burka-Verbot bestätigte. Er sorgte damit für sehr viel Aufregung und begründete seine Entscheidung damit, dass die Frage, ob es einer Frau "erlaubt sein sollte, an öffentlichen Orten einen Vollgesichtsschleier zu tragen, eine Entscheidung der Gesellschaft sei", doch das Zusammenleben in einer Gesellschaft erfordere von allen Mitglieder ein Mindestmass an sozialer Interaktion, so das Gericht.

Hygienemaske als Bürgerpflicht

Seit dem Ausbruch der Covid19-Pendemie sind Hygienemasken auch im Strassenbild europäischer Länder allgegenwärtig. Die Art der Gesichtsverschleierung durch Hygienemasken wird als Akt der Bürgerpflicht zum Schutz verletzlicher Gesellschaftsmitglieder verstanden. Österreich, die Slowakei, Deutschland und Frankreich haben eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum für bestimmte Situationen empfohlen oder bereits umgesetzt.

In der aktuellen Gesundheitskrise ermöglicht das Tragen von Hygienemasken den Menschen, am öffentlichen Leben teilzunehmen und ihren Verpflichtungen nachzugehen - obwohl damit die Gesichter der Trägerinnen und Träger verdeckt werden. Allerdings geht es dabei momentan aber einzig darum, das Zusammenleben während der Pandemie zu erleichtern, und nicht um eine Definition dessen, was genau dieses Zusammenleben eigentlich genau bedeutet.

Covid19 macht den Weg frei für die Diskussion über die europäische Begrüssungsform der Zukunft

Die aktuelle Krise hat unsere sozialen Interaktionen vorübergehend destabilisiert, aber auch eine Gelegenheit geschaffen, über alternative Begrüssungsformen nachzudenken. Die Verordnungen vieler Regierungen, auf Grund der Covid19-Pandemie das Händeschütteln zu unterlassen und das Gesicht zu bedecken, zeigt, dass manche Gewohnheiten für das gesellschaftliche Zusammenleben nicht zwingend notwendig sind. Anstatt an Konventionen festzuhalten, sollten die politischen Entscheidungsträger*innen in Zukunft folglich toleranter gegenüber Grussformen und unterschiedlichen Kleiderordnungen sein. 


Hinweis:

Der Beitrag The Future of Handshaking - How Coronavirus Can Transform 'Living Together' in Europe wurde am 27. April auf verfassungsblog.de publiziert.