Soll das Parlament ein Exekutivmitglied abwählen können? Eine brisante Frage im politischen System der Schweiz

Seit eini­gen Mona­ten wird rege dis­ku­tiert, ob ein Mit­glied der Gen­fer Regie­rung zurück­tre­ten muss oder nicht. Eine Rege­lung für eine Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren exi­si­tiert im Kan­ton Genf nicht — dies im Gegen­satz zu ande­ren Kan­to­nen. Im Fol­gen­den wer­den die in der Schweiz bestehen­den Mög­lich­kei­ten zur Abbe­ru­fung einer Exe­ku­ti­ve analyisiert. 

Regelungen zur Amtsenthebung in den Kantonen

In eini­gen weni­gen Kan­to­nen bestehen Rege­lun­gen für die Abbe­ru­fung von Exe­ku­tiv­mit­glie­dern. Grund­sätz­lich müs­sen sys­te­ma­tisch zwei Vari­an­ten unter­schie­den wer­den: Bestim­mun­gen in den Kan­tons­ver­fas­sun­gen (BE, UR, SO, SH, TG, TI) und in der ein­fa­chen Gesetz­ge­bung. Der Unter­schied ist von Bedeu­tung, weil sich Anwend­bar­keit sowie Prak­ti­ka­bi­li­tät unterscheiden.

Ver­fas­sungs­recht­lich ist fest­ge­schrie­ben, dass die kom­plet­te Exe­ku­ti­ve und/oder Legis­la­ti­ve mit­tels einer Volks­in­itia­ti­ve mit der jeweils nöti­gen Anzahl Unter­schrif­ten und anschlie­ßend erfolg­rei­cher Abstim­mung abbe­ru­fen wer­den kön­nen. In der Pra­xis hat die­ses Instru­ment kei­ne Bedeutung. 

Affä­re Maudet
Die Staats­an­walt­schaft ermit­telt gegen den Gen­fer Regie­rungs­rat Pierre Mau­det wegen Anfangs­ver­dachts auf Vor­teils­nah­me. In die­ser Cau­sa sag­te Mau­det zuerst die Unwahr­heit, was er spä­ter zugab und sein Bedau­ern dar­über aus­drück­te. Er sieht aber kei­nen Anlass, von sei­nem Regie­rungs­amt zurück­zu­tre­ten, da kein rechts­kräf­ti­ges Urteil bestehe.

Im Gegen­satz zu den Ver­fas­sungs­be­stim­mun­gen bringt die Rege­lung auf Geset­zes­stu­fe drei Vor­tei­le: Ers­tens kann die Abbe­ru­fung detail­lier­ter erfasst wer­den. Zwei­tens kön­nen ein­zel­ne Exe­ku­tiv­mit­glie­der abbe­ru­fen wer­den, und drit­tens ist eine Abbe­ru­fung schnel­ler mög­lich. Drei Kan­to­ne haben die­sen Weg gewählt.

Im Kan­ton Grau­bün­den ist in der Ver­fas­sung fol­gen­des ver­an­kert: Das Gesetz regelt die Ein­stel­lung im Amt und die Amts­ent­he­bung von Mit­glie­dern von Behör­den und Gerich­ten. Basie­rend auf die­ser Ver­fas­sungs­be­stim­mung wur­de auf Geset­zes­stu­fe ver­an­kert, dass die Legis­la­ti­ve mit einer Mehr­heit von drei Vier­tel ein Mit­glied des Par­la­ments oder der Regie­rung vor Ablauf der Amts­dau­er des Amts ent­he­ben kann, wenn es:

  • vor­sätz­lich oder grob fahr­läs­sig Amts­pflich­ten schwer ver­letzt hat;
  • die Fähig­keit, das Amt aus­zu­üben, auf Dau­er ver­lo­ren hat;
  • wegen eines Ver­bre­chens rechts­kräf­tig ver­ur­teilt wurde.

Das Par­la­ment lei­tet von Amtes wegen oder auf Anzei­ge hin ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren ein, wenn es von einem Amts­ent­he­bungs­grund Kennt­nis erhält. Die Instruk­ti­on des Ein­lei­tungs­be­schlus­ses, die Durch­füh­rung der Unter­su­chung und die Instruk­ti­on des Ent­scheids oblie­gen der par­la­men­ta­ri­schen Kom­mis­si­on für Jus­tiz und Sicherheit.

Im Kan­ton Neu­en­burg war ein Regie­rungs­mit­glied auf­grund des Drucks der eige­nen Par­tei zurück­ge­tre­ten, weil der Ver­dacht auf Amts­miss­brauch bestand. Die­ser Fall gab 2014 den Anlass, die Kan­tons­ver­fas­sung zu ergän­zen: Nun­mehr kann ein Gesetz die Ent­las­sung von Mit­glie­dern des Staats­ra­tes und der Jus­tiz­be­hör­den sowie die Auf­lö­sung des Staats­ra­tes vorsehen.

Im Gesetz wur­de kon­kre­ti­siert, dass die Legis­la­ti­ve durch einen mit einer Mehr­heit von drei Vier­teln sei­ner Mit­glie­der erlas­se­nen Beschluss ein Mit­glied des Staats­ra­tes aus trif­ti­gen Grün­den abset­zen kann. Als trif­ti­ger Grund gel­ten alle Umstän­de, auch unver­schul­de­te, die nach den Regeln von Treu und Glau­ben die Fort­set­zung des Man­dats aus­schlie­ßen. Ins­be­son­de­re kann das Par­la­ment ein Mit­glied der Exe­ku­ti­ve abbe­ru­fen, wenn dieses:

  • dau­er­haft nicht in der Lage ist, sein Amt auszuführen;
  • gegen die Pflich­ten sei­nes Man­dats in schwer­wie­gen­der Wei­se ver­sto­ßen oder die Wür­de sei­nes Man­dats vor­sätz­lich oder fahr­läs­sig ernst­haft ver­letzt hat;
  • wegen einer Straf­tat ver­ur­teilt wur­de, deren Art oder Schwe­re mit der Aus­übung sei­nes Man­dats unver­ein­bar sind.

Die Initia­ti­ve zur Ein­lei­tung eines Amts­ent­he­bungs­ver­fah­rens obliegt der Regie­rung, der Geschäfts­lei­tung des Par­la­ments oder der par­la­men­ta­ri­schen Geschäfts­prü­fungs­kom­mis­si­on. Folgt das Par­la­ment dem Vor­schlag zur Ein­lei­tung eines Amts­ent­he­bungs­ver­fah­rens, wird eine tem­po­rä­re Ad-hoc-Kom­mis­si­on ein­ge­setzt. Sobald das Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet ist, kann die Legis­la­ti­ve die vor­läu­fi­ge Frei­stel­lung des Mit­glieds der Regie­rung mit oder ohne Gehalts­ent­zug aussprechen.

Im Kan­ton Nid­wal­den ist die Legis­la­ti­ve für die Abbe­ru­fung von Mit­glie­dern des Par­la­ments, der von ihm gewähl­ten Ver­wal­tungs­be­hör­den, des Ver­wal­tungs­ge­richts, des Ober­ge­richts sowie der Exe­ku­ti­ve zustän­dig. Die Abbe­ru­fung darf nur ver­fügt wer­den, wenn sich das Mit­glied eine schwe­re Amts­pflicht­ver­let­zung hat zuschul­den kom­men las­sen und/oder schon wie­der­holt zu Dis­zi­pli­nar­stra­fen ver­ur­teilt wor­den ist. Die Bestim­mun­gen in Nid­wal­den sind wie in Grau­bün­den und Neu­en­burg detail­liert aus­ge­führt und beschrei­ben ver­schie­de­ne Stu­fen einer Abberufung.

Sinnvolle Amtsenthebung ohne parteipolitische Instrumentalisierung

Drei Kan­to­ne haben die Amts­ent­he­bung von Exe­ku­tiv­mit­glie­dern gere­gelt. Dabei han­delt es sich um fein aus­ta­rier­te rechts­staat­li­che Ver­fah­ren, wie bei einer Amts­ent­he­bung vor­zu­ge­hen ist. Die­se Bestim­mun­gen wie die Moti­ve für ihre Ein­füh­rung brin­gen zum Aus­druck, dass eine poli­ti­sche Abwahl weder erwünscht noch beab­sich­tigt ist. Es sind recht­li­che Ver­fah­ren und eben nicht poli­ti­sche Miss­trau­ens­vo­ten, dies ist ein sys­te­ma­ti­scher Unter­schied in der Schweiz im Ver­gleich mit ande­ren Ländern.

Es gab kan­to­na­le Par­la­men­te, die bewusst auf eine Rege­lung ver­zich­te­ten, weil kein Hand­lungs­be­darf erkannt wur­de oder ande­re Mecha­nis­men wie poli­ti­scher Druck für aus­rei­chend gehal­ten wur­den. Der aktu­el­le Fall in Genf zeigt aber, wie pro­ble­ma­tisch es sein kann, wenn kei­ne Rege­lun­gen für eine Abbe­ru­fung bestehen.

Auch wenn am Ende kei­ne straf­recht­li­che Ver­feh­lung von Staats­rat Mau­det vor­liegt, wird durch die Affä­re das Ver­trau­en in die Poli­tik gene­rell, in Poli­ti­ker im Spe­zi­el­len sowie in poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen beschä­digt. Inso­fern sind die gesetz­li­chen Bestim­mun­gen in den drei Kan­to­nen, wonach die schwe­re Ver­let­zung der Amts­pflich­ten als ein Grund für eine Abbe­ru­fung defi­niert wur­den, folgerichtig.


Refe­renz:

 

Bild: wiki­com­mons (Graf­fi­ti auf dem Pont de la Cou­le­v­reniè­re in Genf, Pro­test gegen die Poli­tik von Regie­rungs­rat Pierre Maudet).

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