Rederecht und effiziente Entscheidfindung in der Bundesversammlung

Die Schwei­ze­ri­sche Bun­des­ver­samm­lung ist ein aus­ge­präg­tes Arbeits­par­la­ment. Damit die par­la­men­ta­ri­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se trans­pa­rent gemacht wer­den kön­nen, spie­len jedoch auch Ple­nar­de­bat­ten eine wich­ti­ge Rol­le. In die­sem Bei­trag wird auf­ge­zeigt, dass die Schwei­ze­ri­sche Bun­des­ver­samm­lung schon seit ihren Anfän­gen um ein Gleich­ge­wicht zwi­schen dem Rede­recht ihrer Mit­glie­der und effi­zi­en­ter Ent­scheid­fin­dung gerun­gen hat.

Debatten sind wichtig

In der Schwei­ze­ri­schen Bun­des­ver­samm­lung kommt den vor­be­ra­ten­den Kom­mis­sio­nen eine gros­se Bedeu­tung zu. Die Geschäf­te wer­den hier aus­führ­lich dis­ku­tiert und gestal­tet, die wesent­li­chen Ent­schei­de vor­ge­spurt. Dies bedeu­tet nicht, dass die Ple­nar­de­bat­ten dadurch unwich­tig wer­den: Gera­de wenn die Par­la­ments­ar­beit zu einem gros­sen Teil in ver­trau­li­chen Kom­mis­si­ons­it­zun­gen geleis­tet wird, ist es wich­tig, dass in den Ple­nar­de­bat­ten Trans­pa­renz geschaf­fen wird.

Rederechtbeschränkungen im Nationalrat

Par­la­ments­de­bat­ten ermög­li­chen es den Abge­ord­ne­ten, ihre Posi­tio­nen gegen­über ihren Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern dar­zu­le­gen. Die Rats­mit­glie­der nut­zen des­halb das Rede­recht ger­ne, um dies wort­reich zu tun. Schon im 19. Jahr­hun­dert zeu­gen Medi­en­be­rich­te von lan­gen Rede­schlach­ten und aus­ufern­den Sit­zun­gen im Natio­nal­rat. Ers­te Beschrän­kun­gen der Wort­mel­dun­gen fin­den sich des­halb schon in frü­hen Rats­re­gle­men­ten. Nach dem ers­ten Welt­krieg wur­de dann auch erst­mals die Zeit für eine Wort­mel­dung begrenzt, wobei das Regle­ment von 1920 den Rats­mit­glie­dern immer­hin noch 2 Voten zu 30 Minu­ten zuge­stand. Undenk­bar heu­te! Seit 1990 dür­fen Ein­zel­red­ne­rin­nen und Ein­zel­red­ner im Natio­nal­rat noch fünf Minu­ten spre­chen. Dazu kommt, dass nur bei den wenigs­ten Geschäf­ten alle Mit­glie­der des Rates spre­chen dür­fen: Der Natio­nal­rat teilt sei­ne Geschäf­te ver­schie­de­nen Kate­go­rien mit abge­stuf­ten Rede­rech­ten zu. In der Regel dür­fen neben den Bericht­erstat­te­rin­nen und Bericht­erstat­tern der Kom­mis­sio­nen nur die Antrag­stel­len­den spre­chen, in gewis­sen Kate­go­rien auch die­se nicht. 

Im Stän­de­rat hin­ge­gen gibt es kei­ne Beschrän­kun­gen des Rede­rechts oder der Redezeit.

Effizienz oder Redefreiheit?

In Par­la­men­ten soll­te jedoch nicht nur gespro­chen wer­den, son­dern die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger erwar­ten von ihren Reprä­sen­tan­tin­nen und Reprä­sen­tan­ten auch Ent­schei­de. Dabei müs­sen leben­di­ge Debat­ten, in wel­chen die ver­schie­de­nen Stand­punk­te öffent­lich dis­ku­tiert wer­den, und effi­zi­en­te Ent­scheid­fin­dung in ein Gleich­ge­wicht gebracht wer­den. All­zu ein­sei­tig auf Effi­zi­enz getrimm­te demo­kra­ti­sche Ent­schei­dungs­pro­zes­se sind daher auch kri­tisch zu beur­tei­len: Zen­tra­li­sier­te, auf mög­lichst rasche Ent­scheid­fin­dung aus­ge­leg­te Par­la­men­te sind vor allem im Inter­es­se von macht­ori­en­tier­ten Exe­ku­ti­ven, wel­che ihre Vor­la­gen mög­lichst unbe­scha­det durch den par­la­men­ta­ri­schen Pro­zess schleu­sen wollen.

Die Bun­des­ver­samm­lung ist dann an die Gren­zen der Ein­schrän­kung des Rede­rechts gestos­sen, als sich der Stän­de­rat mit Vor­stös­sen aus dem Natio­nal­rat kon­fron­tiert sah, zu denen die­ser gar kei­ne Debat­te geführt hat­te. Dies führ­te zu einer Ände­rung des Par­la­ments­rechts, wonach bei der Behand­lung bestrit­te­ner Vor­stös­se ein mini­ma­les Rede­recht garan­tiert sein muss. Mit die­ser Ände­rung wur­de ver­sucht, die för­der­li­che Geschäfts­er­le­di­gung mit einem Min­dest­an­spruch an Rede­recht in Ein­klang zu brin­gen. So muss der Natio­nal­rat auch bei der Art und Wei­se, wie er umfang­rei­che Vor­la­gen behan­deln will, immer eine Güter­ab­wä­gung zwi­schen Quan­ti­tät und Effi­zi­enz der par­la­men­ta­ri­schen Arbeit einer­seits und deren Qua­li­tät und Effek­ti­vi­tät ande­rer­seits vor­neh­men. Die zusam­men­fas­sen­de Behand­lung ver­schie­de­ner Bestim­mun­gen eines Geset­zes­ent­wur­fes in einem Block ermög­licht es, die Vor­la­ge in ver­nünf­ti­ger Zeit zu behan­deln. Auf der ande­ren Sei­te ist dar­auf zu ach­ten, dass die Über­sicht der Debat­te und ins­be­son­de­re der Zusam­men­hang zwi­schen Debat­te und Ent­scheid­fin­dung nicht ver­lo­ren geht.

Konkordanz in Parlamentsdebatten

Im schwei­ze­ri­schen par­la­men­ta­ri­schen Sys­tem wird Kon­kor­danz nicht in den Par­la­ments­de­bat­ten her­ge­stellt. Den Debat­ten in den Räten ist bereits ein lan­ger par­la­men­ta­ri­scher Pro­zess auf Kom­mis­si­ons­ebe­ne vor­aus­ge­gan­gen. Wenn nun in den Rats­de­bat­ten den­noch laut­hals gestrit­ten wird, so ist das nicht Aus­druck einer brö­ckeln­den Kon­kor­danz, son­dern viel­mehr einer geleb­ten Demo­kra­tie. Kon­kor­danz bedeu­tet nicht, dass alle Par­tei­en immer glei­cher Mei­nung sein müs­sen, son­dern dass sich bei den ver­schie­de­nen poli­ti­schen The­men immer wie­der ver­schie­de­ne poli­ti­sche Alli­an­zen bil­den, die eine Lösung suchen und ver­tre­ten. Es ist des­halb logisch und auch wün­schens­wert, dass die Min­der­hei­ten­po­si­tio­nen in den Räten deut­lich zum Aus­druck gebracht wer­den. Kon­kor­danz funk­tio­niert dann gut, wenn nicht immer die glei­chen Par­tei­en in der Min­der­heit sind und wenn alle Par­tei­en am Anfang des Pro­zes­ses ver­su­chen, zu einer breit abge­stütz­ten Lösung zu kommen.


Refe­renz

Lüthi, Ruth (2019). Debat­tie­ren in der Bun­des­ver­samm­lung im Span­nungs­feld zwi­schen Rede­frei­heit und effi­zi­en­ter Ent­scheid­fin­dung. In: Kon­kor­danz im Par­la­ment. Zürich: NZZ Libro, Rei­he „Poli­tik und Gesell­schaft in der Schweiz“.

Bild: Par­la­ments­diens­te 3003 Bern

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