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Rederecht und effiziente Entscheidfindung in der Bundesversammlung

Ruth Lüthi
25th November 2019

Die Schweizerische Bundesversammlung ist ein ausgeprägtes Arbeitsparlament. Damit die parlamentarischen Entscheidungsprozesse transparent gemacht werden können, spielen jedoch auch Plenardebatten eine wichtige Rolle. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, dass die Schweizerische Bundesversammlung schon seit ihren Anfängen um ein Gleichgewicht zwischen dem Rederecht ihrer Mitglieder und effizienter Entscheidfindung gerungen hat.

Debatten sind wichtig

In der Schweizerischen Bundesversammlung kommt den vorberatenden Kommissionen eine grosse Bedeutung zu. Die Geschäfte werden hier ausführlich diskutiert und gestaltet, die wesentlichen Entscheide vorgespurt. Dies bedeutet nicht, dass die Plenardebatten dadurch unwichtig werden: Gerade wenn die Parlamentsarbeit zu einem grossen Teil in vertraulichen Kommissionsitzungen geleistet wird, ist es wichtig, dass in den Plenardebatten Transparenz geschaffen wird.

Rederechtbeschränkungen im Nationalrat

Parlamentsdebatten ermöglichen es den Abgeordneten, ihre Positionen gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern darzulegen. Die Ratsmitglieder nutzen deshalb das Rederecht gerne, um dies wortreich zu tun. Schon im 19. Jahrhundert zeugen Medienberichte von langen Redeschlachten und ausufernden Sitzungen im Nationalrat. Erste Beschränkungen der Wortmeldungen finden sich deshalb schon in frühen Ratsreglementen. Nach dem ersten Weltkrieg wurde dann auch erstmals die Zeit für eine Wortmeldung begrenzt, wobei das Reglement von 1920 den Ratsmitgliedern immerhin noch 2 Voten zu 30 Minuten zugestand. Undenkbar heute! Seit 1990 dürfen Einzelrednerinnen und Einzelredner im Nationalrat noch fünf Minuten sprechen. Dazu kommt, dass nur bei den wenigsten Geschäften alle Mitglieder des Rates sprechen dürfen: Der Nationalrat teilt seine Geschäfte verschiedenen Kategorien mit abgestuften Rederechten zu. In der Regel dürfen neben den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Kommissionen nur die Antragstellenden sprechen, in gewissen Kategorien auch diese nicht. 

Im Ständerat hingegen gibt es keine Beschränkungen des Rederechts oder der Redezeit.

Effizienz oder Redefreiheit?

In Parlamenten sollte jedoch nicht nur gesprochen werden, sondern die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten auch Entscheide. Dabei müssen lebendige Debatten, in welchen die verschiedenen Standpunkte öffentlich diskutiert werden, und effiziente Entscheidfindung in ein Gleichgewicht gebracht werden. Allzu einseitig auf Effizienz getrimmte demokratische Entscheidungsprozesse sind daher auch kritisch zu beurteilen: Zentralisierte, auf möglichst rasche Entscheidfindung ausgelegte Parlamente sind vor allem im Interesse von machtorientierten Exekutiven, welche ihre Vorlagen möglichst unbeschadet durch den parlamentarischen Prozess schleusen wollen.

Die Bundesversammlung ist dann an die Grenzen der Einschränkung des Rederechts gestossen, als sich der Ständerat mit Vorstössen aus dem Nationalrat konfrontiert sah, zu denen dieser gar keine Debatte geführt hatte. Dies führte zu einer Änderung des Parlamentsrechts, wonach bei der Behandlung bestrittener Vorstösse ein minimales Rederecht garantiert sein muss. Mit dieser Änderung wurde versucht, die förderliche Geschäftserledigung mit einem Mindestanspruch an Rederecht in Einklang zu bringen. So muss der Nationalrat auch bei der Art und Weise, wie er umfangreiche Vorlagen behandeln will, immer eine Güterabwägung zwischen Quantität und Effizienz der parlamentarischen Arbeit einerseits und deren Qualität und Effektivität andererseits vornehmen. Die zusammenfassende Behandlung verschiedener Bestimmungen eines Gesetzesentwurfes in einem Block ermöglicht es, die Vorlage in vernünftiger Zeit zu behandeln. Auf der anderen Seite ist darauf zu achten, dass die Übersicht der Debatte und insbesondere der Zusammenhang zwischen Debatte und Entscheidfindung nicht verloren geht.

Konkordanz in Parlamentsdebatten

Im schweizerischen parlamentarischen System wird Konkordanz nicht in den Parlamentsdebatten hergestellt. Den Debatten in den Räten ist bereits ein langer parlamentarischer Prozess auf Kommissionsebene vorausgegangen. Wenn nun in den Ratsdebatten dennoch lauthals gestritten wird, so ist das nicht Ausdruck einer bröckelnden Konkordanz, sondern vielmehr einer gelebten Demokratie. Konkordanz bedeutet nicht, dass alle Parteien immer gleicher Meinung sein müssen, sondern dass sich bei den verschiedenen politischen Themen immer wieder verschiedene politische Allianzen bilden, die eine Lösung suchen und vertreten. Es ist deshalb logisch und auch wünschenswert, dass die Minderheitenpositionen in den Räten deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Konkordanz funktioniert dann gut, wenn nicht immer die gleichen Parteien in der Minderheit sind und wenn alle Parteien am Anfang des Prozesses versuchen, zu einer breit abgestützten Lösung zu kommen.


Referenz

Lüthi, Ruth (2019). Debattieren in der Bundesversammlung im Spannungsfeld zwischen Redefreiheit und effizienter Entscheidfindung. In: Konkordanz im Parlament. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.

Bild: Parlamentsdienste 3003 Bern