Männer für Verteidigung, Frauen für Soziales? Was die Bürger*innen über die Kompetenzen von Männern und Frauen in der Politik denken

Nicht erst seit dem Frau­en­streik vom 14. Juni 2019 wird das The­ma der Geschlech­ter­gleich­stel­lung in der Poli­tik wie­der ver­mehrt dis­ku­tiert. Doch wie sieht es mit die­ser in der Schweiz aus? Was den­ken die Bürger*innen über die Eigen­schaf­ten und Kom­pe­ten­zen, wel­che Frau­en und Män­ner in die Poli­tik hin­ein­tra­gen? Die­se Bei­trag geht der Wahr­neh­mung von Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern auf den Grund.

Das über­par­tei­li­che Pro­jekt «Hel­ve­tia ruft» hat sich zum Ziel gesetzt, für die natio­na­len Wah­len im Herbst mehr Frau­en nach Bern zu schi­cken und hat kürz­lich aus­ge­wer­tet, dass es in der Tat mehr Kan­di­da­tin­nen auf den Lis­ten hat — im Durch­schnitt rund 39%. Dies kann aber nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass auch nach den Wah­len im Herbst Frau­en im Par­la­ment unter­ver­tre­ten sein wer­den, gege­ben ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. 

Wor­an hapert es also bei der Gleich­stel­lung der Frau­en in der Poli­tik? Ein in der Lite­ra­tur dis­ku­tier­ter Grund sind Vor­ur­tei­le gegen­über Poli­ti­ke­rin­nen, soge­nann­te „poli­ti­sche Geschlechts­ste­reo­ty­pen“. Sol­che Vor­ur­tei­le betref­fen einer­seits Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, wobei weib­li­che Poli­ti­ke­rin­nen als ein­fühl­sa­mer, männ­li­che Poli­ti­ker dafür als ent­schei­dungs­freu­di­ger und durch­set­zungs­fä­hi­ger ein­ge­schätzt wer­den. Ande­rer­seits wer­den Frau­en und Män­nern in der Poli­tik allei­ne auf­grund ihres Geschlechts gewis­se Kom­pe­tenz­be­rei­che und Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten zuge­schrie­ben, z.B. wer­den weib­li­che Poli­ti­ke­rin­nen als weni­ger geeig­net wahr­ge­nom­men in der Lan­des­ver­tei­di­gung zu agie­ren, wäh­rend Män­nern Sozi­al­po­li­tik eher nicht zuge­traut wird.

Die­se Vor­ur­tei­le sind inso­fern pro­ble­ma­tisch, als die für die Poli­tik rele­van­ten Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten und Kom­pe­ten­zen eher Män­nern zuge­schrie­ben wer­den. Dem­entspre­chend kön­nen sie auch bewir­ken, dass Frau­en als weni­ger geeig­net ange­se­hen wer­den, in der Poli­tik tätig zu sein.

Daten­grund­la­ge
Wir haben für unse­re For­schung sol­che Vor­ur­tei­le gegen Poli­ti­ke­rin­nen in Umfra­gen in der Schweiz, Öster­reich und Finn­land abge­fragt. Die schwei­ze­ri­sche Umfra­ge war Teil der Natio­na­len Wahl­stu­die (SELECTS) von 2015, die öster­rei­chi­schen Daten wur­den 2018 durch den Platt­form für Umfra­ge Metho­den und empi­ri­sche Ana­ly­sen (PUMA) erho­ben. Die fin­ni­sche Umfra­ge (TNS Gal­lup Nr. 220102032) haben wir vor dem Hin­ter­grund der Prä­si­dent­schafts­wahl 2012 in Koope­ra­ti­on mit Prof. Anne Maria Hol­li und Dr. Han­na Wass der Uni­ver­si­tät Hel­sin­ki durch­ge­führt. Die reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­gen wur­den alle zwi­schen 2012 und 2018 erho­ben und sind somit unge­fähr ver­gleich­bar, was das Niveau der Vor­ur­tei­le angeht. 

Die Ergeb­nis­se unse­rer Stu­die, die das ers­te Mal sol­che Vor­ur­tei­le für Euro­päi­sche Län­der unter­sucht, zei­gen ein­drück­lich, dass sowohl Schweizer*innen als auch Österreicher*innen und Finn*innen nicht frei von Geschlechts­ste­reo­ty­pen sind. Unge­fähr ein Drit­tel gibt an, dass Män­ner und Frau­en über gewis­se Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten ver­fü­gen und spe­zi­fi­sche Kom­pe­tenz­ge­bie­te haben. Frau­en wer­den eher Eigen­schaf­ten wie mit­füh­lend und kon­sens­ori­en­tiert zuge­schrie­ben, wobei Män­ner eher als ambi­tio­niert und bestim­mend wahr­ge­nom­men werden.

Abbildung 1: Kompetenzgebiete

Abbildung 2: Charaktereigenschaften

Quel­le: Selects (2016). Panel / Rol­ling cross-sec­tion stu­dy 2015 [Data­set]. Dis­tri­bu­t­ed by FORS, Lau­sanne. www.selects.ch

In der Schweiz den­ken etwas mehr als ein Drit­tel der Umfrageteilnehmer*innen, dass Poli­ti­ker geeig­ne­ter als Poli­ti­ke­rin­nen sei­en, für die Lan­des­ver­tei­di­gung zustän­dig zu sein. Umge­kehrt ist unge­fähr ein Drit­tel (31.1%) der Mei­nung, dass Frau­en für die Sozi­al­po­li­tik kom­pe­ten­ter sei­en, wäh­rend sich bei der Migra­ti­ons­po­li­tik kei­ne kla­re Geschlech­ter­ten­denz aus­ma­chen lässt.

Ein ähn­li­ches Bild zeigt sich bei den Cha­rak­ter-Fra­gen: Hier wer­den Frau­en eher Eigen­schaf­ten wie mit­füh­lend und kon­sens­ori­en­tiert zuge­schrie­ben wobei Män­ner eher als ambi­tio­niert und ent­schei­dungs­freu­dig wahr­ge­nom­men werden.

Die posi­ti­ve Nach­richt ist, dass sich bei jeder Fra­ge ein gros­ser Anteil der Befrag­ten in der Schweiz — kon­kret zwi­schen 41 % und 77 % -, für die Kate­go­rie „es macht kei­nen Unter­schied“ ent­schei­det, d.h. kei­ne geschlechts­spe­zi­fi­schen Vor­ur­tei­le hegt.

Die Befun­de in der Schweiz decken sich mit dem, was Forscher*innen bereits für die USA gezeigt hat­ten, sowie mit den Geschlechts­ste­reo­ty­pen, wie sie auch in den Köp­fen der Finn*innen und Österreicher*innen exis­tie­ren. Unse­re ver­glei­chen­de Stu­die, die wir Anfang Juli 2019 bei der Euro­päi­schen Kon­fe­renz für Poli­tik und Geschlecht in Ams­ter­dam prä­sen­tiert haben, zeigt, dass auch in einem gleich­stel­lungs­freund­li­chen Land wie Finn­land sol­che Vor­ur­tei­le nicht ganz aus den Köp­fen ver­schwun­den sind. In Öster­reich hin­ge­gen fin­den wir unge­fähr an Vor­ur­tei­len gegen­über Frau­en und Män­nern in der Poli­tik wie in der Schweiz– wenn auch dort für gewis­se Fra­gen etwas mehr Men­schen ange­ben, sol­che zu haben. Unse­re For­schung zeigt wei­ter, dass es ins­be­son­de­re kon­ser­va­ti­ve Män­ner sind, die ste­reo­ty­pe Vor­stel­lun­gen von Män­nern und Frau­en in der Poli­tik pflegen.

Noch immer exis­tie­ren also geschlechts­spe­zi­fi­sche Ste­reo­ty­pe gegen­über Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern und sind in den Köp­fen der Schwei­zer und Schwei­ze­rin­nen ver­an­kert. Wäh­rend es schwie­rig ist, eine direk­te Ver­bin­dung zur Unter­ver­tre­tung der Frau­en in der schwei­ze­ri­schen Poli­tik her­zu­stel­len, da wir nicht ange­schaut haben, wie sich die Vor­ur­tei­le auf das Wahl­ver­hal­ten aus­wir­ken, lässt sich den­noch der Schluss zie­hen, dass Frau­en und Män­ner in der Poli­tik anders wahr­ge­nom­men wer­den. Das bes­se­re Abschnei­den von Män­nern in für die Poli­tik rele­van­ten Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, etwa die Kom­pe­tenz­zu­ord­nung, stel­len für Frau­en, die in der Poli­tik aktiv wer­den wol­len, eine Hür­de dar. Möge der neue Schwung in Sachen Frau­en­ver­tre­tung die­se Vor­ur­tei­le für immer wegfegen.


Bild: Hel­ve­tia ruft

 

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