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Männer für Verteidigung, Frauen für Soziales? Was die Bürger*innen über die Kompetenzen von Männern und Frauen in der Politik denken

Nathalie Giger, Zoe Lefkofridi
4th Oktober 2019

Nicht erst seit dem Frauenstreik vom 14. Juni 2019 wird das Thema der Geschlechtergleichstellung in der Politik wieder vermehrt diskutiert. Doch wie sieht es mit dieser in der Schweiz aus? Was denken die Bürger*innen über die Eigenschaften und Kompetenzen, welche Frauen und Männer in die Politik hineintragen? Diese Beitrag geht der Wahrnehmung von Politikerinnen und Politikern auf den Grund.

Das überparteiliche Projekt «Helvetia ruft» hat sich zum Ziel gesetzt, für die nationalen Wahlen im Herbst mehr Frauen nach Bern zu schicken und hat kürzlich ausgewertet, dass es in der Tat mehr Kandidatinnen auf den Listen hat - im Durchschnitt rund 39%. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch nach den Wahlen im Herbst Frauen im Parlament untervertreten sein werden, gegeben ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. 

Woran hapert es also bei der Gleichstellung der Frauen in der Politik? Ein in der Literatur diskutierter Grund sind Vorurteile gegenüber Politikerinnen, sogenannte „politische Geschlechtsstereotypen“. Solche Vorurteile betreffen einerseits Charaktereigenschaften, wobei weibliche Politikerinnen als einfühlsamer, männliche Politiker dafür als entscheidungsfreudiger und durchsetzungsfähiger eingeschätzt werden. Andererseits werden Frauen und Männern in der Politik alleine aufgrund ihres Geschlechts gewisse Kompetenzbereiche und Charaktereigenschaften zugeschrieben, z.B. werden weibliche Politikerinnen als weniger geeignet wahrgenommen in der Landesverteidigung zu agieren, während Männern Sozialpolitik eher nicht zugetraut wird.

Diese Vorurteile sind insofern problematisch, als die für die Politik relevanten Charaktereigenschaften und Kompetenzen eher Männern zugeschrieben werden. Dementsprechend können sie auch bewirken, dass Frauen als weniger geeignet angesehen werden, in der Politik tätig zu sein.

Datengrundlage
Wir haben für unsere Forschung solche Vorurteile gegen Politikerinnen in Umfragen in der Schweiz, Österreich und Finnland abgefragt. Die schweizerische Umfrage war Teil der Nationalen Wahlstudie (SELECTS) von 2015, die österreichischen Daten wurden 2018 durch den Plattform für Umfrage Methoden und empirische Analysen (PUMA) erhoben. Die finnische Umfrage (TNS Gallup Nr. 220102032) haben wir vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahl 2012 in Kooperation mit Prof. Anne Maria Holli und Dr. Hanna Wass der Universität Helsinki durchgeführt. Die repräsentativen Umfragen wurden alle zwischen 2012 und 2018 erhoben und sind somit ungefähr vergleichbar, was das Niveau der Vorurteile angeht.

Die Ergebnisse unserer Studie, die das erste Mal solche Vorurteile für Europäische Länder untersucht, zeigen eindrücklich, dass sowohl Schweizer*innen als auch Österreicher*innen und Finn*innen nicht frei von Geschlechtsstereotypen sind. Ungefähr ein Drittel gibt an, dass Männer und Frauen über gewisse Charaktereigenschaften verfügen und spezifische Kompetenzgebiete haben. Frauen werden eher Eigenschaften wie mitfühlend und konsensorientiert zugeschrieben, wobei Männer eher als ambitioniert und bestimmend wahrgenommen werden.

Abbildung 1: Kompetenzgebiete

Abbildung 2: Charaktereigenschaften

Quelle: Selects (2016). Panel / Rolling cross-section study 2015 [Dataset]. Distributed by FORS, Lausanne. www.selects.ch

In der Schweiz denken etwas mehr als ein Drittel der Umfrageteilnehmer*innen, dass Politiker geeigneter als Politikerinnen seien, für die Landesverteidigung zuständig zu sein. Umgekehrt ist ungefähr ein Drittel (31.1%) der Meinung, dass Frauen für die Sozialpolitik kompetenter seien, während sich bei der Migrationspolitik keine klare Geschlechtertendenz ausmachen lässt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Charakter-Fragen: Hier werden Frauen eher Eigenschaften wie mitfühlend und konsensorientiert zugeschrieben wobei Männer eher als ambitioniert und entscheidungsfreudig wahrgenommen werden.

Die positive Nachricht ist, dass sich bei jeder Frage ein grosser Anteil der Befragten in der Schweiz - konkret zwischen 41 % und 77 % -, für die Kategorie „es macht keinen Unterschied“ entscheidet, d.h. keine geschlechtsspezifischen Vorurteile hegt.

Die Befunde in der Schweiz decken sich mit dem, was Forscher*innen bereits für die USA gezeigt hatten, sowie mit den Geschlechtsstereotypen, wie sie auch in den Köpfen der Finn*innen und Österreicher*innen existieren. Unsere vergleichende Studie, die wir Anfang Juli 2019 bei der Europäischen Konferenz für Politik und Geschlecht in Amsterdam präsentiert haben, zeigt, dass auch in einem gleichstellungsfreundlichen Land wie Finnland solche Vorurteile nicht ganz aus den Köpfen verschwunden sind. In Österreich hingegen finden wir ungefähr an Vorurteilen gegenüber Frauen und Männern in der Politik wie in der Schweiz– wenn auch dort für gewisse Fragen etwas mehr Menschen angeben, solche zu haben. Unsere Forschung zeigt weiter, dass es insbesondere konservative Männer sind, die stereotype Vorstellungen von Männern und Frauen in der Politik pflegen.

Noch immer existieren also geschlechtsspezifische Stereotype gegenüber Politikerinnen und Politikern und sind in den Köpfen der Schweizer und Schweizerinnen verankert. Während es schwierig ist, eine direkte Verbindung zur Untervertretung der Frauen in der schweizerischen Politik herzustellen, da wir nicht angeschaut haben, wie sich die Vorurteile auf das Wahlverhalten auswirken, lässt sich dennoch der Schluss ziehen, dass Frauen und Männer in der Politik anders wahrgenommen werden. Das bessere Abschneiden von Männern in für die Politik relevanten Charaktereigenschaften, etwa die Kompetenzzuordnung, stellen für Frauen, die in der Politik aktiv werden wollen, eine Hürde dar. Möge der neue Schwung in Sachen Frauenvertretung diese Vorurteile für immer wegfegen.


Bild: Helvetia ruft