Die FDP ist die Partei der Gemeindepräsidenten

Anders als in den meis­ten Kan­to­nen und beim Bund steht mit der Gemein­de­prä­si­den­tin oder dem Gemein­de­prä­si­den­ten in den Gemein­den eine her­aus­ra­gen­de Per­sön­lich­keit an der Spit­ze des Gemein­we­sens. Sie ver­tritt die Gemein­de nach innen und nach aus­sen, gibt ihr ein Gesicht und lei­tet in der Regel auch die Sit­zun­gen des Gemein­de­ra­tes. Gemein­de­prä­si­den­tin­nen und Gemein­de­prä­si­den­ten sind gross­mehr­heit­lich direkt vom Volk für die Dau­er einer vier- oder fünf­jäh­ri­gen Legis­la­tur gewählt. Die Schwei­zer Par­tei­en sind in den Gemein­den nicht nur unter­schied­lich stark ver­tre­ten, die Kräf­te­ver­hält­nis­se unter­schei­den sich auch rela­tiv stark von den Ver­hält­nis­sen in Bund und Kan­to­nen. Die FDP stellt am meis­ten Gemein­de­prä­si­den­ten, aber inzwi­schen wer­den die meis­ten Gemein­den von Par­tei­lo­sen präsidiert.

Die her­aus­ra­gen­de Stel­lung der Gemein­de­prä­si­di­en geht häu­fig ein­her mit einem grös­se­ren Zeit­auf­wand für das poli­ti­sches Man­dat als dies bei den übri­gen Mit­glie­dern des Gemein­de­rats der Fall ist. Ins­ge­samt gibt es schweiz­weit etwa 150 voll­amt­li­che Gemein­de­prä­si­di­en, was einem Anteil von rund sie­ben Pro­zent ent­spricht (vgl. Abbil­dung 1).

Eben­falls etwa je sie­ben Pro­zent sind zwi­schen fünf­zig und acht­zig oder zu genau fünf­zig Pro­zent ange­stellt. Etwa ein Fünf­tel ist zu weni­ger als fünf­zig Pro­zent ange­stellt. Dass die rest­li­chen rund 55 Pro­zent der Prä­si­di­en als Ehren­äm­ter aus­ge­stal­tet sind, ist der Klein­heit vie­ler Gemein­den geschul­det und wider­spie­gelt die Bedeu­tung des Miliz­ge­dan­kens in der Schwei­zer Poli­tik. Mit dem Amt ver­bun­den sind nicht nur die Lei­tung eines Res­sorts, son­dern in knapp einem Vier­tel der Gemein­den auch die Füh­rungs­ver­ant­wor­tung gegen­über der Verwaltung.

Abbildung 1: Anstellungsform der Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten

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Das Prä­si­di­um einer Gemein­de kann ohne Zwei­fel als das wich­tigs­te Amt in einer Gemein­de bezeich­net wer­den, ent­spre­chend bedeu­tungs­voll ist es für die Lokal­par­tei­en, wenn sie die­ses Amt für sich in Anspruch neh­men können.

Ein Fünftel der Gemeindepräsidien in der Hand der FDP

Die FDP hält ein Fünf­tel der Gemein­de­prä­si­di­en (vgl. Abbil­dung 2). Damit ist sie die mit Abstand stärks­te Par­tei in die­ser Funk­ti­on. Etwa acht Pro­zent­punk­te zurück, bei zwölf Pro­zent liegt die CVP gefolgt von der SVP mit gegen elf Pro­zent und der SP mit weni­ger als vier Pro­zent. Aus Sicht der Par­tei­en bedau­er­lich ist aller­dings, dass mehr als vier­zig Pro­zent der Gemein­de­prä­si­di­en an Par­tei­lo­se fallen.

Abbildung 2: Anteil Gemeindepräsidien 1988 und 2017 nach Parteien

Für die FDP ist die­se im Ver­gleich zu den ande­ren Par­tei­en her­aus­ra­gen­de Stel­lung in den Gemein­de­prä­si­di­en den­noch erfreu­lich. Auf kei­ner ande­ren Ebe­ne domi­niert sie in ver­gleich­ba­rem Mas­se. Im Natio­nal­rat ist sie bei­spiels­wei­se nur noch die dritt­stärks­te Par­tei. Die hoch­ge­rech­net rund 450 FDP-Gemein­de­prä­si­den­tin­nen und Gemein­de­prä­si­den­ten geben der Par­tei nicht nur einen gros­sen Ein­fluss auf die Lokal­po­li­tik, son­dern bil­den auch ein wich­ti­ges Rekru­tie­rungs­po­ten­ti­al für kan­to­na­le und natio­na­le Ämter.

Erfreu­lich für die FDP ist wei­ter, dass sie über die letz­ten dreis­sig Jah­re weni­ger stark an einem Rück­gang der Ver­tre­tung in den Exe­ku­ti­ven gelit­ten hat als die ande­ren Par­tei­en. Ähn­li­ches trifft nur noch für die SP zu, aller­dings auf einem fünf­mal tie­fe­ren Niveau, wäh­rend CVP und SVP heu­te einen um zehn und elf Pro­zent­punk­te tie­fe­ren Anteil an Prä­si­di­en inne­ha­ben. An Bedeu­tung gewon­nen haben Mit­glie­der ande­rer Par­tei­en und in einem aus­ge­spro­chen gros­sen Mas­se die Par­tei­lo­sen. Mit mehr als dop­pelt so vie­len par­tei­lo­sen Gemein­de­prä­si­den­tin­nen und Gemein­de­prä­si­den­ten im Ver­gleich zu frü­her wird deut­lich, wie stark die Ero­si­on der Par­tei­en in den klei­nen Gemein­den vor­an­ge­schrit­ten ist.

Parteilose dominieren die kleinen Gemeinden, die Linke die grössten Städte

In Gemein­den mit weni­ger als 1’000 Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­nern domi­nie­ren heu­te die Par­tei­lo­sen (vgl. Abbil­dung 3). Mit deut­lich über sieb­zig Pro­zent beset­zen sie die Mehr­heit der Gemein­de­exe­ku­ti­ven. Die­ser Anteil lag vor knapp dreis­sig Jah­ren noch etwa bei dreis­sig Prozent.

Errei­chen die Gemein­den eine Grös­se, in der die Lokal­par­tei­en eine Rol­le zu spie­len begin­nen, so erzielt die FDP Höchst­wer­te. Ab 5’000 Ein­woh­nern hält sie rund vier­zig Pro­zent der Prä­si­di­en. CVP und SVP schnei­den in den mit­tel­klei­ne­ren und mit­tel­grös­se­ren Gemein­den etwas bes­ser ab und kom­men auf Wer­te von gegen zwan­zig Prozent.

Die SP erreicht erst ab 10‘000 Ein­woh­ner eine gewis­se Grös­se und ist in den gröss­ten Städ­ten der Schweiz mitt­ler­wei­le die stärks­te Par­tei. Die FDP hat in den gröss­ten Städ­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten hin­ge­gen deut­lich an Ter­rain eingebüsst.

Abbildung 3: Anteil Gemeindepräsidien nach Parteien und Gemeindegrösse 2017

Unterdurchschnittlich viele Frauen

Frau­en sind in den Gemein­de­prä­si­di­en unter­ver­tre­ten, sie ste­hen ledig­lich in 15.6 Pro­zent der Gemein­den an der Spit­ze der Exe­ku­ti­ve. Die­ser Anteil liegt deut­lich tie­fer als in den Exe­ku­ti­ven ins­ge­samt, in denen sie knapp ein Vier­tel der Sit­ze ein­neh­men. Dies mag damit zu tun haben, dass die Frau­en eher davor zurück­schre­cken, ein solch zeit­in­ten­si­ves Amt zu über­neh­men. Zudem ist nicht aus­zu­schlies­sen, dass es für die Frau­en schwie­ri­ger wird, sich im Kampf um die­se macht­vol­le Posi­ti­on gegen Män­ner durch­zu­set­zen oder dass in gewis­sen Gemein­den eine kon­ser­va­ti­ve Wäh­ler­schaft kei­ne Frau­en in einer der­art zen­tra­len Posi­ti­on der Lokal­po­li­tik sehen will.

Was die Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit der Gemein­de­prä­si­den­tin­nen anbe­langt, so ist auch bei den Frau­en die gröss­te Grup­pe par­tei­los, gefolgt von der FDP, der CVP, der SVP und der SP. Der tie­fe Anteil der SP rührt daher, dass die Par­tei ins­ge­samt deut­lich weni­ger Gemein­de­prä­si­di­en inne­hält als die ande­ren Parteien.

Betrach­tet man die Gemein­de­prä­si­di­en der ein­zel­nen Par­tei­en, so liegt der Anteil der Frau­en bei der SP bei einem Fünf­tel und ist höher als bei den ande­ren Par­tei­en. Bei der CVP und den Par­tei­lo­sen liegt der Frau­en­an­teil bei 17 Pro­zent, bei der FDP bei 15 Pro­zent und bei der SVP bei 12 Pro­zent. Die Unter­schie­de hier sind aber rela­tiv gering.

Kantonale Hochburgen

Par­tei­lo­se Exe­ku­tiv­mit­glie­der, Gemein­de­prä­si­den­tin­nen und Gemein­de­prä­si­den­ten sind in gewis­sen Kan­to­nen eher eine Sel­ten­heit, wäh­rend sie in ande­ren Kan­to­nen die Norm dar­stel­len. Im Kan­ton Waadt sind bei­spiels­wei­se nur zwei von zehn Prä­si­di­en par­tei­po­li­tisch gefärbt. In kei­nem ande­ren Kan­ton sind die Par­tei­en bei den loka­len Man­da­ten so schwach vertreten.

Weit zurück folgt dann die FDP mit weni­ger als zehn Pro­zent der Prä­si­di­en. Im Kan­ton Bern hält die SVP gegen dreis­sig Pro­zent der Gemein­de­prä­si­di­en, die­ser Wert war aller­dings vor dreis­sig Jah­ren noch dop­pelt so hoch.

Im Kan­ton Zürich schliess­lich liegt die SVP mit 22 Pro­zent deut­lich hin­ter der FDP, wel­che mit gegen dreis­sig Pro­zent nicht weit von den Par­tei­lo­sen ent­fernt ist. Auch hier war die SVP vor drei Jahr­zehn­ten mit rund vier­zig Pro­zent der Prä­si­di­en noch deut­lich stär­ker vertreten.

Der Auf­stieg der SVP mit Zür­cher Prä­gung zur stärks­ten Par­tei der Schweiz geht offen­bar ein­her mit einer Schwä­chung der Par­tei an den Spit­zen der Gemein­den. Dies könn­te dar­an lie­gen, dass dem Prä­si­di­um einer Gemein­de eine inte­gra­ti­ve Funk­ti­on zukommt, wel­che sich mit einer pola­ri­sie­ren­den Poli­tik nur schlecht verträgt.

Der Ver­lust der Prä­si­di­en scheint in den Stamm­kan­to­nen der SVP der Preis für den Erfolg in den Pro­porz­wah­len für den Natio­nal­rat und die kan­to­na­len und städ­ti­schen Par­la­men­te zu sein. In Majorz­wah­len, wie das die Wah­len für das Gemein­de­prä­si­di­um sind, muss man eine Mehr­heit der Wäh­len­den über­zeu­gen kön­nen, und kann nicht nur für das eige­ne Lager wähl­bar sein.

Prä­si­dia­le Hoch­bur­gen der FDP neben Zürich sind die Kan­to­ne Appen­zell-Aus­ser­rho­den, Genf, Neu­châ­tel, Solo­thurn, Schwyz, Luzern, Nid­wal­den, St. Gal­len, Thur­gau, Tes­sin und vor allem Zug. In rund der Hälf­te der Kan­to­ne hält die FDP unter den Par­tei­en die meis­ten Prä­si­di­en. Die CVP ist etwa in einem Drit­tel der Kan­to­ne in die­ser kom­for­ta­blen Situa­ti­on. Aus­ge­spro­chen stark ist sie in den Luzer­ner und Wal­li­ser Gemein­den, sowie in Uri und Obwal­den, wäh­rend die SVP neben Bern auch in Schaff­hau­sen und Aar­gau die meis­ten Prä­si­di­en hält. Die Par­tei­lo­sen beset­zen neben dem Waadt­land auch in den Kan­to­nen Appen­zell-Aus­ser­rho­den, Basel-Land, Fri­bourg, Grau­bün­den, Schaff­hau­sen und Uri mehr als fünf­zig Pro­zent der Präsidien.

Gemeindepräsidien und Parteipolitik

Gemein­de­prä­si­di­en sind bedeu­tungs­vol­le und attrak­ti­ve Posi­tio­nen, die Par­tei­en kön­nen sich glück­lich schät­zen, wenn es ihnen gelingt, die­se Ämter für sich in Anspruch zu neh­men. Aller­dings sind auch gewis­se Abstri­che zu machen. Noch stär­ker als bei den übri­gen Exe­ku­tiv­äm­tern hat sich eine Gemein­de­prä­si­den­tin respek­ti­ve ein Gemein­de­prä­si­dent für sämt­li­che Ein­woh­ner und Inter­es­sen der Gemein­de ein­zu­set­zen und kann sich nicht all­zu stark in par­tei­po­li­ti­schen Gra­ben­kämp­fe hineinbegeben.

Wirt­schaft­li­che, kul­tu­rel­le und sozia­le Erfol­ge zahl­rei­cher Schwei­zer Städ­te gepaart mit einer hohen Lebens­qua­li­tät soll­ten eigent­lich dem Image der über die Par­tei­prä­si­di­en mit­ver­ant­wort­li­chen Par­tei­en för­der­lich sein. Nicht sel­ten hat man jedoch das Gefühl, dass die Par­tei­en dies gar nicht so rich­tig wol­len und sich stär­ker auf die Arbeit ihrer Ver­tre­tun­gen in den Par­la­men­ten beru­fen als die Leis­tun­gen ihrer Gemein­de­prä­si­den­tin­nen und Gemein­de­prä­si­den­ten in den Vor­der­grund zu heben.

Daten­ba­sis
Seit 1988 wer­den in den Schwei­zer Gemein­den auf Initia­ti­ve ver­schie­de­ner Uni­ver­si­täts­in­sti­tu­te in Abstän­den von 5 bis 7 Jah­ren gesamt­schwei­ze­ri­sche Befra­gun­gen zur poli­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on und zur loka­len Poli­tik durch­ge­führt. An die­sen Befra­gun­gen betei­li­gen sich jeweils zwi­schen 60 und 85 Pro­zent der Gemein­den. Die jüngs­te Befra­gung fand 2016/2017 statt.

Refe­ren­zen

  • Geser, Hans, Urs Meu­li, Andre­as Lad­ner, Reto Stei­ner und Katia Hor­ber-Papa­zi­an (2011). Die Exe­ku­tiv­mit­glie­der in den Schwei­zer Gemein­den. Ergeb­nis­se einer Befra­gung. Zürich/Chur: Rüeg­ger Verlag.
  • Lad­ner, Andre­as (2011). Wah­len in den Schwei­zer Gemein­den. Durch­füh­rung, Ver­lauf, Betei­li­gung und Ergeb­nis­se 1988–2009. Lau­sanne: Cahier de l’IDHEAP Nr. 263.
  • Lad­ner, Andre­as (1991). Poli­ti­sche Gemein­den, kom­mu­na­le Par­tei­en und loka­le Poli­tik. Eine empi­ri­sche Unter­su­chung in den Gemein­den der Schweiz. Zürich: Seismo.

Bild: Mel­chi­or Buchs, FDP-Gemein­de­prä­si­dent Reinach/BL.

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