Regierungsaufgaben und Anforderungen an Regierungsräte: Empirische Evidenz aus den Schweizer Kantonen

Gute poli­ti­sche Füh­rung zeich­net sich durch nach­hal­ti­gen Ein­fluss und Kon­ti­nui­tät aus. Im schwei­ze­ri­schen Kon­text einer Kon­kor­danz- wie auch Kon­sens­de­mo­kra­tie ist die Fra­ge nach eben­je­ner poli­ti­schen Füh­rung beson­ders inter­es­sant. Wel­che Kom­pe­ten­zen erfor­dert ein Regie­rungs­amt in einem Mehr­per­so­nen­gre­mi­um und wel­che Auf­ga­ben erwar­ten Regierungsräte? 

Bei Regie­rungs­wah­len geht es jeweils in ers­ter Linie dar­um, einen Kan­di­da­ten oder eine Kan­di­da­tin als mög­lichst „geeig­net“, „fähig“ oder „taug­lich“ in Bezug auf das gewünsch­te Exe­ku­tiv­amt und die damit zusam­men­hän­gen­de Füh­rungs­auf­ga­be dar­zu­stel­len, wobei meist unklar ist, wie die­se Begrif­fe genau defi­niert sind.

Die inter­na­tio­na­le For­schung beschäf­tigt sich ins­be­son­de­re mit den Anfor­de­run­gen, Fähig­kei­ten und Cha­rak­te­ris­ti­ka von Exe­ku­tiv­po­li­ti­kern. Gute poli­ti­sche Füh­rung zeich­net sich dabei durch nach­hal­ti­gen Ein­fluss und Kon­ti­nui­tät aus. Poli­ti­sche Füh­rung sucht Kon­ti­nui­tät und kre­iert gleich­zei­tig eine Visi­on für ein Gemein­we­sen. Sie hilft, eine Visi­on für ein Gemein­we­sen zu kre­ieren, die poli­ti­sche Agen­da fest­zu­le­gen, die öffent­li­che Mei­nung zu mobi­li­sie­ren und die poli­ti­schen The­men anzu­pas­sen sowie umzu­set­zen. Poli­ti­sche Füh­rung stellt kein uni­ver­sel­les Set an Eigen­schaf­ten oder Fähig­kei­ten dar. Viel­mehr unter­schei­det sich die spe­zi­fisch not­wen­di­ge Kom­bi­na­ti­on von benö­tig­ten Anfor­de­run­gen je nach Kon­text, Rol­le und ange­streb­ten Zie­len der poli­ti­schen Führungsperson.

Die Fra­ge nach der poli­ti­schen Füh­rung ist im schwei­ze­ri­schen Kon­text einer Kon­kor­danz- wie auch Kon­sens­de­mo­kra­tie beson­ders inter­es­sant, denn die Regie­rungs­auf­ga­ben und der Auf­trag der poli­ti­schen Füh­rung sind einem Mehr­per­so­nen­gre­mi­um zuge­wie­sen. Dies bedingt Mit­glie­der, die „(…) zu kol­lek­ti­ven Beschlüs­sen fähig sind” (Hem­pel, 2010, S. 297). Der insti­tu­tio­nel­le Kon­text ist in der schwei­ze­ri­schen Kon­kor­danz­de­mo­kra­tie zudem geprägt durch eine Viel­falt an ver­schie­de­nen Anspruchs­grup­pen und Veto­spie­lern, wel­che in die Ent­schei­dungs­pro­zes­se ein­ge­bun­den wer­den (müs­sen), um zu einem Kon­sens oder Kom­pro­miss zu kom­men.

Bei der Betrach­tung der Auf­ga­ben der Regie­rungs­rä­te zeig­te sich, dass die Bear­bei­tung poli­ti­scher Geschäf­te und Dos­siers im Vor­der­grund steht. Regie­rungs­ar­beit bedeu­tet die Füh­rung von Poli­tik, d.h. es müs­sen sach­po­li­tisch anspruchs­vol­le The­men durch­dacht, bear­bei­tet und gegen­über Par­la­ment und Öffent­lich­keit ver­tre­ten wer­den. Gera­de hier­für ist ein Regie­rungs­mit­glied auch auf die Vor­be­rei­tungs­ar­beit der Ver­wal­tung ange­wie­sen. Des­halb ist nach­voll­zieh­bar, wes­halb die Füh­rung und Orga­ni­sa­ti­on des Depar­te­ments eben­falls eine prio­ri­tä­re Regie­rungs­auf­ga­be dar­stellt. Das Regie­rungs­mit­glied ist zwar unbe­strit­ten der „Kopf gegen aus­sen“, jedoch ist das rei­bungs­lo­se Funk­tio­nie­ren der ver­wal­tungs­in­ter­nen Poli­tik­vor­be­rei­tung zen­tral. Gleich­wohl ver­langt die nach aus­sen gerich­te­te Regie­rungs­ar­beit ein zeit­in­ten­si­ves Enga­ge­ment zur Reprä­sen­ta­ti­on und Ver­tre­tung der Poli­tik in Gre­mi­en, wenn­gleich die­se Arbeit als ver­gleichs­wei­se weni­ger wich­tig ein­ge­schätzt wird.

Kompetenzen im Regierungsamt

Im Bereich der Anfor­de­run­gen zeigt die vor­lie­gen­de Stu­die aus einer über­ge­ord­ne­ten Kom­pe­tenz­per­spek­ti­ve auf, dass ein Regie­rungs­amt vor­weg stra­te­gi­sche und ana­ly­ti­sche Kom­pe­ten­zen erfor­dert. Lang­fris­ti­ges Vor­aus­den­ken gepaart mit der Kennt­nis der poli­ti­schad­mi­nis­tra­ti­ven Pro­zes­se und der Fähig­keit, Prio­ri­tä­ten set­zen zu kön­nen, domi­niert die­sen Kom­pe­tenz­be­reich. Sozia­le, kom­mu­ni­ka­ti­ve und reprä­sen­ta­ti­ve Kom­pe­ten­zen fol­gen an zwei­ter Stel­le. Grund dafür sind u. a. ver­stärkt team­ori­en­tier­te Orga­ni­sa­ti­ons­for­men, die Ver­schie­bung von einer Wei­sungs- zu einer Ver­ein­ba­rungs­kul­tur sowie einen Wan­del hin zu einer ver­mehrt part­ner­schaft­lich gepräg­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur (Stür­mer & Ritz, 2016).

Die ein­gangs erwähn­te Kon­text­ab­hän­gig­keit bzw. der Ein­fluss der Schwei­zer Kon­sens­de­mo­kra­tie auf die Anfor­de­run­gen an die ein­zel­ne Regie­rungs­per­son wer­den anhand die­ser Stu­die exem­pla­risch ver­an­schau­licht. Die Wich­tig­keit der Zusam­men­ar­beit im Regie­rungs­rats­kol­le­gi­um als Regie­rungs­auf­ga­be ver­deut­licht, dass im schwei­ze­ri­schen Kon­kor­danz­sys­tem nicht ein­zel­ne Füh­rungs­per­so­nen regie­ren, son­dern die­se die Regie­rungs­funk­ti­on als Kol­lek­tiv wahr­neh­men. Hier­zu benö­ti­gen Regie­rungs­per­so­nen aus­ge­spro­che­ne Fähig­kei­ten zur Zusam­men­ar­beit und Kon­sens­fin­dung.

Organisationsaufgaben von hoher Bedeutung

Die Regie­rungs­auf­ga­ben sind zudem kon­text­ab­hän­gig, indem die Wich­tig­keit von Füh­rungs- und Orga­ni­sa­ti­ons­auf­ga­ben mit zuneh­men­der Grös­se des Depar­te­ments zunimmt, der par­tei­po­li­ti­sche Hin­ter­grund sich auch auf die Rele­vanz aus­ge­wähl­ter Auf­ga­ben­be­rei­che (z. B.
Wich­tig­keit der finan­zi­el­len Steue­rung) aus­wirkt und ehe­ma­li­ge Regie­rungs­per­so­nen Per­so­nal­füh­rungs- und Orga­ni­sa­ti­ons­auf­ga­ben sowie die finan­zi­el­le Steue­rung im Rück­blick
als wich­ti­ger ein­stu­fen. Zudem neh­men amtie­ren­de Regie­rungs­mit­glie­der Reprä­sen­ta­ti­ons­auf­ga­ben als zeit­in­ten­si­ver wahr. Die Zeit, wel­che von Exe­ku­tiv­po­li­ti­kern für Reprä­sen­ta­ti­ons­auf­ga­ben auf­ge­wen­det wer­den muss, scheint im Lau­fe der letz­ten Jah­re gene­rell gestie­gen zu sein (Klö­ti et al., 2014).

Abschlies­send stellt sich die Fra­ge nach der Bedeu­tung die­ser Ergeb­nis­se für die Pra­xis. Ohne hier die Stu­di­en­re­sul­ta­te über­in­ter­pre­tie­ren zu wol­len, fol­gern wir, dass gute poli­ti­sche Füh­rung weder irgend­ei­ne dif­fu­se Kunst dar­stellt, noch auf ein paar weni­ge, fixe Per­so­nen­ei­gen­schaf­ten redu­ziert wer­den kann. Exe­ku­tiv­po­li­ti­ker tun grund­sätz­lich gut dar­an, sich durch eine effek­ti­ve und effi­zi­en­te Depar­te­ments­or­ga­ni­sa­ti­on den not­wen­di­gen Frei­raum zur Bear­bei­tung der poli­ti­schen Geschäf­te zu schaffen.


Refe­renz:

Bee­ler, Kath­rin; Rich­ner, Ser­ei­na und Adri­an Ritz (2019). Regie­rungs­auf­ga­ben und Anfor­de­run­gen an Regie­rungs­rä­te: Empi­ri­sche Evi­denz aus den Schwei­zer Kan­to­nen. In: Black­box Exe­ku­ti­ve – Regie­rungs­leh­re in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Rei­he „Poli­tik und Gesell­schaft in der Schweiz“.


Am 18. Juni 2019 fin­det an der Uni­ver­si­tät Bern das vom Kom­pe­tenz­zen­trum für Public Manage­ment orga­ni­sier­te Swiss Gover­nan­ce Forum mit dem Fokus “Regie­ren in der Schweiz” statt. Im Rah­men der Ver­an­stal­tung wird das Buch “Black­box Exe­ku­ti­ve – Regie­rungs­leh­re in der Schweiz” vor­ge­stellt.


Biblio­gra­phie:

  • Hem­pel, Yvonne (2010). Poli­ti­sche Füh­rung im Direk­to­ri­al­sys­tem: Die Schweiz. In Mar­tin Sebaldt & Hen­rik Gast (Hrsg.), Poli­ti­sche Füh­rung in west­li­chen Regie­rungs­sys­te­men. Theo­rie und Pra­xis im inter­na­tio­na­len Ver­gleich (S. 281–303). Wies­ba­den: Ver­lag für Sozialwissenschaften.
  • Klö­ti, Ulrich; Papado­pou­los, Yan­niy & Sager, Fritz (2014). Regie­rung. In Peter Kno­e­pfel, Yan-nis Papado­pou­los, Pas­cal Scia­ri­ni, Adri­an Vat­ter, & Sil­ja Häu­ser­mann (Hrsg.), Hand­buch der Schwei­zer Poli­tik (5. Aufl., S. 193–218). Zürich: NZZ Libro.
  • Stür­mer, Mat­thi­as & Ritz, Adri­an (2016). Public Gover­nan­ce durch Open Government. In Schwei­ze­ri­sche Gesell­schaft für Ver­wal­tungs­wis­sen­schaf­ten (Hg.), Year­book of Swiss Socie­ty for Admi­nis­tra­ti­ve Sci­en­ces, 5, 125–138

Bild: Staats­kanz­lei des Kan­tons Bern

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