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Regierungsaufgaben und Anforderungen an Regierungsräte: Empirische Evidenz aus den Schweizer Kantonen

Kathrin Beeler, Sereina Richner, Adrian Ritz
13th Juni 2019

Gute politische Führung zeichnet sich durch nachhaltigen Einfluss und Kontinuität aus. Im schweizerischen Kontext einer Konkordanz- wie auch Konsensdemokratie ist die Frage nach ebenjener politischen Führung besonders interessant. Welche Kompetenzen erfordert ein Regierungsamt in einem Mehrpersonengremium und welche Aufgaben erwarten Regierungsräte? 

Bei Regierungswahlen geht es jeweils in erster Linie darum, einen Kandidaten oder eine Kandidatin als möglichst „geeignet“, „fähig“ oder „tauglich“ in Bezug auf das gewünschte Exekutivamt und die damit zusammenhängende Führungsaufgabe darzustellen, wobei meist unklar ist, wie diese Begriffe genau definiert sind.

Die internationale Forschung beschäftigt sich insbesondere mit den Anforderungen, Fähigkeiten und Charakteristika von Exekutivpolitikern. Gute politische Führung zeichnet sich dabei durch nachhaltigen Einfluss und Kontinuität aus. Politische Führung sucht Kontinuität und kreiert gleichzeitig eine Vision für ein Gemeinwesen. Sie hilft, eine Vision für ein Gemeinwesen zu kreieren, die politische Agenda festzulegen, die öffentliche Meinung zu mobilisieren und die politischen Themen anzupassen sowie umzusetzen. Politische Führung stellt kein universelles Set an Eigenschaften oder Fähigkeiten dar. Vielmehr unterscheidet sich die spezifisch notwendige Kombination von benötigten Anforderungen je nach Kontext, Rolle und angestrebten Zielen der politischen Führungsperson.

Die Frage nach der politischen Führung ist im schweizerischen Kontext einer Konkordanz- wie auch Konsensdemokratie besonders interessant, denn die Regierungsaufgaben und der Auftrag der politischen Führung sind einem Mehrpersonengremium zugewiesen. Dies bedingt Mitglieder, die „(…) zu kollektiven Beschlüssen fähig sind” (Hempel, 2010, S. 297). Der institutionelle Kontext ist in der schweizerischen Konkordanzdemokratie zudem geprägt durch eine Vielfalt an verschiedenen Anspruchsgruppen und Vetospielern, welche in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden (müssen), um zu einem Konsens oder Kompromiss zu kommen.

Bei der Betrachtung der Aufgaben der Regierungsräte zeigte sich, dass die Bearbeitung politischer Geschäfte und Dossiers im Vordergrund steht. Regierungsarbeit bedeutet die Führung von Politik, d.h. es müssen sachpolitisch anspruchsvolle Themen durchdacht, bearbeitet und gegenüber Parlament und Öffentlichkeit vertreten werden. Gerade hierfür ist ein Regierungsmitglied auch auf die Vorbereitungsarbeit der Verwaltung angewiesen. Deshalb ist nachvollziehbar, weshalb die Führung und Organisation des Departements ebenfalls eine prioritäre Regierungsaufgabe darstellt. Das Regierungsmitglied ist zwar unbestritten der „Kopf gegen aussen“, jedoch ist das reibungslose Funktionieren der verwaltungsinternen Politikvorbereitung zentral. Gleichwohl verlangt die nach aussen gerichtete Regierungsarbeit ein zeitintensives Engagement zur Repräsentation und Vertretung der Politik in Gremien, wenngleich diese Arbeit als vergleichsweise weniger wichtig eingeschätzt wird.

Kompetenzen im Regierungsamt

Im Bereich der Anforderungen zeigt die vorliegende Studie aus einer übergeordneten Kompetenzperspektive auf, dass ein Regierungsamt vorweg strategische und analytische Kompetenzen erfordert. Langfristiges Vorausdenken gepaart mit der Kenntnis der politischadministrativen Prozesse und der Fähigkeit, Prioritäten setzen zu können, dominiert diesen Kompetenzbereich. Soziale, kommunikative und repräsentative Kompetenzen folgen an zweiter Stelle. Grund dafür sind u. a. verstärkt teamorientierte Organisationsformen, die Verschiebung von einer Weisungs- zu einer Vereinbarungskultur sowie einen Wandel hin zu einer vermehrt partnerschaftlich geprägten Kommunikationskultur (Stürmer & Ritz, 2016).

Die eingangs erwähnte Kontextabhängigkeit bzw. der Einfluss der Schweizer Konsensdemokratie auf die Anforderungen an die einzelne Regierungsperson werden anhand dieser Studie exemplarisch veranschaulicht. Die Wichtigkeit der Zusammenarbeit im Regierungsratskollegium als Regierungsaufgabe verdeutlicht, dass im schweizerischen Konkordanzsystem nicht einzelne Führungspersonen regieren, sondern diese die Regierungsfunktion als Kollektiv wahrnehmen. Hierzu benötigen Regierungspersonen ausgesprochene Fähigkeiten zur Zusammenarbeit und Konsensfindung.

Organisationsaufgaben von hoher Bedeutung

Die Regierungsaufgaben sind zudem kontextabhängig, indem die Wichtigkeit von Führungs- und Organisationsaufgaben mit zunehmender Grösse des Departements zunimmt, der parteipolitische Hintergrund sich auch auf die Relevanz ausgewählter Aufgabenbereiche (z. B.
Wichtigkeit der finanziellen Steuerung) auswirkt und ehemalige Regierungspersonen Personalführungs- und Organisationsaufgaben sowie die finanzielle Steuerung im Rückblick
als wichtiger einstufen. Zudem nehmen amtierende Regierungsmitglieder Repräsentationsaufgaben als zeitintensiver wahr. Die Zeit, welche von Exekutivpolitikern für Repräsentationsaufgaben aufgewendet werden muss, scheint im Laufe der letzten Jahre generell gestiegen zu sein (Klöti et al., 2014).

Abschliessend stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser Ergebnisse für die Praxis. Ohne hier die Studienresultate überinterpretieren zu wollen, folgern wir, dass gute politische Führung weder irgendeine diffuse Kunst darstellt, noch auf ein paar wenige, fixe Personeneigenschaften reduziert werden kann. Exekutivpolitiker tun grundsätzlich gut daran, sich durch eine effektive und effiziente Departementsorganisation den notwendigen Freiraum zur Bearbeitung der politischen Geschäfte zu schaffen.


Referenz:

Beeler, Kathrin; Richner, Sereina und Adrian Ritz (2019). Regierungsaufgaben und Anforderungen an Regierungsräte: Empirische Evidenz aus den Schweizer Kantonen. In: Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.


Am 18. Juni 2019 findet an der Universität Bern das vom Kompetenzzentrum für Public Management organisierte Swiss Governance Forum mit dem Fokus "Regieren in der Schweiz" statt. Im Rahmen der Veranstaltung wird das Buch "Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz" vorgestellt.


Bibliographie:

  • Hempel, Yvonne (2010). Politische Führung im Direktorialsystem: Die Schweiz. In Martin Sebaldt & Henrik Gast (Hrsg.), Politische Führung in westlichen Regierungssystemen. Theorie und Praxis im internationalen Vergleich (S. 281-303). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Klöti, Ulrich; Papadopoulos, Yanniy & Sager, Fritz (2014). Regierung. In Peter Knoepfel, Yan-nis Papadopoulos, Pascal Sciarini, Adrian Vatter, & Silja Häusermann (Hrsg.), Handbuch der Schweizer Politik (5. Aufl., S. 193-218). Zürich: NZZ Libro.
  • Stürmer, Matthias & Ritz, Adrian (2016). Public Governance durch Open Government. In Schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften (Hg.), Yearbook of Swiss Society for Administrative Sciences, 5, 125-138

Bild: Staatskanzlei des Kantons Bern