Wie es Daniel Jositsch in den Ständerat schaffte

Die Wäh­ler der Kan­to­nal­zür­cher SP hat­ten am 18. Okto­ber dop­pelt Grund zur Freu­de: Ihre Par­tei leg­te bei den Natio­nal­rats­wah­len zu und ihrem Stän­de­rats­kan­di­da­ten Dani­el Jositsch gelang gar ein regel­rech­ter Coup: Er schaff­te das abso­lu­te Mehr im ers­ten Wahl­gang. Das Nach­se­hen hat­te die SVP. Eine detail­lier­te Ana­ly­se des Wäh­ler­ver­hal­tens zeigt auf, wie es dazu kam.

Hin­weis: Die ers­te Ver­si­on die­ses Bei­trags wur­de am 18. Janu­ar 2016 veröffentlicht!

 

Dani­el Jositsch von der SP erreich­te am 18. Okto­ber 2015 mit 45 Pro­zent Stim­men­an­teil das abso­lu­te Mehr im ers­ten Wahl­gang. Rue­di Noser von der FDP kam auf 37 Pro­zent, Hans-Ueli Vogt von der SVP beleg­te mit 30 Pro­zent den drit­ten Platz. Bemer­kens­wert ist dabei in ers­ter Linie das her­vor­ra­gen­de Abschnei­den Jositschs, der weit über das lin­ke Lager hin­aus Stim­men mach­te. Hans-Ueli Vogt hin­ge­gen über­traf die Wäh­ler­stär­ke der SVP im Kan­ton Zürich kaum.

Bei­des ent­spricht dem Mus­ter ande­rer Stän­de­rats­wah­len: In St. Gal­len hat­te Paul Rech­stei­ner (SP) kei­ne Mühe, Tho­mas Mül­ler (SVP) hin­ter sich zu hal­ten, obwohl sei­ne Par­tei ver­lor, wäh­rend die SVP – die wäh­ler­stärks­te Par­tei in St. Gal­len – noch­mals wuch­tig zule­gen konn­te. Ähn­lich ist die Situa­ti­on im Kan­ton Aar­gau, wo Pas­ca­le Bru­de­rer trotz einer SP-Schlap­pe bei den Natio­nal­rats­wah­len das abso­lu­te Mehr in jeg­li­cher Hin­sicht mit links schaffte.

Die Per­for­mance von SP und SVP ist bei Stän­de­rats- und Natio­nal­rats­wah­len so unter­schied­lich, dass man bei­na­he mei­nen könn­te, es wür­den jeweils ande­re Wäh­ler­schaf­ten teil­neh­men. Das ist aber mit gröss­ter Wahr­schein­lich­keit nicht der Fall.[1] Wor­an sonst liegt es dann? Eine Aus­wer­tung der Kan­di­da­ten­kom­bi­na­tio­nen nach Par­tei­wahl soll die­se Fra­ge zu beant­wor­ten helfen.

Info­box 1: Aus­gangs­la­ge Stän­de­rats­wah­len Kan­ton Zürich 2015
Die bis­he­ri­ge Zür­cher Stan­des­ver­tre­tung, Vere­na Die­ner von der GLP und Felix Gutz­wil­ler von der FDP, tra­ten 2015 nicht mehr an. Das Ren­nen um die bei­den Zür­cher Sit­ze war dem­nach offen. Um die­se Sit­ze kon­kur­rier­ten ins­ge­samt neun offi­zi­ell von ihren Par­tei­en vor­ge­schla­ge­ne Kandidaten.

Im Kan­ton Zürich sind jedoch nicht nur die ange­mel­de­ten Kan­di­da­ten wähl­bar, son­dern grund­sätz­lich jede in kan­to­na­len Ange­le­gen­hei­ten stimm­be­rech­tig­te Per­son. Das hat oft­mals zur Fol­ge, dass neben den von den Par­tei­en por­tier­ten Kan­di­da­ten auch wei­te­re Per­so­nen Stim­men erhal­ten. Bei den zurück­lie­gen­den Stän­de­rats­wah­len gab es total 58’050 Stim­men für nicht offi­zi­el­le Kan­di­die­ren­de, was einem Wäh­ler­an­teil von rund 14 Pro­zent ent­spricht – also in etwa gleich viel ist, wie Mar­tin Bäum­le (GLP) erreich­te. Der Grund für die ver­gleichs­wei­se hohe Zahl von Stim­men für Ver­ein­zel­te sind mög­li­cher­wei­se (auch) stra­te­gi­sche Erwä­gun­gen. Denn die­se Stim­men zäh­len als mass­ge­ben­de Kan­di­da­ten­stim­men und erhö­hen so die Schwel­le für das abso­lu­te Mehr.

Die beliebtesten Kandidatenkombinationen bei der Zürcher Ständeratswahl 2015

Das lin­ke Duo, bestehend aus Dani­el Jositsch von der SP und Bas­tien Girod von den Grü­nen, wur­de am häu­figs­ten auf einen Wahl­zet­tel geschrie­ben. 16 Pro­zent aller Wahl­zet­tel ent­hiel­ten die­se Kan­di­da­ten-Kom­bi­na­ti­on (Abbil­dung 1). 

Danach folg­te in 14 Pro­zent aller Wahl­zet­tel die lager­über­grei­fen­de Kom­bi­na­ti­on von Dani­el Jositsch und Rue­di Noser. Ein SP- und ein FDP-Kan­di­dat als zweit­häu­figs­te Stimm­op­ti­on wäre in den acht­zi­ger Jah­ren noch schwer vor­stell­bar gewe­sen. Doch durch den Wan­del in der sozia­len Zusam­men­set­zung bei­der Wäh­ler­schaf­ten ist dies in der Zwi­schen­zeit mög­lich. Zudem spiel­te die ideo­lo­gi­sche Posi­tio­nie­rung der bei­den Kan­di­da­ten eine wich­ti­ge Rol­le: Jositsch ist eher am rech­ten, Noser hin­ge­gen eher am lin­ken Rand sei­ner Par­tei zu ver­or­ten. Für einen „frus­trier­ten Links­li­be­ra­len“ war die­se Kom­bi­na­ti­on wohl die idea­le Vertretung. 

Am dritt­häu­figs­ten wur­de Hans-Ueli Vogt und sonst nie­mand gewählt. Wenig über­ra­schend han­delt es sich dabei um die ers­te Prä­fe­renz der SVP-Wäh­ler. Allei­ne auf dem Wahl­zet­tel auf­ge­führt zu wer­den, ist für einen Kan­di­da­ten prin­zi­pi­ell das Bes­te, was ihm gesche­hen kann. Trotz­dem hat Vogt das abso­lu­te Mehr deut­lich verpasst.

Abbildung 1:

Kombination

Das Stimmverhalten der einzelnen Parteiwählerschaften

Wie die­ses Ergeb­nis zu Stan­de kom­men konn­te, erklärt das Stimm­ver­hal­ten der ein­zel­nen Par­tei­wäh­ler­schaf­ten. Im Fol­gen­den soll gezeigt wer­den, wem wel­che par­tei­f­rem­den Stim­men zufie­len und mit wel­cher Häufigkeit.

Hohe Parteidisziplin der linken Wählerschaft in Zürich 

Der Erfolg Jositschs ist zuerst ein­mal der hohen Par­tei­dis­zi­plin der SP-Wäh­ler­schaft zu ver­dan­ken. Fast die Hälf­te (44.1 Pro­zent) leg­te das von der Par­tei emp­foh­le­ne Ticket (Jositsch und Girod) ein, 11.3 Pro­zent schrie­ben ledig­lich Jositsch auf ihren Stimm­zet­tel (sie­he Abbil­dung 2). Hin­zu kom­men knapp acht Pro­zent, die neben Jositsch noch einen (chan­cen­lo­sen) Ver­ein­zel­ten auf­führ­ten, mög­li­cher­wei­se um die Schwel­le für das abso­lu­te Mehr zu heben.[2] Ins­ge­samt haben über 60 Pro­zent der SP-Wäh­ler­schaft klar links gewählt. Immer­hin aber schrie­ben 18 Pro­zent der SP-Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern neben Jositsch auch noch Noser auf ihren Wahlzettel.

Abbildung 2: 

SP

Das rot-grü­ne Päck­li war gut geschnürt. Denn auch die Wäh­ler­schaft der Grü­nen setz­te auf eine lin­ke Dop­pel­ver­tre­tung. 60.3 Pro­zent votier­ten für das Duo Girod und Jositsch (sie­he Abbil­dung 3). Bemer­kens­wer­ter ist jedoch, dass min­des­tens zehn Pro­zent der Wäh­ler­schaft der Grü­nen den eige­nen Kan­di­da­ten Girod nicht wähl­ten, dafür aber Jositsch, häu­fig zusam­men mit Noser oder Bäumle.

Das ist umso ver­blüf­fen­der, wenn man bedenkt, dass Jositsch eher am rech­ten Rand der SP zuhau­se ist. Stra­te­gi­sches Wäh­len kommt als Erklä­rung dafür kaum in Fra­ge: Es ging den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern der Grü­nen kaum dar­um, schon im ers­ten Wahl­gang „mit dem Noser den Vogt aus­zu­trei­ben“, wie Girod im Vor­feld des zwei­ten Wahl­gan­ges spitz for­mu­lier­te. Denn es war von Vorn­her­ein klar, dass Vogt das abso­lu­te Mehr nicht schaf­fen wür­de. Wenn aber tak­ti­sches Kal­kül als Motiv weg­fällt, kom­men eigent­lich nur noch sach­po­li­ti­sche Dif­fe­ren­zen als Grund in Fra­ge.[3]

Abbildung 3:

Gruene

 
Kein bürgerlicher Schulterschluss

Bei der FDP-Wäh­ler­schaft lau­te­te die häu­figs­te Kan­di­da­ten­kom­bi­na­ti­on Noser und Jositsch. Bei­na­he jeder drit­te FDP-Wäh­ler (31.4 Pro­zent) nahm neben Noser auch noch Jositsch mit auf den Wahl­zet­tel und sprach sich somit bewusst für eine „geteil­te“ Stan­des­stim­me aus (Abbil­dung 4). Fast jeder fünf­te FDP-Wäh­ler (18.6 Pro­zent) ver­zich­te­te auf die Wahl einer zwei­ten Per­son und setz­te nur Noser auf den Wahl­zet­tel. Pikant ist, dass Jositsch in der Gunst der FDP-Wäh­ler­schaft deut­lich höher stand als der Kan­di­dat der SVP, Hans-Ueli Vogt. An ihn gin­gen rund 15 Pro­zent der FDP-Zweit­stim­men. Etwa gleich vie­le Stim­men von den FDP-Wäh­lern erhielt auch der Kan­di­dat der GLP, Mar­tin Bäumle. 

Abbildung 4:

FDP

Unter den SVP-Wäh­lern war das par­tei­zen­trier­te Stimm­ver­hal­ten noch aus­ge­präg­ter: Vier von zehn (40.5 Pro­zent) wähl­ten nur Hans-Ueli Vogt (sie­he Abbil­dung 5).

17.2 Pro­zent der SVP-Wäh­ler­schaft unter­stütz­te neben Vogt noch einen nicht offi­zi­ell vor­ge­schla­ge­nen Kan­di­da­ten – ein Phä­no­men, das Peter Moser bereits 2011 beschrieb. Um wen es sich bei die­sen Ver­ein­zel­ten han­del­te, lässt sich anhand unse­rer Daten nicht eru­ie­ren. Anzu­neh­men ist aber, dass die SVP-Wäh­ler wuss­ten, dass die­ser Kan­di­dat chan­cen­los war und sie dem­nach frei­wil­lig auf eine „mate­ri­el­le“ Aus­schöp­fung ihrer voll­stän­di­gen Stimm­kraft verzichteten.

Wenn SVP-Wäh­ler ihre Zweit­stim­me nutz­ten, so haupt­säch­lich für Rue­di Noser: Das Duo Vogt und Noser fand sich auf etwas mehr als jedem fünf­ten SVP-Wahl­zet­tel. Ande­re Kan­di­da­ten fan­den die Gna­de der SVP-Wäh­ler­schaft hin­ge­gen nur sel­ten. Etwa 60 Pro­zent wähl­ten somit paro­len­kon­form – womit wir der SVP-Wäh­ler­schaft eine ähn­lich hohe Par­tei­dis­zi­plin attes­tie­ren kön­nen wie der SP. Letz­te­re setz­te ihre Zweit­stim­me zwar viel häu­fi­ger ein als die SVP-Wäh­ler­schaft, aber in der Regel geschlos­sen zuguns­ten einer lin­ken Dop­pel­ver­tre­tung (Jositsch/Girod).

Zählt man alle Wahl­zet­tel der SVP-Wäh­ler­schaft zusam­men, auf wel­chen Jositschs Name stand, so ergibt sich eine Sum­me von rund 5 Pro­zent. Das ist wenig, aber gleich­wohl bemer­kens­wert: Denn lin­ke Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler ver­wei­ger­ten Vogt kon­se­quent ihre Unter­stüt­zung, sein Name stand nur auf etwa einem Pro­zent aller lin­ken Stimmzettel.

Abbildung 5:

SVP

 

Die Qual der Wahl in der Mitte

Die Aus­gangs­si­tua­ti­on für die ein­zel­nen Par­tei­wäh­ler­schaf­ten der poli­ti­schen Mit­te war eine ande­re. Ihnen war klar, dass ihre Kan­di­da­ten bes­ten­falls Aus­sen­sei­ter­chan­cen (Bäum­le) hat­ten. Des­halb ver­teil­ten sie ihre Stim­men wohl auch gross­zü­gi­ger auf die ver­schie­de­nen Kan­di­die­ren­den als die ande­ren Parteien.

Bäumle wurde nicht von allen GLPlern gewählt

Die wah­ren Grals­hü­ter des Pro­por­zes waren dabei die Wäh­ler der GLP (sie­he Abbil­dung 6). Kei­ne ande­re Wäh­ler­schaft ver­teil­te ihre Stim­men gleich­mäs­si­ger als die Grün­li­be­ra­len. Je ein Fünf­tel der GLP-Wäh­ler­schaft unter­stütz­te neben dem eige­nen Kan­di­da­ten Mar­tin Bäum­le auch Dani­el Jositsch von der SP respek­ti­ve Rue­di Noser von der FDP. Aber nicht alle GLP-Wäh­ler wähl­ten den eige­nen Kan­di­da­ten: Die dritt­häu­figs­te Kom­bi­na­ti­on unter der GLP-Wäh­ler­schaft (16.2 Pro­zent) war die­je­ni­ge der bei­den spä­te­ren Wahl­sie­ger Jositsch und Noser. Aus­ser­dem ent­hiel­ten die GLP-Wahl­zet­tel ver­gleichs­wei­se oft (6.0 Pro­zent) die Namen von Girod und Jositsch, aber nicht den­je­ni­gen Bäumles.

Die­ses Ergeb­nis ver­blüfft. War­um ver­wehr­te eine der­art hohe Zahl der GLP-Wäh­ler­schaft dem eige­nen Kan­di­da­ten ihre Stim­me? Mög­li­cher­wei­se lag dies an der star­ken Kon­kur­renz inner­halb des schma­len ideo­lo­gi­schen Ban­des links bzw. rechts vom poli­ti­schen Zen­trum: In die­sem engen Spek­trum buhl­ten gleich fünf Kan­di­die­ren­de – Jositsch, Bäum­le, Schmid-Fede­rer, Ingold und Noser – um die Gunst der in der Mit­te posi­tio­nier­ten Wäh­le­rin­nen und Wählern. 

Von die­sen waren Jositsch und Noser die aus­sichts­rei­chen, um das abso­lu­te Mehr schon im ers­ten Wahl­gang zu erzie­len. Tak­ti­sche Erwä­gun­gen könn­ten dem­nach für die GLP-Wäh­ler­schaft dazu geführt haben, eher auf Jositsch bzw. Noser denn auf Bäum­le zu setzen.

Abbildung 6: 

GLP

Jositsch bei CVP und EVP hoch im Kurs

Auch bei der CVP-Anhän­ger­schaft war Dani­el Jositsch Teil der belieb­tes­ten Kan­di­da­ten­kom­bi­na­ti­on. Er und Bar­ba­ra Schmid-Fede­rer bil­de­ten für rund ein Vier­tel der CVP-Wäh­ler­schaft die idea­le Stan­des­ver­tre­tung Zürichs. Bemer­kens­wert ist zudem, dass elf Pro­zent der CVP-Wäh­ler­schaft nur auf Jositsch und Noser setz­ten und der eige­nen Kan­di­da­tin die Stim­me verwehrten. 

Abbil­dung 7:

CVP

Abbildung 8:

EVP

Ein Fünf­tel der EVP-Wäh­ler­schaft (19.1 Pro­zent) wähl­te Jositsch zusam­men mit der eige­nen Kan­di­da­tin, Maja Ingold. Die zwei­häu­figs­te Kom­bi­na­ti­on der EVP-Wäh­ler­schaft war ein rei­nes Frau­en­ti­cket. 14 Pro­zent wähl­ten neben der eige­nen Kan­di­da­tin Maja Ingold auch Bar­ba­ra Schmid-Fede­rer von der CVP. Auch bei der EVP-Wäh­ler­schaft zeigt sich, dass ein sub­stan­ti­el­ler Anteil die eige­ne Kan­di­da­tin wohl als chan­cen­los ein­stuf­te und nicht wählte. 

Der Erfolg der SP: Maximale Ausbeute im eigenen Lager und viele Fremdstimmen

War­um gelingt der SP, was der SVP ver­wehrt bleibt: Der Sturm aufs Stöck­li? Das SP-Erfolgs­ge­heim­nis besteht dar­in, dass sie mit ihren Kan­di­da­ten öfter bis weit ins bür­ger­li­che Lager hin­ein Stim­men gewin­nen kann, ohne dabei am lin­ken Rand Stim­men zu verlieren. 

Denn gene­rell besteht für eine Pol­par­tei in einem Mehr­par­tei­en­sys­tem die Gefahr, dass sie mit einer Kan­di­da­tur, die gemäs­sig­te Posi­tio­nen ver­tritt, zwar vie­le Stim­men aus der poli­ti­schen Mit­te hin­zu gewinnt, gleich­zei­tig aber Wäh­ler am äus­se­ren Rand des eige­nen Lagers ver­grault (Downs 1957). 

Der SP scheint die­se Qua­dra­tur des Krei­ses zumin­dest bei den Stän­de­rats­wah­len öfter zu gelin­gen. Ein­drück­lich ist dies in Abbil­dung 9 dar­ge­stellt. Dabei ist es weni­ger über­ra­schend, dass Jositsch bei den bür­ger­li­chen Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern so erfolg­reich punk­ten konn­te, son­dern vor allem, dass es im eige­nen Lager kaum Ver­wei­ge­rer gab.

Die soge­nann­te Aus­tausch­quo­te zwi­schen rot und grün ist im Kan­ton Zürich zwar gene­rell hoch, 2015 jedoch mit kla­ren Vor­tei­len für Dani­el Jositsch. Er hol­te bei der Wäh­ler­schaft der Grü­nen mehr Stim­men als deren Kan­di­dat Bas­tien Girod bei der SP. Auch die klei­ne Links­par­tei Alter­na­ti­ve Lis­te (AL) setz­te schluss­end­lich auf Jositsch: Trotz feh­len­der Wahl­emp­feh­lung und unver­blümt kri­ti­schen Tönen spra­chen sich am Wahl­tag doch fast drei Vier­tel der AL-Wäh­ler­schaft für den SP-Kan­di­da­ten aus. 

Zuge­ge­ben, wir wis­sen nicht, ob Links­wäh­ler, die mit dem (zu wenig) lin­ken Ange­bot unzu­frie­den waren, der Urne aus Frust ein­fach fern­ge­blie­ben sind. Prin­zi­pi­ell ist das denk­bar. Vie­le kön­nen es aber ange­sichts der gerin­gen Betei­li­gungs­dif­fe­renz zwi­schen Natio­nal- und Stän­de­rats­wah­len (1.5 Pro­zent­punk­te) nicht gewe­sen sein.

Abbildung 9:

Links-RechtsLese­bei­spiel: Girod erhielt von rund 70 Pro­zent derer, die sich auf der Links-Rechts-Ach­se bei 0 (links­aus­sen) ein­stuf­ten, eine der bei­den Stim­men. Bei Jositsch betrug der­sel­be Anteil etwa 80 Pro­zent und die rest­li­chen Kan­di­da­ten erhiel­ten jeweils Antei­le zwi­schen 0–5 Prozent.

Das Problem der SVP: Auch eine moderate Kandidatur hilft nicht

Das Pro­blem der SVP Zürich bestand dar­in, dass sie trotz gemäs­sig­ter Kan­di­da­tur bei den Stän­de­rats­wah­len 2015 nicht über die eige­nen Par­tei­gren­zen hin­aus Stim­men gewin­nen konn­te. Hans-Ueli Vogt war bei­lei­be kein typi­scher SVP-Poli­ti­ker der frü­he­ren Genera­ti­on, der Rechts­pro­fes­sor gehört dem urban-intel­lek­tu­el­len Milieu an. Er pola­ri­sier­te zudem mit­nich­ten so stark wie Chris­toph Blo­cher vor vier Jahren.

Auch 2015 kam es zu SVP-Avan­cen zuguns­ten eines bür­ger­li­chen Wahl­bünd­nis­ses, denn die­se waren einst durch­aus erfolg­reich. 1999 und 2003 sicher­te der bür­ger­li­che Schul­ter­schluss der SVP und der FDP die „unge­teil­te Stan­des­stim­me“. 2003 wehr­te man mit einem Wahl­bünd­nis einen SP-Angriff mit der Per­son des eher mode­ra­ten und popu­lä­ren frü­he­ren Zür­cher Stadt­prä­si­den­ten Josef Ester­manns noch sou­ve­rän ab.

Seit Bruch mit FDP klappt’s mit dem Ständerat nicht mehr

Doch seit­her kam es zwi­schen der FDP und der SVP zum Bruch. Zwar konn­ten sich die bei­den Par­tei­en 2007 noch auf ein gemein­sa­mes Ticket eini­gen, aber die Wäh­ler­schaft der FDP hielt sich nicht dar­an (Moser 2007).[4] Bis heu­te hat sich wenig dar­an geän­dert: Ein SP-Kan­di­dat (Jositsch) ist bei der FDP-Wäh­ler­schaft mitt­ler­wei­le belieb­ter als ein SVP-Kan­di­dat (Vogt).

Die Nar­ben der Gra­ben­kämp­fe aus jener Zeit (Stich­wort: „Weich­sin­ni­ge“) sind bei der FDP offen­bar noch nicht ver­heilt. Die SVP-Wäh­ler­schaft, die 2007 Felix Gutz­wil­ler (FDP) noch zum Erfolg ver­hol­fen hat, zeigt dem FDP-Kan­di­da­ten in der Zwi­schen­zeit ähn­lich wenig Gegen­lie­be. Selbst wenn sich also die Zür­cher FDP und SVP zu einem Schul­ter­schluss vor den Wah­len zusam­men­ge­rauft hät­ten, so wäre die­se Alli­anz even­tu­ell am Wahl­ver­hal­ten der eige­nen Wäh­ler­schaf­ten gescheitert.

Unklar bleibt, inwie­weit die­se eher lau­war­me gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung von SVP und FDP mit der spe­zi­fi­schen Wahl­si­tua­ti­on von 2015 zu tun hat: Denn bei den Regie­rungs­rats­wah­len in Zürich, aber auch in Basel­land und Luzern, funk­tio­nier­te der bür­ger­li­che Schul­ter­schluss zuletzt tadel­los. Es waren die (aller­dings eher am lin­ken Rand poli­ti­sie­ren­den) SP-Kan­di­da­ten, die schei­ter­ten (BL, LU) oder um den Ein­zug in die Exe­ku­ti­ve (Jac­que­line Fehr, ZH) zit­tern muss­ten.[5]

Viel­leicht lag es also an der Per­son Jositschs im Spe­zi­el­len. Das wie­der­um führt zur Fra­ge, ob die SVP ihrer­seits mit einer (noch) mode­ra­te­ren und vor­zugs­wei­se popu­lä­ren Kan­di­da­tur – einer wie Peter Spuh­ler (TG) zum Bei­spiel – hät­te Erfolg haben kön­nen? Mög­li­cher­wei­se. Es ist aller­dings nicht so ein­fach, spon­tan eine sol­che Per­son aus der Zür­cher SVP zu nennen. 

Die SVP hat in jedem Fall kei­ne Kon­kur­renz von rechts zu befürch­ten, im Gegen­satz zur SP, die immer durch die Grü­nen und die klei­ne­ren Links­par­tei­en kon­kur­riert wird. Mit ande­ren Wor­ten: Die Gefahr, dass Wäh­ler am rech­ten Rand, befrem­det von einem allen­falls unge­wohnt sanf­ten Kurs der SVP, eine ande­re Par­tei oder einen ande­ren Kan­di­da­ten wäh­len wür­den, besteht bei der SVP (vor­erst) kaum.

Doch die SVP ist wie kaum eine ande­re Par­tei auf eine star­ke Mobi­li­sie­rung bei den Natio­nal­rats­wah­len ange­wie­sen. Ein mode­ra­ter Auf­tritt der Par­tei im Wahl­kampf birgt somit stets das Risi­ko in sich, demo­bi­li­sie­rend auf erheb­li­che Tei­le der poten­ti­el­len Wäh­ler­schaft zu wir­ken. Und man kann die bei­den Wahl­kämp­fe – für den Natio­nal- und den Stän­de­rat – nicht los­ge­löst von­ein­an­der füh­ren. Des­halb ist eine erfolg­rei­che Qua­dra­tur des Krei­ses für die SVP bei natio­na­len Wah­len schwe­rer zu bewäl­ti­gen als für die SP.

Info­box 2: Daten und Analyse
Die Nach­wahl­be­fra­gung zu den natio­na­len Par­la­ments­wah­len 2015 lief zwi­schen dem 16. und 18. Okto­ber 2015 auf den Web­sei­ten der Medi­en von Tame­dia. Für die vor­lie­gen­de Aus­wer­tung wur­den die Anga­ben der­je­ni­gen Befrag­ten berück­sich­tigt, die sich bis Sonn­tag­abend um 17.00 Uhr betei­ligt hat­ten. Ins­ge­samt betei­lig­ten sich bis zum besag­ten Zeit­punkt 39’828 Per­so­nen an der Umfra­ge, davon 8’559 aus dem Kan­ton Zürich. Die Zür­cher Daten wur­den nach struk­tu­rel­len Para­me­tern des Kan­tons Zürich (Geschlecht, Alter, Bil­dungs­struk­tur) und poli­ti­schen Varia­blen (Abstim­mungs- und Wahl­ent­scheid im Kan­ton Zürich, Ent­scheid bei der Stän­de­rats­wahl) gewichtet.

Anmer­kun­gen:

[1] Die Unter­schie­de in der Betei­li­gung zwi­schen bei­den Wah­len sind in den meis­ten Kan­to­nen sehr gering. In Zürich betrug er 1.46 Pro­zent, im nach Bevöl­ke­rungs­grös­se gewich­te­ten Schwei­zer Schnitt gar bloss 0.53 Prozent.

[2] Dies hät­te sich aber, wenn man bedenkt, wie knapp Jositsch das abso­lu­te Mehr erziel­te, um ein Haar kon­tra­pro­duk­tiv aus­wir­ken können. 

[3] Die­se Ver­mu­tung wird unter ande­rem auch dadurch genährt, dass 70 Pro­zent der Grü­nen-Wäh­ler angab, die Erb­schafts­steu­er­initia­ti­ve ange­nom­men zu haben. Die­ser Anteil beträgt unter den Grü­nen-Wäh­lern, die Jositsch/Bäumle oder Jositsch/Noser wähl­ten, bloss 37 Prozent. 

[4] Bar­ben und Koll­brun­ner berich­ten ganz ähn­li­ches aus dem Kan­ton Bern für die Wah­len 2011. Lachat zeig­te bereits 2006, dass es der SVP über­durch­schnitt­lich schlecht gelingt, Stim­men aus der Mit­te für ihre Stän­de­rats­kan­di­da­tu­ren zu holen.

[5] Mario Fehr (SP, ZH) wie­der­um – Ver­tre­ter des sozi­al­li­be­ra­len Flü­gels der SP – schaff­te die Wahl bezeich­nen­der­wei­se problemlos.

Refe­ren­zen:

  • Bar­ben, Dölf und Timo Koll­brun­ner (2011). Umar­mung ins Lee­re, Der Bund vom 10.11.2011.

  • Downs, Antho­ny (1957). An Eco­no­mic Theo­ry of Demo­cra­cy. New York: Har­per & Row.

  • Lachat, Romain (2006). A tale of two Coun­cils. Exp­lai­ning the weak­ness of the SVP in the upper house of the Federal Par­lia­ment. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 12(4): 77–99.

  • Moser, Peter (2007). Die zür­che­ri­schen Stän­de­rats­wah­len 2007: eine Ana­ly­se des ers­ten Wahl­gan­ges. Statistik.flash 08/2007.

Foto: www.jositsch.ch

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