Stimmabgabe als Charakterfrage? Wie die Wählerschaft der SVP tickt

Welt­weit fei­ern popu­lis­ti­sche Bewe­gun­gen und Par­tei­en poli­ti­sche Erfol­ge und for­dern dabei eta­blier­te demo­kra­ti­sche Macht­struk­tu­ren und Nor­men her­aus. Die wirt­schaft­li­chen und sozio­struk­tu­rel­len Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te wer­den als Ursa­chen die­ses Trends genannt. Eine neue Stu­die zeigt nun am Bei­spiel der Schwei­zer Par­la­ments­wah­len 2015, dass der Cha­rak­ter der Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler eine bedeu­ten­de Rol­le für eine Wahl­ent­schei­dung zuguns­ten der rechts­po­pu­lis­ti­schen Schwei­ze­ri­schen Volks­par­tei SVP spielt.

Der Tri­umph bei der Natio­nal­rats­wahl 2015 mar­kier­te einen wei­te­ren Mei­len­stein in der Geschich­te der SVP und reiht sich naht­los in die welt­wei­ten Erfol­ge popu­lis­ti­scher Par­tei­en und Bewe­gun­gen ein. Mit einem Stim­men­an­teil von 29,4 Pro­zent erziel­te die Par­tei ihr bes­tes Ergeb­nis auf natio­na­ler Ebe­ne. Seit 2003 fällt damit regel­mäs­sig mehr als jede vier­te Stim­me auf die rechts­po­pu­lis­ti­sche Partei.

Die­ser Erfolg der SVP wur­de bis­lang aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven durch­leuch­tet. Ins­be­son­de­re sozio­de­mo­gra­phi­sche Merk­ma­le und der sozia­le Sta­tus sowie bestimm­te Ein­stel­lungs­mus­ter wer­den als gän­gi­ge Erklä­run­gen für die Wahl­ent­schei­dung der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger her­an­ge­führt. Neue­re For­schun­gen zei­gen aber auch, dass bei der Stimm­ab­ga­be psy­cho­lo­gi­schen Fak­to­ren eine gros­se Bedeu­tung zukommt. Emo­tio­nen kön­nen dabei das Wahl­ver­hal­ten eben­so beein­flus­sen wie sta­bi­le Persönlichkeitseigenschaften.

Inner­halb der Per­sön­lich­keits­psy­cho­lo­gie hat sich das Modell der „Big Five“ Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten als Stan­dard­mo­dell eta­bliert, um den Cha­rak­ter einer Per­son zu erfas­sen (sie­he Info­box). Zum Teil sind die­se Merk­ma­le auch in unse­rer All­tags­spra­che prä­sent, um zu beschrei­ben, wie sich eine Per­son in der Regel ver­hält. Bei­spiels­wei­se wird jemand, der übli­cher­wei­se gesel­lig ist, auf ande­re zugeht und sei­ne Mei­nung ger­ne kund­tut, häu­fig als extro­ver­tiert beschrieben.

Der Cha­rak­ter tan­giert in vie­ler­lei Hin­sicht unse­re all­täg­li­chen Hand­lun­gen und Hal­tun­gen und damit auch unse­re poli­ti­schen Wert­ori­en­tie­run­gen, Ein­stel­lun­gen und Inter­es­sen, «denn Men­schen legen tief ver­an­ker­te Ver­hal­tens­ten­den­zen nicht ab, sobald sie sich der poli­ti­schen Sphä­re nähern» (Schoen 2012: 49).

Die „Big Five“ Persönlichkeitseigenschaften
Inner­halb der Per­sön­lich­keits­psy­cho­lo­gie hat sich das Fünf Fak­to­ren-Modell („Big Five“) zur Cha­rak­ter­mes­sung als Stan­dard eta­bliert. Es geht davon aus, dass sich die Per­sön­lich­keits­struk­tur eines jeden Men­schen anhand der fol­gen­den fünf über­grei­fen­den Eigen­schaf­ten umfas­send beschrei­ben lässt: Offen­heit für Erfah­run­gen, Gewis­sen­haf­tig­keit, Extra­ver­si­on, Ver­träg­lich­keit und Neurotizismus.
Über­sicht der Messung:
Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaftMes­sung Big Five Inven­to­ry (BFI‑S)
 Ich bin jemand, der…
Offen­heit für Erfahrungen

… ori­gi­nell ist, neue Ideen einbringt.

… künst­le­ri­sche Erfah­run­gen schätzt.

… eine leb­haf­te Phan­ta­sie, Vor­stel­lun­gen hat.

Gewis­sen­haf­tig­keit

… gründ­lich arbeitet.

… Auf­ga­ben wirk­sam und effi­zi­ent erledigt.

… sel­ten faul ist.

Extra­ver­si­on

… aus sich her­aus­ge­hen kann, gesel­lig ist.

… nicht zurück­hal­tend ist.

… kom­mu­ni­ka­tiv, gesprä­chig ist.

Ver­träg­lich­keit

… fast nie grob zu ande­ren ist.

… ver­zei­hen kann.

… rück­sichts­voll und freund­lich mit ande­ren umgeht.

Neu­ro­ti­zis­mus

… nicht ent­spannt ist, nicht mit Stress umge­hen kann.

… sich oft Sor­gen macht.

… schnell ner­vös wird.

 
Persönlichkeitseigenschaften hängen mit der Wahlentscheidung zusammen

Geht es spe­zi­fisch um die Wahl­ent­schei­dung, wird ange­nom­men, dass Per­so­nen Par­tei­en oder Poli­ti­ker wäh­len, die ihrem eige­nen Natu­rell ent­spre­chen. Wir haben die­ses Argu­ment für die Wahl der SVP als rechts­po­pu­lis­ti­sche Kraft in der Schweiz in einer empi­ri­schen Stu­die über­prüft (Acker­mann et al. 2018).

Unse­re Resul­ta­te zei­gen, dass sich gewis­sen­haf­te und extro­ver­tier­te Per­so­nen mit einer höhe­ren Wahr­schein­lich­keit für die SVP aus­spre­chen (sie­he Info­box und Abbil­dung). Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler der SVP haben ten­den­zi­ell ein grös­se­res Bedürf­nis nach Ord­nung und Hier­ar­chie. Sie gehen auch eher aus sich her­aus, tre­ten domi­nant auf und scheu­en sich nicht, ihre Mei­nung zu äußern.

Offe­ne und ver­träg­li­che Per­so­nen füh­len sich hin­ge­gen von der SVP weni­ger ange­spro­chen und stim­men eher für ande­re Par­tei­en. Für Per­so­nen, die neu­en Ideen und gesell­schaft­li­chen Ein­flüs­sen offen gegen­über­ste­hen, ist das Poli­tik­an­ge­bot der SVP damit weni­ger attrak­tiv. Eben­so ver­hält es sich bei Men­schen, die Kon­flik­te mei­den und an har­mo­ni­schen Bezie­hun­gen zu ande­ren inter­es­siert sind. Neu­ro­ti­zis­mus, sprich eine gerin­ge emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät, steht in kei­nem Zusam­men­hang mit der Wahl der SVP.

Daten und Methoden
Für unse­re Stu­die haben wir die Rol­ling-Cross-Sec­tion­/­Pa­nel-Stu­die der Swiss Elec­to­ral Stu­dy (Selects) 2015 ver­wen­det. Wir schät­zen logis­ti­sche Regres­si­ons­mo­del­le, um den Zusam­men­hang zwi­schen Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten (unab­hän­gi­ge Varia­ble) und der Wahl­ent­schei­dung für die SVP (abhän­gi­ge Varia­ble) zu model­lie­ren. Alter, Geschlecht, Urba­ni­sa­ti­ons­grad des Wohn­or­tes, Bil­dungs­grad und Spra­che wer­den als Kon­troll­va­ria­blen in die­sen Model­len berück­sich­tigt. In einem zwei­ten Schritt wer­den auch Ein­stel­lungs­va­ria­blen mit­ein­be­zo­gen, um zu unter­su­chen, ob sie den Zusam­men­hang zwi­schen Per­sön­lich­keit und Wahl­ent­schei­dung ver­mit­teln (Media­ti­ons­ef­fek­te).
Abbildung: Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Wahl der SVP

Alles eine Frage der Einstellung?

Von wei­ter­füh­ren­dem Inter­es­se ist, war­um der Cha­rak­ter die Wahl­ent­schei­dung zuguns­ten der SVP steu­ert. Wir neh­men an, dass bestimm­te Ein­stel­lun­gen als zen­tra­le ver­mit­teln­de Instan­zen zwi­schen Per­sön­lich­keit und Wahl­ent­schei­dung lie­gen. Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten beein­flus­sen neben unse­rem Han­deln eben auch unser Den­ken und damit auch unse­re poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen. Unse­re dies­be­züg­li­chen Ana­ly­sen ver­deut­li­chen, dass weni­ger den popu­lis­ti­schen und öko­no­mi­schen Ansich­ten, statt­des­sen aber viel­mehr den Ein­stel­lun­gen zu Migra­ti­ons­fra­gen eine beson­de­re Bedeu­tung zukommt.

Eine restrik­ti­ve Hal­tung in Migra­ti­ons­fra­gen erhöht deut­lich die Wahr­schein­lich­keit, die SVP zu wäh­len. Ins­be­son­de­re bei offe­nen und bei extro­ver­tier­ten Men­schen spielt die posi­ti­ve oder nega­ti­ve Ein­stel­lung gegen­über der Zuwan­de­rung die ent­schei­den­de Rol­le, wenn es um die Wahl­ent­schei­dung hin­sicht­lich der SVP geht. Bei gewis­sen­haf­ten und wenig ver­träg­li­chen Men­schen wie­der­um erklärt die Hal­tung zu Migra­ti­on, Wirt­schaft und Popu­lis­mus nur teil­wei­se den Ent­schluss, der SVP die Stim­me zu geben. Inso­fern spricht die SVP gewis­sen­haf­te und wenig ver­träg­li­che Per­so­nen also nicht nur durch ihr Poli­tik­an­ge­bot an, son­dern mög­li­cher­wei­se auch durch ande­re Fak­to­ren wie das Auf­tre­ten, die Rhe­to­rik oder die han­deln­den Personen.


Refe­renz:

Acker­mann, Kath­rin; Eros Zam­pie­ri und Mar­kus Frei­tag (2018). Per­so­na­li­ty and Voting for a Right-Wing Popu­list Par­ty – Evi­dence from Switz­er­land. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review, 24(4).
 

Lite­ra­tur:

  • Acker­mann, Kath­rin, Eros Zam­pie­ri und Mar­kus Frei­tag. 2018. Per­so­na­li­ty and Voting for a Right-Wing Popu­list Par­ty – Evi­dence from Switz­er­land. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review, online first. doi:10.1111/spsr.12330.
  • Schoen, Harald. 2012. Per­sön­lich­keit, poli­ti­sche Prä­fe­ren­zen und poli­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on. Aus Poli­tik und Zeit­ge­schich­te 62 (49–50), 47–55.

Bild: rawpixel.com

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