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Stimmabgabe als Charakterfrage? Wie die Wählerschaft der SVP tickt

Kathrin Ackermann, Eros Zampieri, Markus Freitag
17th Dezember 2018

Weltweit feiern populistische Bewegungen und Parteien politische Erfolge und fordern dabei etablierte demokratische Machtstrukturen und Normen heraus. Die wirtschaftlichen und soziostrukturellen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte werden als Ursachen dieses Trends genannt. Eine neue Studie zeigt nun am Beispiel der Schweizer Parlamentswahlen 2015, dass der Charakter der Wählerinnen und Wähler eine bedeutende Rolle für eine Wahlentscheidung zugunsten der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei SVP spielt.

Der Triumph bei der Nationalratswahl 2015 markierte einen weiteren Meilenstein in der Geschichte der SVP und reiht sich nahtlos in die weltweiten Erfolge populistischer Parteien und Bewegungen ein. Mit einem Stimmenanteil von 29,4 Prozent erzielte die Partei ihr bestes Ergebnis auf nationaler Ebene. Seit 2003 fällt damit regelmässig mehr als jede vierte Stimme auf die rechtspopulistische Partei.

Dieser Erfolg der SVP wurde bislang aus verschiedenen Perspektiven durchleuchtet. Insbesondere soziodemographische Merkmale und der soziale Status sowie bestimmte Einstellungsmuster werden als gängige Erklärungen für die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger herangeführt. Neuere Forschungen zeigen aber auch, dass bei der Stimmabgabe psychologischen Faktoren eine grosse Bedeutung zukommt. Emotionen können dabei das Wahlverhalten ebenso beeinflussen wie stabile Persönlichkeitseigenschaften.

Innerhalb der Persönlichkeitspsychologie hat sich das Modell der „Big Five“ Persönlichkeitseigenschaften als Standardmodell etabliert, um den Charakter einer Person zu erfassen (siehe Infobox). Zum Teil sind diese Merkmale auch in unserer Alltagssprache präsent, um zu beschreiben, wie sich eine Person in der Regel verhält. Beispielsweise wird jemand, der üblicherweise gesellig ist, auf andere zugeht und seine Meinung gerne kundtut, häufig als extrovertiert beschrieben.

Der Charakter tangiert in vielerlei Hinsicht unsere alltäglichen Handlungen und Haltungen und damit auch unsere politischen Wertorientierungen, Einstellungen und Interessen, «denn Menschen legen tief verankerte Verhaltenstendenzen nicht ab, sobald sie sich der politischen Sphäre nähern» (Schoen 2012: 49).

Die „Big Five“ Persönlichkeitseigenschaften
Innerhalb der Persönlichkeitspsychologie hat sich das Fünf Faktoren-Modell („Big Five“) zur Charaktermessung als Standard etabliert. Es geht davon aus, dass sich die Persönlichkeitsstruktur eines jeden Menschen anhand der folgenden fünf übergreifenden Eigenschaften umfassend beschreiben lässt: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.

Übersicht der Messung:
Persönlichkeitseigenschaft Messung Big Five Inventory (BFI-S)
  Ich bin jemand, der…
Offenheit für Erfahrungen

… originell ist, neue Ideen einbringt.

… künstlerische Erfahrungen schätzt.

… eine lebhafte Phantasie, Vorstellungen hat.

Gewissenhaftigkeit

… gründlich arbeitet.

… Aufgaben wirksam und effizient erledigt.

… selten faul ist.

Extraversion

… aus sich herausgehen kann, gesellig ist.

… nicht zurückhaltend ist.

… kommunikativ, gesprächig ist.

Verträglichkeit

… fast nie grob zu anderen ist.

… verzeihen kann.

… rücksichtsvoll und freundlich mit anderen umgeht.

Neurotizismus

… nicht entspannt ist, nicht mit Stress umgehen kann.

… sich oft Sorgen macht.

… schnell nervös wird.

 
Persönlichkeitseigenschaften hängen mit der Wahlentscheidung zusammen

Geht es spezifisch um die Wahlentscheidung, wird angenommen, dass Personen Parteien oder Politiker wählen, die ihrem eigenen Naturell entsprechen. Wir haben dieses Argument für die Wahl der SVP als rechtspopulistische Kraft in der Schweiz in einer empirischen Studie überprüft (Ackermann et al. 2018).

Unsere Resultate zeigen, dass sich gewissenhafte und extrovertierte Personen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für die SVP aussprechen (siehe Infobox und Abbildung). Wählerinnen und Wähler der SVP haben tendenziell ein grösseres Bedürfnis nach Ordnung und Hierarchie. Sie gehen auch eher aus sich heraus, treten dominant auf und scheuen sich nicht, ihre Meinung zu äußern.

Offene und verträgliche Personen fühlen sich hingegen von der SVP weniger angesprochen und stimmen eher für andere Parteien. Für Personen, die neuen Ideen und gesellschaftlichen Einflüssen offen gegenüberstehen, ist das Politikangebot der SVP damit weniger attraktiv. Ebenso verhält es sich bei Menschen, die Konflikte meiden und an harmonischen Beziehungen zu anderen interessiert sind. Neurotizismus, sprich eine geringe emotionale Stabilität, steht in keinem Zusammenhang mit der Wahl der SVP.

Daten und Methoden
Für unsere Studie haben wir die Rolling-Cross-Section/Panel-Studie der Swiss Electoral Study (Selects) 2015 verwendet. Wir schätzen logistische Regressionsmodelle, um den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften (unabhängige Variable) und der Wahlentscheidung für die SVP (abhängige Variable) zu modellieren. Alter, Geschlecht, Urbanisationsgrad des Wohnortes, Bildungsgrad und Sprache werden als Kontrollvariablen in diesen Modellen berücksichtigt. In einem zweiten Schritt werden auch Einstellungsvariablen miteinbezogen, um zu untersuchen, ob sie den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Wahlentscheidung vermitteln (Mediationseffekte).

Abbildung: Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Wahl der SVP

Alles eine Frage der Einstellung?

Von weiterführendem Interesse ist, warum der Charakter die Wahlentscheidung zugunsten der SVP steuert. Wir nehmen an, dass bestimmte Einstellungen als zentrale vermittelnde Instanzen zwischen Persönlichkeit und Wahlentscheidung liegen. Persönlichkeitseigenschaften beeinflussen neben unserem Handeln eben auch unser Denken und damit auch unsere politischen Einstellungen. Unsere diesbezüglichen Analysen verdeutlichen, dass weniger den populistischen und ökonomischen Ansichten, stattdessen aber vielmehr den Einstellungen zu Migrationsfragen eine besondere Bedeutung zukommt.

Eine restriktive Haltung in Migrationsfragen erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit, die SVP zu wählen. Insbesondere bei offenen und bei extrovertierten Menschen spielt die positive oder negative Einstellung gegenüber der Zuwanderung die entscheidende Rolle, wenn es um die Wahlentscheidung hinsichtlich der SVP geht. Bei gewissenhaften und wenig verträglichen Menschen wiederum erklärt die Haltung zu Migration, Wirtschaft und Populismus nur teilweise den Entschluss, der SVP die Stimme zu geben. Insofern spricht die SVP gewissenhafte und wenig verträgliche Personen also nicht nur durch ihr Politikangebot an, sondern möglicherweise auch durch andere Faktoren wie das Auftreten, die Rhetorik oder die handelnden Personen.


Referenz:

Ackermann, Kathrin; Eros Zampieri und Markus Freitag (2018). Personality and Voting for a Right‐Wing Populist Party – Evidence from Switzerland. Swiss Political Science Review, 24(4).
 

Literatur:

  • Ackermann, Kathrin, Eros Zampieri und Markus Freitag. 2018. Personality and Voting for a Right-Wing Populist Party – Evidence from Switzerland. Swiss Political Science Review, online first. doi:10.1111/spsr.12330.
  • Schoen, Harald. 2012. Persönlichkeit, politische Präferenzen und politische Partizipation. Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (49–50), 47–55.

Bild: rawpixel.com