Digitalisierung und Zivilgesellschaft: Wie das Internet den sozialen Kitt durchlöchert

Wir haben unter­sucht, wie in der Schweiz die Inter­net­nut­zung mit der Bereit­schaft zur Frei­wil­li­gen­ar­beit in Ver­ei­nen in Ver­bin­dung gebracht wer­den kann. Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass Inter­net­nut­zer weni­ger wahr­schein­lich in Ver­ei­nen frei­wil­lig tätig sind als Per­so­nen, die das Inter­net sel­te­ner kon­su­mie­ren. Dies gilt aber nicht für alle Bevöl­ke­rungs­grup­pen glei­cher­mas­sen: Älte­re Frei­wil­li­ge pro­fi­tie­ren von der Nut­zung des Inter­nets. Der Inter­net­ge­brauch jün­ge­rer Men­schen steht hin­ge­gen in einem nega­ti­ven Ver­hält­nis zur Nei­gung, sich in Ver­ei­nen unbe­zahlt zu enga­gie­ren. Dies trifft ins­be­son­de­re auf die­je­ni­gen Inter­net­nut­zer zu, die sich in der digi­ta­len Welt nicht vernetzen.

Frei­wil­li­ge­n­en­ga­ge­ment meint, dass Bür­ge­rin­nen und Bür­ger aus frei­en Stü­cken und weit­ge­hend unbe­zahlt Zeit, Geld und Ener­gie auf­brin­gen, sich für ande­re Men­schen und Orga­ni­sa­tio­nen ein­zu­set­zen und einen Bei­trag zum Gemein­wohl zu leis­ten. Ein Blick auf die Ent­wick­lung der frei­wil­li­gen Arbeit in der Schweiz zeigt, dass sich das Reser­voir an frei­wil­lig Täti­gen in Ver­ei­nen seit Ende der 1990er-Jah­re ten­den­zi­ell ver­klei­nert. Land­auf land­ab wer­den dar­um Stim­men lau­ter, die sich über die feh­len­de Bereit­schaft des gesell­schaft­li­chen Enga­ge­ments in der Schweiz beklagen.

Die­ser Rück­zug ins Pri­va­te wird allent­hal­ben mit dem Auf­kom­men des Inter­nets und der Digi­ta­li­sie­rung unse­rer Lebens­wel­ten in Ver­bin­dung gebracht: “…it is pre­cise­ly tho­se Ame­ri­cans most mar­ked by this depen­dence on tele­vi­sed enter­tain­ment who were most likely to have drop­ped out of civic and social life – who spent less time with friends, were less invol­ved in com­mu­ni­ty orga­niz­a­ti­ons, and were less likely to par­ti­ci­pa­te in public affairs (…) At the very least, tele­vi­si­on and its elec­tro­nic cou­sins are wil­ling accom­pli­ces in the civic mys­te­ry we have been unra­ve­ling, and more likely than not, they are rin­g­lea­ders” (Put­nam 2000: 246).

Freiwilligenarbeit als sozialer Kitt

Die Band­brei­te frei­wil­li­ger Tätig­kei­ten bewegt sich vom Enga­ge­ment in Sport‑, Hob­by- und Frei­zeit­ver­ei­nen, unent­gelt­li­cher Arbeit im sozia­len, gesund­heit­li­chen oder kul­tu­rel­len Bereich, über die frei­wil­li­ge Über­nah­me poli­ti­scher Ämter bis hin zur gegen­sei­ti­gen Hil­fe unter Nach­barn oder freund­schaft­lich ver­bun­de­nen Bekannten.

All dies ver­deut­licht, dass Frei­wil­lig­keit aus der Gesell­schaft nur schwer­lich weg­zu­den­ken wäre, ohne zugleich einen schmerz­li­chen Ver­lust an Viel­falt und vor allem an Qua­li­tät des gesell­schaft­li­chen Lebens in Kauf zu neh­men. Das frei­wil­li­ge Enga­ge­ment der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger setzt gros­se Tei­le täg­li­cher Abläu­fe in Gang und gilt als der „sozia­le Kitt“, der die Gesell­schaft als Gan­zes zusammenhält.

Im Gegen­satz zur Nach­bar­schafts­hil­fe ist die Frei­wil­li­gen­ar­beit in Ver­ei­nen durch ein noch höhe­res Mass an Regel­mäs­sig­keit und Ver­pflich­tung gekenn­zeich­net und damit ver­wund­ba­rer, wenn es um den Ein­satz und die Abruf­bar­keit zeit­li­cher Res­sour­cen geht. Für unse­re Unter­su­chung rückt des­halb die insti­tu­tio­na­li­sier­te Frei­wil­li­gen­ar­beit in Ver­ei­nen als zu erklä­ren­de Grös­se in den Mit­tel­punkt des ana­ly­ti­schen Interesses.

Die negativen Effekte des Internets

Wir unter­su­chen den Zusam­men­hang zwi­schen Inter­net­nut­zung und Ver­ein­s­en­ga­ge­ment auf Grund­la­ge einer zukunfts­pes­si­mis­ti­schen Sicht­wei­se, wonach Inter­net­nut­zung zu einer Abnah­me sozia­ler Bezie­hun­gen in der rea­len Welt führt und somit sozia­le Iso­la­ti­on wahr­schein­li­cher macht. Die­se Annah­me basiert vor allem auf dem Gedan­ken, dass Frei­zeit als eine begrenz­te Res­sour­ce zu ver­ste­hen ist, um die eine leicht zugäng­li­che Inter­net­ak­ti­vi­tät und eine anspruchs­vol­le Frei­wil­li­gen­ar­beit konkurrieren.

Weniger Engagement, aber nicht bei allen

Die Ergeb­nis­se unse­rer logis­ti­schen Regres­si­ons­mo­del­le zei­gen zunächst eine nega­ti­ve Bezie­hung zwi­schen der Inter­net­nut­zung und der Wahr­schein­lich­keit inner­halb eines Ver­eins frei­wil­lig tätig zu sein. Die­ser Zusam­men­hang gilt aller­dings nicht für alle Befrag­ten. So sind Per­so­nen unter 38 Jah­ren weni­ger wahr­schein­lich in Ver­ei­nen frei­wil­lig tätig, wenn sie das Inter­net täg­lich nut­zen (sie­he Abbil­dung 1). Umge­kehrt enga­gie­ren sich die älte­ren Befrag­ten (ab 55 Jah­ren) wahr­schein­li­cher frei­wil­lig in Ver­ei­nen, wenn sie das Inter­net täg­lich gebrauchen.

Abbildung 1:

Unse­re Ergeb­nis­se legen nahe, dass mit dem Gebrauch des Inter­net gera­de für älte­re Per­so­nen ein gewis­ser Mobi­li­sie­rungs­ef­fekt ein­tritt. Durch das Inter­net kön­nen älte­re Frei­wil­li­ge ein­fa­cher und schnel­ler kom­mu­ni­zie­ren, Infor­ma­tio­nen kön­nen rascher gefun­den und Ter­mi­ne mühe­lo­ser arran­giert wer­den. Dar­über hin­aus ver­liert eine mög­li­che ein­ge­schränk­te Mobi­li­tät den Sta­tus einer unüber­brück­ba­ren Bar­rie­re, da bestimm­te Auf­ga­ben auch online erle­digt wer­den können.

Der Einfluss sozialer Medien

Ein Unter­schied macht indes die Art der Inter­net­nut­zung. Dabei wird argu­men­tiert, dass gera­de sozia­le Medi­en wie Face­book und Twit­ter nicht iso­lie­rend wir­ken, son­dern inter­ak­tiv aus­ge­legt sind und die Zahl sozia­ler Kon­tak­te beflü­geln. Wei­te­re Aus­wer­tun­gen schei­nen die­se Per­spek­ti­ve zu unter­stüt­zen: So gel­ten die berich­te­ten Zusam­men­hän­ge vor allem für Per­so­nen, die nicht bei Face­book oder Twit­ter ange­mel­det sind. Ver­net­zen­de Akti­vi­tä­ten über das Inter­net ver­hin­dern eine sozia­le Abge­schie­den­heit, da sie im Gegen­satz zu rei­nen Strea­ming Platt­for­men wie Net­flix, sozia­len Aus­tausch ermög­li­chen. Die­se Inter­net­nut­zer sind somit nicht iso­liert, son­dern ergän­zen ihre off­line Bezie­hun­gen mit online Kontakten.

Das Internet und die Zivilgesellschaft

Unse­re Ergeb­nis­se dif­fe­ren­zie­ren die bis­he­ri­gen Zusam­men­hän­ge zwi­schen Inter­net­nut­zung und gesell­schaft­li­chem Enga­ge­ment. Der täg­li­che Gebrauch des World Wide Web geht durch­aus zu Las­ten der Bereit­schaft, sich frei­wil­lig in Ver­ei­nen zu enga­gie­ren. Aller­dings trifft die­ser Befund eher für jun­ge Men­schen zu, die das Inter­net nicht nur für Ver­net­zungs­ak­ti­vi­tä­ten benut­zen. Bei älte­ren Men­schen steigt hin­ge­gen die Wahr­schein­lich­keit für Frei­wil­li­gen­ar­beit mit zuneh­men­der Inter­net­nut­zung. In Zei­ten einer zuneh­men­den Alte­rung der Gesell­schaft und einer wach­sen­den Digi­ta­li­sie­rung unse­rer Lebens­wel­ten mögen die­se Ergeb­nis­se die eine oder den ande­ren sicher hoff­nungs­froh stimmen.

 

Daten und Methoden
Die Stu­die über­prüft anhand logis­ti­scher Regres­si­ons­schät­zun­gen drei Hypo­the­sen zum Zusam­men­hang zwi­schen Inter­net­nut­zung und Frei­wil­li­gen­ar­beit in der Schweiz im Jahr 2016. Den Inter­net­ge­brauch mes­sen wir anhand der täg­li­chen oder nicht täg­li­chen Nut­zung (a) sowie anhand der Minu­ten pro Tag, die im Inter­net ver­bracht wer­den (b). Das frei­wil­li­ge Enga­ge­ment wird durch die Fra­ge erho­ben, ob der Befrag­te unent­gelt­lich ehren­amt­li­che oder frei­wil­li­ge Arbeit inner­halb von einem Ver­ein, einer Orga­ni­sa­ti­on oder einer Insti­tu­ti­on leis­tet. Als Daten­satz dient die 18. Wel­le des Schwei­zer Haus­halts-Panel mit über 7’700 Befrag­ten (SHP; Till­mann et al. 2016). Die Stu­die grenzt sich von frü­he­ren Unter­su­chun­gen ab, da sie die Bezie­hung zwi­schen Inter­net und Frei­wil­li­gen­ar­beit als wich­ti­gen Bestand­teil sozia­ler Bezie­hun­gen unter­sucht. Fer­ner dif­fe­ren­zie­ren wir den Zusam­men­hang für ver­schie­de­ne sozio-demo­gra­phi­sche Grup­pen und nach unter­schied­li­chen Nutzerverhalten.

Literatur

 

Bild: Text me. (Punch Publi­ca­ti­ons London/University of Toron­to Libraries)

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