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Digitalisierung und Zivilgesellschaft: Wie das Internet den sozialen Kitt durchlöchert

Maximilian Filsinger, Markus Freitag
10th Oktober 2018

Wir haben untersucht, wie in der Schweiz die Internetnutzung mit der Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit in Vereinen in Verbindung gebracht werden kann. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Internetnutzer weniger wahrscheinlich in Vereinen freiwillig tätig sind als Personen, die das Internet seltener konsumieren. Dies gilt aber nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen: Ältere Freiwillige profitieren von der Nutzung des Internets. Der Internetgebrauch jüngerer Menschen steht hingegen in einem negativen Verhältnis zur Neigung, sich in Vereinen unbezahlt zu engagieren. Dies trifft insbesondere auf diejenigen Internetnutzer zu, die sich in der digitalen Welt nicht vernetzen.

Freiwilligenengagement meint, dass Bürgerinnen und Bürger aus freien Stücken und weitgehend unbezahlt Zeit, Geld und Energie aufbringen, sich für andere Menschen und Organisationen einzusetzen und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Ein Blick auf die Entwicklung der freiwilligen Arbeit in der Schweiz zeigt, dass sich das Reservoir an freiwillig Tätigen in Vereinen seit Ende der 1990er-Jahre tendenziell verkleinert. Landauf landab werden darum Stimmen lauter, die sich über die fehlende Bereitschaft des gesellschaftlichen Engagements in der Schweiz beklagen.

Dieser Rückzug ins Private wird allenthalben mit dem Aufkommen des Internets und der Digitalisierung unserer Lebenswelten in Verbindung gebracht: “…it is precisely those Americans most marked by this dependence on televised entertainment who were most likely to have dropped out of civic and social life – who spent less time with friends, were less involved in community organizations, and were less likely to participate in public affairs (…) At the very least, television and its electronic cousins are willing accomplices in the civic mystery we have been unraveling, and more likely than not, they are ringleaders” (Putnam 2000: 246).

Freiwilligenarbeit als sozialer Kitt

Die Bandbreite freiwilliger Tätigkeiten bewegt sich vom Engagement in Sport-, Hobby- und Freizeitvereinen, unentgeltlicher Arbeit im sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Bereich, über die freiwillige Übernahme politischer Ämter bis hin zur gegenseitigen Hilfe unter Nachbarn oder freundschaftlich verbundenen Bekannten.

All dies verdeutlicht, dass Freiwilligkeit aus der Gesellschaft nur schwerlich wegzudenken wäre, ohne zugleich einen schmerzlichen Verlust an Vielfalt und vor allem an Qualität des gesellschaftlichen Lebens in Kauf zu nehmen. Das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger setzt grosse Teile täglicher Abläufe in Gang und gilt als der „soziale Kitt“, der die Gesellschaft als Ganzes zusammenhält.

Im Gegensatz zur Nachbarschaftshilfe ist die Freiwilligenarbeit in Vereinen durch ein noch höheres Mass an Regelmässigkeit und Verpflichtung gekennzeichnet und damit verwundbarer, wenn es um den Einsatz und die Abrufbarkeit zeitlicher Ressourcen geht. Für unsere Untersuchung rückt deshalb die institutionalisierte Freiwilligenarbeit in Vereinen als zu erklärende Grösse in den Mittelpunkt des analytischen Interesses.

Die negativen Effekte des Internets

Wir untersuchen den Zusammenhang zwischen Internetnutzung und Vereinsengagement auf Grundlage einer zukunftspessimistischen Sichtweise, wonach Internetnutzung zu einer Abnahme sozialer Beziehungen in der realen Welt führt und somit soziale Isolation wahrscheinlicher macht. Diese Annahme basiert vor allem auf dem Gedanken, dass Freizeit als eine begrenzte Ressource zu verstehen ist, um die eine leicht zugängliche Internetaktivität und eine anspruchsvolle Freiwilligenarbeit konkurrieren.

Weniger Engagement, aber nicht bei allen

Die Ergebnisse unserer logistischen Regressionsmodelle zeigen zunächst eine negative Beziehung zwischen der Internetnutzung und der Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Vereins freiwillig tätig zu sein. Dieser Zusammenhang gilt allerdings nicht für alle Befragten. So sind Personen unter 38 Jahren weniger wahrscheinlich in Vereinen freiwillig tätig, wenn sie das Internet täglich nutzen (siehe Abbildung 1). Umgekehrt engagieren sich die älteren Befragten (ab 55 Jahren) wahrscheinlicher freiwillig in Vereinen, wenn sie das Internet täglich gebrauchen.

Abbildung 1:

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass mit dem Gebrauch des Internet gerade für ältere Personen ein gewisser Mobilisierungseffekt eintritt. Durch das Internet können ältere Freiwillige einfacher und schneller kommunizieren, Informationen können rascher gefunden und Termine müheloser arrangiert werden. Darüber hinaus verliert eine mögliche eingeschränkte Mobilität den Status einer unüberbrückbaren Barriere, da bestimmte Aufgaben auch online erledigt werden können.

Der Einfluss sozialer Medien

Ein Unterschied macht indes die Art der Internetnutzung. Dabei wird argumentiert, dass gerade soziale Medien wie Facebook und Twitter nicht isolierend wirken, sondern interaktiv ausgelegt sind und die Zahl sozialer Kontakte beflügeln. Weitere Auswertungen scheinen diese Perspektive zu unterstützen: So gelten die berichteten Zusammenhänge vor allem für Personen, die nicht bei Facebook oder Twitter angemeldet sind. Vernetzende Aktivitäten über das Internet verhindern eine soziale Abgeschiedenheit, da sie im Gegensatz zu reinen Streaming Plattformen wie Netflix, sozialen Austausch ermöglichen. Diese Internetnutzer sind somit nicht isoliert, sondern ergänzen ihre offline Beziehungen mit online Kontakten.

Das Internet und die Zivilgesellschaft

Unsere Ergebnisse differenzieren die bisherigen Zusammenhänge zwischen Internetnutzung und gesellschaftlichem Engagement. Der tägliche Gebrauch des World Wide Web geht durchaus zu Lasten der Bereitschaft, sich freiwillig in Vereinen zu engagieren. Allerdings trifft dieser Befund eher für junge Menschen zu, die das Internet nicht nur für Vernetzungsaktivitäten benutzen. Bei älteren Menschen steigt hingegen die Wahrscheinlichkeit für Freiwilligenarbeit mit zunehmender Internetnutzung. In Zeiten einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft und einer wachsenden Digitalisierung unserer Lebenswelten mögen diese Ergebnisse die eine oder den anderen sicher hoffnungsfroh stimmen.

 

Daten und Methoden
Die Studie überprüft anhand logistischer Regressionsschätzungen drei Hypothesen zum Zusammenhang zwischen Internetnutzung und Freiwilligenarbeit in der Schweiz im Jahr 2016. Den Internetgebrauch messen wir anhand der täglichen oder nicht täglichen Nutzung (a) sowie anhand der Minuten pro Tag, die im Internet verbracht werden (b). Das freiwillige Engagement wird durch die Frage erhoben, ob der Befragte unentgeltlich ehrenamtliche oder freiwillige Arbeit innerhalb von einem Verein, einer Organisation oder einer Institution leistet. Als Datensatz dient die 18. Welle des Schweizer Haushalts-Panel mit über 7’700 Befragten (SHP; Tillmann et al. 2016). Die Studie grenzt sich von früheren Untersuchungen ab, da sie die Beziehung zwischen Internet und Freiwilligenarbeit als wichtigen Bestandteil sozialer Beziehungen untersucht. Ferner differenzieren wir den Zusammenhang für verschiedene sozio-demographische Gruppen und nach unterschiedlichen Nutzerverhalten.


Literatur

 

Bild: Text me. (Punch Publications London/University of Toronto Libraries)