Fokusgruppen — eine immer beliebtere Methode in der Politikwissenschaft und der politischen Meinungsforschung

In einer Fokus­grup­pe wer­den übli­cher­wei­se sechs bis zehn Teilnehmer*innen gemein­sam anhand eines struk­tu­rier­ten Fra­ge­bo­gens zu einem bestimm­ten The­ma befragt. Das Instru­ment ent­stand nach dem zwei­ten Welt­krieg in den USA. Inzwi­schen gehö­ren Fokus­grup­pen in der Markt­for­schung zum Stan­dard. Das Instru­ment wird aber mitt­ler­wei­le auch in der poli­ti­schen Mei­nungs­for­schung ein­ge­setzt, mit eini­gem Ver­zug nun zuneh­mend auch in der Schweiz.

In der poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen For­schung wur­den Fokus­grup­pen lan­ge Zeit eher kri­tisch beur­teilt (Cop­sey 2008) und auch in der Lite­ra­tur stief­müt­ter­lich behan­delt. In jün­ge­rer Zeit wer­den Fokus­grup­pen aber auch in der Poli­tik­wis­sen­schaft als nütz­li­che und legi­ti­me Metho­de ein­ge­setzt und akzep­tiert (Stan­ley 2016).

Qua­li­ta­ti­ve vs. quan­ti­ta­ti­ve Methoden
In der Wis­sen­schaft wie auch in der Pra­xis wird bis­wei­len zwi­schen quan­ti­ta­ti­ver (Umfra­gen) und qua­li­ta­ti­ver (Fokus­grup­pen, Ein­zel­in­ter­views) Mei­nungs­for­schung unter­schie­den, obwohl sich die­se bei­den Instru­men­te gegen­sei­tig ergän­zen und dem­nach mehr Part­ner als Geg­ner sind. Ein­fach aus­ge­drückt: Die quan­ti­ta­ti­ve Mei­nungs­for­schung erklärt das Wie­viel, die qua­li­ta­ti­ve Mei­nungs­for­schung erklärt das War­um. Nach der Bre­x­it-Abstim­mung und den Prä­si­dent­schafts­wah­len 2016 in den USA wur­den die Ver­läss­lich­keit und die Aus­sa­ge­kraft von quan­ti­ta­ti­ven Mei­nungs­um­fra­gen hef­tig dis­ku­tiert. Zuneh­mend setzt sich die Erkennt­nis durch, dass soli­de Mei­nungs­for­schung neben Sta­tis­tik vor allem auch viel mit der Kunst des Zuhö­rens zu tun hat. Dafür sind Fokus­grup­pen ein her­vor­ra­gen­des Instrument.
Definition von Fokusgruppen

In der Regel neh­men an einer Fokus­grup­pe unge­fähr acht Per­so­nen teil. Dabei han­delt es sich nicht um Freun­de und Bekann­te, son­dern um eine vor­gän­gig defi­nier­te und sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­te Ziel­grup­pe. Einer der Vor­tei­le von Fokus­grup­pen ist, dass man ganz bestimm­te Ziel­grup­pen unter die Lupe neh­men kann. Je nach For­schungs­in­ter­es­se könn­ten dies bei­spiels­wei­se links-grü­ne Wechselwähler*innen, regel­mäs­si­ge Urnengänger*innen oder auch ein­fach Besitzer*innen eines Gene­ral­abon­ne­ments sein.

Gera­de wenn man meh­re­re Fokus­grup­pen zum sel­ben The­ma bzw. Fra­ge­stel­lung durch­führt, ist es nor­ma­ler­wei­se emp­feh­lens­wert, dass die Teilnehmer*innen bezüg­lich Alter, Geschlecht und sozia­lem Sta­tus homo­gen sind. Eine häu­fig gestell­te Fra­ge ist die, wie bloss acht Teilnehmer*innen reprä­sen­ta­tiv für die Gesamt­be­völ­ke­rung sein kön­nen. Cop­sey (2008) sagt dies­be­züg­lich: “To ques­ti­on the size of the sam­ple, howe­ver, is to misun­derstand the pur­po­se of the focus group (or inde­ed qua­li­ta­ti­ve rese­arch in gene­ral).” Wich­tig ist folg­lich, dass man nie nur eine, son­dern immer eine Serie von Fokus­grup­pen durch­führt und dabei beob­ach­tet, wel­che Mus­ter sich wäh­rend den Dis­kus­sio­nen erge­ben. Als Mini­mum gilt all­ge­mein ein Rese­arch Design von min­des­tens vier Grup­pen. Es kann aber auch Pro­jek­te mit bis zu zehn oder mehr Grup­pen geben.

Beobachter*innen, wel­che mit dem Instru­ment nicht ver­traut sind, fra­gen häu­fig, wie man denn Leu­te fin­den kön­ne, wel­che bei so etwas mit­ma­chen wür­den. Dabei wird oft ver­ges­sen, dass Men­schen in der Regel zwar ungern eine Prü­fung über ihr Wis­sen able­gen, aber mit Freu­de ihre Mei­nun­gen kund­tun. Die Rekru­tie­rung der Teilnehmer*innen fin­det ähn­lich wie bei einer Umfra­ge via Tele­fon statt. Nur inter­es­sie­ren zu die­sem Zeit­punkt noch nicht die Mei­nun­gen der Befrag­ten, son­dern das Gespräch wird dazu genutzt, die­je­ni­gen Per­so­nen aus­fin­dig zu machen, wel­che ent­spre­chend den Kri­te­ri­en des Rese­arch Designs in die Grup­pen­dis­kus­si­on ein­ge­la­den werden.

Durchführung einer Fokusgruppe

Die Grup­pe von Teilnehmer*innen wird dann in einem neu­tra­len Semi­nar­raum anhand eines Inter­view-Leit­fa­dens wäh­rend cir­ca zwei Stun­den befragt. Die mode­rie­ren­de Per­son ist häu­fig psy­cho­lo­gisch geschult und spielt eine ent­schei­den­de Rol­le für den Erfolg einer Fokus­grup­pe. Sie muss den Teilnehmer*innen genü­gend Raum geben, Gedan­ken ent­wi­ckeln und aus­füh­ren zu kön­nen, gleich­zei­tig soll die Dis­kus­si­on aber auch nicht aus­ufern, nie­mand soll domi­nie­ren und es sol­len alle Teilnehmer*innen zu Wort kommen.

Das Gespräch wird auf­ge­zeich­net, kann aber auch live mit­be­ob­ach­tet wer­den. Schulz (2012) hält fest, dass es bis heu­te kein ein­heit­li­ches Ver­fah­ren zur Ana­ly­se, Aus­wer­tung und Inter­pre­ta­ti­on von Fokus­grup­pen gibt. Die Erstel­lung eines schrift­li­chen Tran­skrip­tes der Dis­kus­si­on gehört aber in der Regel dazu ist immer wie­der aufs Neue fas­zi­nie­rend zu beob­ach­ten, dass das erwar­te­te Mus­ter in der öffent­li­chen Mei­nung in den Fokus­grup­pen jedes Mal tat­säch­lich klar ersicht­lich ist.

Bei einer Fokus­grup­pe geht es wohl­ver­stan­den nicht um Zah­len. So erin­nert uns Stan­ley (2016: 237) zu Recht dar­an, dass wir Fokus­grup­pen nicht durch die Optik der quan­ti­ta­ti­ven Mei­nungs­for­schung ver­ste­hen sol­len. Uns inter­es­siert viel mehr, wie Wähler*innen an ein bestimm­tes The­ma her­an­ge­hen, was sie dar­über wis­sen und wel­che spon­ta­nen Asso­zia­tio­nen sie zu einem The­ma haben. Zudem brin­gen Fokus­grup­pen zu Tage, wel­che Per­so­nen, Insti­tu­tio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen die Teilnehmer*innen bei einem bestimm­ten The­ma (spon­tan und gestützt) als glaub­wür­dig empfinden.

Im Lau­fe der Dis­kus­si­on wer­den den Teil­neh­men­den dann soge­nann­te «Sti­mu­li» wie zum Bei­spiel ein Argu­men­ta­ri­um oder bestimm­tes Kam­pa­gnen­ma­te­ri­al prä­sen­tiert. Gele­gent­lich wer­den ihnen auch Unter­la­gen aus­ge­teilt, wel­che sie aus­fül­len kön­nen. Die mode­rie­ren­de Per­son beob­ach­tet in der Fol­ge, wie die Teilnehmer*innen auf Argu­men­te und Gegen­ar­gu­men­te reagie­ren, wie Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se ent­ste­hen und sich entwickeln.

Eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on ist zudem, wie spon­tan und über­zeugt Ant­wor­ten gelie­fert und wel­che Ver­bin­dun­gen gemacht wer­den oder eben nicht. Das sind alles Infor­ma­tio­nen, wel­che bei einer quan­ti­ta­ti­ven Umfra­ge zum glei­chen The­ma schlicht nicht erho­ben wer­den kön­nen. Bei Fokus­grup­pen ist dar­über hin­aus auch die Inter­ak­ti­on zwi­schen den Teilnehmer*innen von gros­ser Bedeu­tung. Je nach poli­ti­scher Kul­tur soll­te auch die Kör­per­spra­che und die Mimik beob­ach­tet wer­den. In den USA und in Euro­pa sagen Teilnehmer*innen ihre Mei­nun­gen sehr direkt und expli­zit. In Asi­en hin­ge­gen wird das Wich­tigs­te zuwei­len zwi­schen den Zei­len, als Witz oder eben genau nicht gesagt.

Einsatzmöglichkeiten von Fokusgruppen — ihre sechs Funktionen

Grund­sätz­lich kön­nen Fokus­grup­pen ganz am Anfang wäh­rend der Pla­nungs­pha­se einer poli­ti­schen Kam­pa­gne zur Ideen­ge­win­nung und als Input für eine ers­te quan­ti­ta­ti­ve Umfra­ge, wäh­rend der Kam­pa­gne zum Tes­ten von Wer­be­mit­tel oder wich­ti­gen Kam­pa­gne­n­er­eig­nis­sen oder auch nach dem Urnen­gang zur Nach­ana­ly­se ein­ge­setzt wer­den. Brei­ten­feld, Hofin­ger et. al (2004) unter­schei­den sechs Funk­tio­nen von Fokus­grup­pen:

  • Die «Rückhol»-Funktion: Die poli­ti­sche Eli­te lernt, was «nor­ma­le» Bürger*innen über poli­ti­sche The­men wis­sen und wie dar­über unge­fil­tert dis­ku­tiert wird.
  • Die Auf­weck-Funk­ti­on: Fokus­grup­pen füh­ren den poli­ti­schen Akteur*innen die Aus­sen­wahr­neh­mung vor Augen.
  • Die Aus­gra­bungs-Funk­ti­on: Fokus­grup­pen hel­fen, die Schwach­stel­len der Kon­kur­renz in einer Art und Wei­se her­aus­zu­ar­bei­ten, die für die Wähler*innen glaub­wür­dig ist.
  • Die Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en-Funk­ti­on: Fokus­grup­pen zei­gen, wel­che Argu­men­ta­ti­ons­ket­ten über­zeu­gen und bei wel­chen dies nicht der Fall ist.
  • Die «Sager»-Funktion: Aus Fokus­grup­pen wer­den poin­tier­te For­mu­lie­run­gen gewon­nen, wel­che bestimm­te Sach­ver­hal­te auf den Punkt brin­gen und in der Kom­mu­ni­ka­ti­on über­nom­men wer­den können.
  • Die Test-Funk­ti­on: Fokus­grup­pen wer­den benützt, um Wer­be­mit­tel zu testen.
     

Aus der Pra­xis betrach­tet sind alle die­se sechs Funk­tio­nen glei­cher­mas­sen wich­tig und nütz­lich. Die schwei­ze­ri­sche direk­te Demo­kra­tie mit zahl­rei­chen Abstim­mun­gen zu Sach­the­men lie­fert ein wei­te­res Feld zum Ein­satz von Fokus­grup­pen. Debat­ten und Abstim­mungs­kämp­fe über Initia­ti­ven und Refe­ren­den fin­den ja immer in einem Kon­text statt. Da man bei Fokus­grup­pen die Teil­neh­men­den nor­ma­ler­wei­se zwei Stun­den lang befragt, kann man die­sen Kon­text und die Trei­ber der öffent­li­chen Mei­nung hin­ter einer Vor­la­ge sehr viel umfas­sen­der abfra­gen und aus­leuch­ten als in einer Umfra­ge, wel­che maxi­mal zwan­zig Minu­ten dauert.

Fokus­grup­pen ermög­li­chen es, die­sen Kon­text, in wel­chem eine Debat­te statt­fin­det (oder statt­fin­den wird), in einer mit­tel­fris­ti­gen Per­spek­ti­ve zu ver­ste­hen und mit einer Serie von kon­kre­ten Mass­nah­men ent­spre­chend zu mana­gen. Im Kam­pa­gnen­jar­gon sagt man: «If you’re exp­lai­ning, you’re losing». Fokus­grup­pen loh­nen sich in die­sem Sinn vor allem bei einer kom­pli­zier­ten Vor­la­ge oder einem kom­pli­zier­ten The­ma. So kön­nen wir her­aus­fin­den, wie man eine Vor­la­ge erklä­ren kann, ohne kom­mu­ni­ka­tiv in die Defen­si­ve zu gera­ten. Es mag viel­leicht selt­sam klin­gen, aber qua­li­ta­ti­ve Mei­nungs­for­schung hilft auch, das Stimm­volk zu spü­ren. Dies­be­züg­lich funk­tio­niert das poli­ti­sche Mar­ke­ting ähn­lich wie kom­mer­zi­el­les Mar­ke­ting: Es braucht eine Über­ein­stim­mung von Ange­bot und Nach­fra­ge. Wahl- und Abstim­mungs­kämp­fe gewinnt man dann, wenn das eige­ne poli­ti­sche Ange­bot, die eige­ne Argu­men­ta­ti­on und Bot­schaft, mit der poli­ti­schen Nach­fra­ge übereinstimmt.


Lite­ra­tur:

  • Brei­ten­fel­der, Ursu­la, Hofin­ger Chris­toph, Kau­pa Isa­bel­la, Picker, Ruth (2004). Fokus­grup­pen im poli­ti­schen For­schungs- und Bera­tungs­pro­zess. FQS Forum: Qua­li­ta­ti­ve Social Rese­arch 5 (2).
  • Mer­ton, Robert, Kendall, Patri­cia (1946). The Focu­sed Inter­view. Ame­ri­can Jour­nal of Socio­lo­gy 51 (6): 541–557.
  • Schulz, Mar­len, Mach, Bir­git, Renn, Ort­win (2012). Fokus­grup­pen in der empi­ri­schen Sozi­al­wis­sen­schaft. Sprin­ger VS.
  • Stan­ley, Liam (2016). Using focus groups in poli­ti­cal sci­ence and inter­na­tio­nal rela­ti­ons. Poli­tics 36 (3): 236–249.
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