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Fokusgruppen — eine immer beliebtere Methode in der Politikwissenschaft und der politischen Meinungsforschung

Louis Perron
27th Juni 2018

In einer Fokusgruppe werden üblicherweise sechs bis zehn Teilnehmer*innen gemeinsam anhand eines strukturierten Fragebogens zu einem bestimmten Thema befragt. Das Instrument entstand nach dem zweiten Weltkrieg in den USA. Inzwischen gehören Fokusgruppen in der Marktforschung zum Standard. Das Instrument wird aber mittlerweile auch in der politischen Meinungsforschung eingesetzt, mit einigem Verzug nun zunehmend auch in der Schweiz.

In der politikwissenschaftlichen Forschung wurden Fokusgruppen lange Zeit eher kritisch beurteilt (Copsey 2008) und auch in der Literatur stiefmütterlich behandelt. In jüngerer Zeit werden Fokusgruppen aber auch in der Politikwissenschaft als nützliche und legitime Methode eingesetzt und akzeptiert (Stanley 2016).

Qualitative vs. quantitative Methoden
In der Wissenschaft wie auch in der Praxis wird bisweilen zwischen quantitativer (Umfragen) und qualitativer (Fokusgruppen, Einzelinterviews) Meinungsforschung unterschieden, obwohl sich diese beiden Instrumente gegenseitig ergänzen und demnach mehr Partner als Gegner sind. Einfach ausgedrückt: Die quantitative Meinungsforschung erklärt das Wieviel, die qualitative Meinungsforschung erklärt das Warum. Nach der Brexit-Abstimmung und den Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA wurden die Verlässlichkeit und die Aussagekraft von quantitativen Meinungsumfragen heftig diskutiert. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass solide Meinungsforschung neben Statistik vor allem auch viel mit der Kunst des Zuhörens zu tun hat. Dafür sind Fokusgruppen ein hervorragendes Instrument.

Definition von Fokusgruppen

In der Regel nehmen an einer Fokusgruppe ungefähr acht Personen teil. Dabei handelt es sich nicht um Freunde und Bekannte, sondern um eine vorgängig definierte und sorgfältig ausgewählte Zielgruppe. Einer der Vorteile von Fokusgruppen ist, dass man ganz bestimmte Zielgruppen unter die Lupe nehmen kann. Je nach Forschungsinteresse könnten dies beispielsweise links-grüne Wechselwähler*innen, regelmässige Urnengänger*innen oder auch einfach Besitzer*innen eines Generalabonnements sein.

Gerade wenn man mehrere Fokusgruppen zum selben Thema bzw. Fragestellung durchführt, ist es normalerweise empfehlenswert, dass die Teilnehmer*innen bezüglich Alter, Geschlecht und sozialem Status homogen sind. Eine häufig gestellte Frage ist die, wie bloss acht Teilnehmer*innen repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sein können. Copsey (2008) sagt diesbezüglich: “To question the size of the sample, however, is to misunderstand the purpose of the focus group (or indeed qualitative research in general).” Wichtig ist folglich, dass man nie nur eine, sondern immer eine Serie von Fokusgruppen durchführt und dabei beobachtet, welche Muster sich während den Diskussionen ergeben. Als Minimum gilt allgemein ein Research Design von mindestens vier Gruppen. Es kann aber auch Projekte mit bis zu zehn oder mehr Gruppen geben.

Beobachter*innen, welche mit dem Instrument nicht vertraut sind, fragen häufig, wie man denn Leute finden könne, welche bei so etwas mitmachen würden. Dabei wird oft vergessen, dass Menschen in der Regel zwar ungern eine Prüfung über ihr Wissen ablegen, aber mit Freude ihre Meinungen kundtun. Die Rekrutierung der Teilnehmer*innen findet ähnlich wie bei einer Umfrage via Telefon statt. Nur interessieren zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Meinungen der Befragten, sondern das Gespräch wird dazu genutzt, diejenigen Personen ausfindig zu machen, welche entsprechend den Kriterien des Research Designs in die Gruppendiskussion eingeladen werden.

Durchführung einer Fokusgruppe

Die Gruppe von Teilnehmer*innen wird dann in einem neutralen Seminarraum anhand eines Interview-Leitfadens während circa zwei Stunden befragt. Die moderierende Person ist häufig psychologisch geschult und spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg einer Fokusgruppe. Sie muss den Teilnehmer*innen genügend Raum geben, Gedanken entwickeln und ausführen zu können, gleichzeitig soll die Diskussion aber auch nicht ausufern, niemand soll dominieren und es sollen alle Teilnehmer*innen zu Wort kommen.

Das Gespräch wird aufgezeichnet, kann aber auch live mitbeobachtet werden. Schulz (2012) hält fest, dass es bis heute kein einheitliches Verfahren zur Analyse, Auswertung und Interpretation von Fokusgruppen gibt. Die Erstellung eines schriftlichen Transkriptes der Diskussion gehört aber in der Regel dazu ist immer wieder aufs Neue faszinierend zu beobachten, dass das erwartete Muster in der öffentlichen Meinung in den Fokusgruppen jedes Mal tatsächlich klar ersichtlich ist.

Bei einer Fokusgruppe geht es wohlverstanden nicht um Zahlen. So erinnert uns Stanley (2016: 237) zu Recht daran, dass wir Fokusgruppen nicht durch die Optik der quantitativen Meinungsforschung verstehen sollen. Uns interessiert viel mehr, wie Wähler*innen an ein bestimmtes Thema herangehen, was sie darüber wissen und welche spontanen Assoziationen sie zu einem Thema haben. Zudem bringen Fokusgruppen zu Tage, welche Personen, Institutionen und Organisationen die Teilnehmer*innen bei einem bestimmten Thema (spontan und gestützt) als glaubwürdig empfinden.

Im Laufe der Diskussion werden den Teilnehmenden dann sogenannte «Stimuli» wie zum Beispiel ein Argumentarium oder bestimmtes Kampagnenmaterial präsentiert. Gelegentlich werden ihnen auch Unterlagen ausgeteilt, welche sie ausfüllen können. Die moderierende Person beobachtet in der Folge, wie die Teilnehmer*innen auf Argumente und Gegenargumente reagieren, wie Meinungsbildungsprozesse entstehen und sich entwickeln.

Eine wichtige Information ist zudem, wie spontan und überzeugt Antworten geliefert und welche Verbindungen gemacht werden oder eben nicht. Das sind alles Informationen, welche bei einer quantitativen Umfrage zum gleichen Thema schlicht nicht erhoben werden können. Bei Fokusgruppen ist darüber hinaus auch die Interaktion zwischen den Teilnehmer*innen von grosser Bedeutung. Je nach politischer Kultur sollte auch die Körpersprache und die Mimik beobachtet werden. In den USA und in Europa sagen Teilnehmer*innen ihre Meinungen sehr direkt und explizit. In Asien hingegen wird das Wichtigste zuweilen zwischen den Zeilen, als Witz oder eben genau nicht gesagt.

Einsatzmöglichkeiten von Fokusgruppen - ihre sechs Funktionen

Grundsätzlich können Fokusgruppen ganz am Anfang während der Planungsphase einer politischen Kampagne zur Ideengewinnung und als Input für eine erste quantitative Umfrage, während der Kampagne zum Testen von Werbemittel oder wichtigen Kampagnenereignissen oder auch nach dem Urnengang zur Nachanalyse eingesetzt werden. Breitenfeld, Hofinger et. al (2004) unterscheiden sechs Funktionen von Fokusgruppen:

  • Die «Rückhol»-Funktion: Die politische Elite lernt, was «normale» Bürger*innen über politische Themen wissen und wie darüber ungefiltert diskutiert wird.
  • Die Aufweck-Funktion: Fokusgruppen führen den politischen Akteur*innen die Aussenwahrnehmung vor Augen.
  • Die Ausgrabungs-Funktion: Fokusgruppen helfen, die Schwachstellen der Konkurrenz in einer Art und Weise herauszuarbeiten, die für die Wähler*innen glaubwürdig ist.
  • Die Argumentationslinien-Funktion: Fokusgruppen zeigen, welche Argumentationsketten überzeugen und bei welchen dies nicht der Fall ist.
  • Die «Sager»-Funktion: Aus Fokusgruppen werden pointierte Formulierungen gewonnen, welche bestimmte Sachverhalte auf den Punkt bringen und in der Kommunikation übernommen werden können.
  • Die Test-Funktion: Fokusgruppen werden benützt, um Werbemittel zu testen.
     

Aus der Praxis betrachtet sind alle diese sechs Funktionen gleichermassen wichtig und nützlich. Die schweizerische direkte Demokratie mit zahlreichen Abstimmungen zu Sachthemen liefert ein weiteres Feld zum Einsatz von Fokusgruppen. Debatten und Abstimmungskämpfe über Initiativen und Referenden finden ja immer in einem Kontext statt. Da man bei Fokusgruppen die Teilnehmenden normalerweise zwei Stunden lang befragt, kann man diesen Kontext und die Treiber der öffentlichen Meinung hinter einer Vorlage sehr viel umfassender abfragen und ausleuchten als in einer Umfrage, welche maximal zwanzig Minuten dauert.

Fokusgruppen ermöglichen es, diesen Kontext, in welchem eine Debatte stattfindet (oder stattfinden wird), in einer mittelfristigen Perspektive zu verstehen und mit einer Serie von konkreten Massnahmen entsprechend zu managen. Im Kampagnenjargon sagt man: «If you’re explaining, you’re losing». Fokusgruppen lohnen sich in diesem Sinn vor allem bei einer komplizierten Vorlage oder einem komplizierten Thema. So können wir herausfinden, wie man eine Vorlage erklären kann, ohne kommunikativ in die Defensive zu geraten. Es mag vielleicht seltsam klingen, aber qualitative Meinungsforschung hilft auch, das Stimmvolk zu spüren. Diesbezüglich funktioniert das politische Marketing ähnlich wie kommerzielles Marketing: Es braucht eine Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage. Wahl- und Abstimmungskämpfe gewinnt man dann, wenn das eigene politische Angebot, die eigene Argumentation und Botschaft, mit der politischen Nachfrage übereinstimmt.


Literatur:

  • Breitenfelder, Ursula, Hofinger Christoph, Kaupa Isabella, Picker, Ruth (2004). Fokusgruppen im politischen Forschungs- und Beratungsprozess. FQS Forum: Qualitative Social Research 5 (2).
  • Merton, Robert, Kendall, Patricia (1946). The Focused Interview. American Journal of Sociology 51 (6): 541-557.
  • Schulz, Marlen, Mach, Birgit, Renn, Ortwin (2012). Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft. Springer VS.
  • Stanley, Liam (2016). Using focus groups in political science and international relations. Politics 36 (3): 236-249.