Aufgrund der zunehmenden Polarisierung in der Schweizer Politik wäre anzunehmen, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institutionen eher abnimmt. Dem ist aber nicht so. Eine Analyse über die letzten fünfzehn Jahre zeigt, dass das Vertrauen und die Zufriedenheit mit Regierung und Parlament in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hoch sind und über die letzten Jahre eher noch zugenommen haben. Der internationale Vergleich zeigt aber auch, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist und das Vertrauen in die politischen Institutionen schnell verloren gehen kann.
Für das Funktionieren einer Demokratie ist es wichtig, dass die Bevölkerung der Regierung und dem Parlament Vertrauen entgegenbringt und davon ausgeht, dass diese Institutionen gute Arbeit leisten. Dieses Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung, damit politische Institutionen effizient arbeiten können. Bürgerinnen und Bürger müssen dem politischen System vertrauen, damit sie bereit sind, kurzfristige Einschränkungen aufgrund von langfristig notwendigen Reformen hinzunehmen, beispielsweise bei der Reform von Sozialversicherungen. Bürgerinnen und Bürger müssen zudem auch überzeugt sein, dass Regierung und Parlament ihre Arbeit gut machen, damit sie Vorgaben und Gesetze in Bereichen befolgen, die schwierig zu kontrollieren sind, beispielsweise bei der Bezahlung von Steuern. Vertrauen in die Institutionen ist damit zentral für die Legitimation und Stabilität einer Demokratie und ein stabiles politisches System ist wiederum zentral für Investitionen und damit das wirtschaftliche Wohlergehen eines Landes (OECD 2013, Kestilä-Kekkonen/Söderlund 2015).
Die Schweizer Bevölkerung ist im europäischen Vergleich zufriedener mit ihrer Regierung und bringt dem Parlament und den Politikern ein hohes Vertrauen entgegen. Die Zufriedenheit mit der Regierung hat in der Schweiz seit 2002 deutlich zugenommen, während das Vertrauen in Parlament und Politiker konstant geblieben ist, wie Grafik 1 zeigt.
G1: Institutionelles Vertrauen und Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage 2002-2016
Vertrauen und Zufriedenheit werden auf einer Skala von 0 (=äusserst unzufrieden/überhaupt kein Vertrauen) bis 10 (äusserst zufrieden/volles Vertrauen) abgefragt.
Quelle: European Social Survey
Für die verschiedenen Regionen Europas zeigt sich bei beiden Indikatoren ein ähnliches Bild. Zwischen nord-, west- und osteuropäischen Ländern lassen sich über die Zeit relativ konstante Niveauunterschiede feststellen. Während in Nordeuropa die Vertrauenswerte zwischen fünf und sechs liegen, nennen die Menschen in Westeuropa im Durchschnitt einen Wert von vier. In Osteuropa sind die Vertrauenswerte noch tiefer. Alles andere als konstant sind die Vertrauens- und Zufriedenheitswerte in den südeuropäischen Ländern. An dieser Region zeigt sich, dass Vertrauen und Zufriedenheit auch rasant einbrechen können. Diese Länder waren stark von der Finanzkrise betroffen, was sich ab 2008 in einem Einbruch des Vertrauens und der Zufriedenheit mit den politischen Institutionen manifestiert, von dem sich die Länder nur langsam erholen. Vergleicht man die beiden Indikatoren mit der Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage, lässt sich auch hier ein ähnlicher Verlauf feststellen, jedoch mit stärkeren Schwankungen.
Auch im direkten Vergleich mit den Nachbarländern weist die Schweiz in Bezug auf die politischen Institutionen eine höhere Zufriedenheit und mehr Vertrauen auf. Eine kleine Abweichung zeigt sich im Regierungsvertrauen. Während in den meisten anderen europäischen Ländern und auch in den Nachbarländern die Zufriedenheit mit der Regierung geringer ist als das Vertrauen ins Parlament, ist dies in der Schweiz umgekehrt.
G2: Institutionelles Vertrauen in der Schweiz und ihren Nachbarländern 2016
Vertrauen und Zufriedenheit werden auf einer Skala von 0 (=äusserst unzufrieden/überhaupt kein Vertrauen) bis 10 (äusserst zufrieden/volles Vertrauen) abgefragt. Italien ist nicht aufgeführt, weil für Italien noch keine aktuellen Daten vorliegen.
Quelle: European Social Survey
Das Vertrauen in die Institutionen hängt stark von der Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem Output des politischen Systems ab. Multivariate Analysen mit Daten des European Social Survey von 2002 bis 2016 zeigen, dass in der Schweiz die Zufriedenheit mit dem Bildungssystem und der Gesundheitsversorgung aber auch mit der Demokratie im Allgemeinen starke Determinanten des politischen Vertrauens sind (s. Infobox). Je zufriedener die Leute mit diesen Errungenschaften sind, desto stärker vertrauen sie den politischen Institutionen.
Dagegen haben die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und mit der wirtschaftlichen Situation des Landes keinen Einfluss auf das politische Vertrauen. Im Vergleich zu anderen Ländern stellt die Schweiz insofern eine Art Sonderfall dar, als die aktuelle Wirtschaftslage für das Vertrauen in politische Institutionen keine Rolle spielt. Genauso wenig beeinflussen die Parteisympathie und die eigene Links-Rechts-Positionierung, wie stark Schweizer Stimmberechtigte den politischen Institutionen vertrauen. Ein guter Indikator hingegen ist das politische Interesse: Je mehr sich jemand für Politik interessiert, desto höher ist das Vertrauen in die politischen Institutionen. Während sozioökonomische Faktoren wie Alter, Bildung, Einkommen und Geschlecht keinen Einfluss auf das politische Vertrauen ausüben, ist das soziale Vertrauen umso wichtiger (s. Infobox). Je mehr soziales Vertrauen die Befragten haben, sprich je besser sie die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Schweiz einschätzen, desto grösser ist ihr Vertrauen in die politischen Institutionen.
Abschliessend lässt sich also festhalten, dass die politischen Institutionen in der Schweiz trotz zunehmender Polarisierung grosses Vertrauen in der Bevölkerung geniessen. Die Schweizerinnen und Schweizer stellen dem Parlament und dem Bundesrat ein gutes Zeugnis aus. Dies trägt wiederum zur hohen politischen Stabilität des Landes bei.
Das politische Vertrauen setzt sich aus dem Vertrauen gegenüber dem Parlament sowie dem Vertrauen gegenüber Politikerinnen und Politikern zusammen. Die entsprechende Frage lautet folgendermassen:
«Bitte sagen Sie mir, wie Sie persönlich Ihr Vertrauen in die folgenden Institutionen oder Personengruppen (National- und Ständerat bzw. Politiker) auf einer Skala von 0 bis 10 einstufen würden. 0 bedeutet, dass Sie in eine Institution überhaupt kein Vertrauen haben, 10 steht für Ihr volles Vertrauen.»
Das soziale Vertrauen wird mittels Kombination der folgenden drei Fragen erhoben:
- «Gehen Sie (auf einer Skala von 0-10) in der Regel davon aus, dass man den meisten Menschen trauen kann, oder sind Sie eher der Meinung, dass man nicht vorsichtig genug sein kann? 0 = man kann nicht vorsichtig genug sein, 10 = man kann den meisten Menschen trauen.»
- «Glauben Sie (auf einer Skala von 0-10), dass die meisten Menschen versuchen würden, Sie auszunützen, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, oder gehen Sie eher davon aus, dass sie sich fair verhalten würden? 0 = die meisten Menschen würden versuchen, mich auszunützen, 10 = die meisten Menschen würden sich fair verhalten.»
- «Würden Sie sagen (auf einer Skala von 0-10), dass die meisten Menschen im Grossen und Ganzen versuchen, hilfsbereit zu sein, oder sind sie meistens nur auf den eigenen Vorteil bedacht? 0 = die meisten Menschen sind nur auf den eigenen Vorteil bedacht, 10 = die meisten Menschen versuchen, hilfsbereit zu sein.»
Literatur:
- Kestilä-Kekkonen, Elina und Peter Söderlund 2015. Political Trust, Individual-level Characteristics and Institutional Performance: Evidence from Finland, 2004–13. Scandinavian Political Studies 39/2. Do138-160. Doi: 10.1111/1467-9477.12052.
- OECD 2013. Trust in government, policy effectiveness and the governance agenda. In: Governement at a Glance 2013.
Foto: Parlamentsdienste, 3003 Bern.