Rentenreform: Viele Jäger sind des Hasen Tod

Die Ren­ten­re­form schei­ter­te an einer Viel­zahl von Ableh­nungs­grün­den. Am häu­figs­ten wur­de der Zuschlag von 70 CHF genannt, gefolgt von der Ren­ten­al­ter­erhö­hung der Frau­en und dem Umfang des Gross­pa­kets. Kei­nes die­ser ein­zel­nen Moti­ve allei­ne hät­te die Ren­ten­re­form zu Fall brin­gen kön­nen. In ihrer Sum­me aber erga­ben sie eine Mehr­heit. Dies zeigt die neus­te VOTO-Ana­ly­se.

VOTO

Ver­si­on fran­çai­se / Ver­sio­ne italiana

Die Alters­vor­sor­ge 2020 schei­ter­te pri­mär an der wuch­ti­gen Ableh­nung der SVP-Anhän­ger­schaft (84% Nein) und der gleich­zei­tig nur lau­war­men Unter­stüt­zung durch die Anhän­ger­schaf­ten jener Par­tei­en, die sie zur Annah­me emp­fah­len. So lehn­ten 46 Pro­zent der CVP-Sym­pa­thi­sie­ren­den die Reform ab. Auch bei den Grü­nen und der GLP lag der Nein-Stim­men­an­teil bei 35 bzw. 36 Pro­zent. Die SP-Anhän­ger­schaft liess ihren Bun­des­rat zwar nicht im Stich (76% Ja-Stim­men­an­teil), aber es hät­te eines noch geschlos­se­ne­ren Auf­tre­tens bedurft, um ein Schei­tern der Reform abzuwenden.

Obwohl die FDP den Lead bei der Gegen­kam­pa­gne inne­hat­te, leg­ten zuletzt sechs von zehn FDP-Sym­pa­thi­sie­ren­de ein Nein in die Urne, was über­ra­schend tief ist. Aus­ser­dem fiel die Unter­stüt­zung der Reform durch Stim­men­de aus dem lin­ken Lager in der Roman­die tie­fer aus als in der Deutsch­schweiz. Weil Mit­te-Wäh­len­de auf bei­den Sei­ten des Rös­ti­gra­bens die Vor­la­ge ver­war­fen, war die­ses Aus­sche­ren (58 bzw. 51% Nein) jedoch nicht massgeblich.

Soziale Merkmale spielten für den Entscheid nur eine sekundäre Rolle

Män­ner lehn­ten die Vor­la­ge zu etwa glei­chen Antei­len ab wie Frau­en. Von einem Genera­tio­nen­kon­flikt kann zudem eben­so wenig die Rede sein wie von einem Geschlech­ter­gra­ben: Die Unter­schie­de im Stimm­ver­hal­ten zwi­schen den Alters­grup­pen sind gering. Zudem fin­det sich die tiefs­te Zustim­mung zur Reform bei den Senio­rin­nen und Senioren.

Wer der Reform zustimm­te, tat dies zumeist nicht aus inne­rer Über­zeu­gung, für die idea­le Lösung votiert zu haben, son­dern um den Reform­stau zu über­win­den. Vie­le Ja-Stim­men­de waren zudem der Ansicht, dass die vor­ge­leg­te Reform unter den aktu­el­len Bedin­gun­gen die best­mög­li­che Kom­pro­miss­lö­sung sei. Das Nein wie­der­um resul­tier­te aus einer Viel­zahl von Ableh­nungs­grün­den. Kei­ne die­ser ein­zel­nen Motiv­grup­pen allei­ne hät­te die Reform zu Fall brin­gen kön­nen. Aber in ihrer Sum­me erga­ben sie eine Mehr­heit gegen die Vor­la­ge. Weil die­se Mehr­heit aber knapp aus­fiel (52.7%), lässt sich im Prin­zip von jeder ein­zel­nen Motiv­grup­pe im Nach­hin­ein behaup­ten, sie hät­te das Blatt ent­schei­dend gewendet.

Die Ana­ly­se zeigt jedoch deut­lich, dass es ein Zusam­men­spiel all die­ser Nein-Moti­ve war. Von die­sen wur­de der monat­li­che Zuschlag von 70 CHF am häu­figs­ten genannt (19%), gefolgt von der Ren­ten­al­ter­erhö­hung für Frau­en (12%), dem Umfang des Gross­pro­jekts („Reform über­la­den“, 11%) und der unge­rech­ten Las­ten­ver­tei­lung (9%).

Flexibilisierung des Rentenalters ist unumstritten

Eine Mass­nah­me des Gesamt­pa­kets ist unum­strit­ten: die Fle­xi­bi­li­sie­rung des Ren­ten­al­ters. Die Unter­stüt­zung der wei­te­ren Ele­men­te ist indes­sen mass­geb­lich von den Kom­pen­sa­ti­ons­mass­nah­men abhän­gig. So zwei­felt bei­spiels­wei­se nur eine Min­der­heit dar­an, dass der BVG-Umwand­lungs­satz aktu­ell zu hoch ist. Doch war das schon 2010 so, gleich­wohl wur­de die ent­spre­chen­de BVG-Vor­la­ge mas­siv ver­wor­fen. Die Erhö­hung des Frau­en­ren­ten­al­ters wie­der­um spal­tet das Elek­to­rat: Die eine Hälf­te will einer Erhö­hung des Refe­renz­al­ters nur dann zustim­men, wenn Frau­en den Män­nern in allen Berei­chen gleich­ge­stellt sind. Die ande­re Hälf­te hin­ge­gen unter­stützt eine Anglei­chung des Ren­ten­al­ters von Mann und Frau unab­hän­gig von jener Forderung.

Dass 40 Pro­zent jener, die eine Gleich­stel­lung der Geschlech­ter als Bedin­gung für eine Anglei­chung der Ren­ten­al­ter stel­len, die Alters­vor­sor­ge 2020 trotz­dem annah­men, zeigt jedoch, dass von die­ser For­de­rung abge­wi­chen wird, wenn das Gesamt­pa­ket gleich­zei­tig auch bestimm­te Aus­gleichs­mass­nah­men vor­sieht. Bezeich­nend ist aus­ser­dem, dass sich die bei­den jeweils schlag­kräf­tigs­ten Argu­men­te bei­der Lager nicht auf ein­zel­ne Mass­nah­men bezo­gen, son­dern viel­mehr auf das Gesamt­pa­ket: Auf der Pro-Sei­te war es das Argu­ment, dass die vor­lie­gen­de Reform bes­ser sei als kei­ne und auf der Kon­tra-Sei­te war es das Argu­ment der Schein­re­form. Kurz: Vie­les ist ver­han­del­bar, am Ende zählt das Gesamtpaket.

Ernährungssicherheit: Förderung der einheimischen Lebensmittelproduktion

Die Ernäh­rungs­si­cher­heit erziel­te in allen Bevöl­ke­rungs­schich­ten eine kom­for­ta­ble Mehr­heit. Der wich­tigs­te Grund für die Zustim­mung war die För­de­rung der ein­hei­mi­schen Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on. Aus­ser­ge­wöhn­lich vie­le (15%) folg­ten zudem den Emp­feh­lun­gen von Par­tei­en oder des Bundesrates.


Zitier­wei­se:

Tho­mas Milic, Tho­mas Reiss und Dani­el Küb­ler (2017). VOTO-Stu­die zur eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mung vom 24. Sep­tem­ber 2017. ZDA, FORS, LINK: Aarau/Lausanne/Luzern.

Kon­takt:

Tho­mas Milic, 079 600 82 36, thomas.milic@zda.uzh.ch

Foto: Pixabay.


Die VOTO-Stu­die
Die VOTO-Stu­di­en sind ein gemein­sa­mes Pro­jekt des For­schungs­zen­trums FORS, dem Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA) und dem Befra­gungs­in­sti­tut LINK. Finan­ziert wird VOTO von der Schwei­ze­ri­schen Bun­des­kanz­lei. Die Befra­gung wird vom Bund seit Herbst 2016 neu anstel­le der VOX-Ana­ly­sen an den VOTO-Ver­bund in Auf­trag gegeben.

An der Abstim­mung vom 24. Sep­tem­ber 2017 hat­te das Schwei­zer Stimm­volk über zwei Vor­la­gen zu befin­den. Die umfas­sen­de Reform des Ren­ten­sys­tems wur­de abge­lehnt. Deut­lich ange­nom­men wur­de hin­ge­gen ein Ver­fas­sungs­ar­ti­kel, der die Ernäh­rungs­si­cher­heit im Land garan­tie­ren soll.

Für die Voto-Stu­die wur­den im Nach­gang der Abstim­mung 1’511 Stimm­be­rech­tig­te aus der gan­zen Schweiz befragt.

Alle Berich­te, die Fra­ge­bo­gen sowie die Roh­da­ten mit Zusatz­in­for­ma­tio­nen zur Erhe­bung sind für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke frei zugäng­lich unter www.voto.swiss bzw. durch das FORS-Daten­ar­chiv forsbase.unil.ch.

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