Wäre man 2007 mit einer Zeitmaschine zehn Jahre in die Zukunft gereist, würde man nach Ankunft im Jahr 2017 eine grosse Überraschung erleben: Die Schweiz gibt bekannt, fortan Bankkundendaten mit demokratischen Musterstaaten wie Russland und der Türkei auszutauschen. Das ist aber den meisten Zeitungen nur eine Randnotiz wert.
Noch vor rund zehn Jahren galt das Schweizer Bankgeheimnis als so „betoniert“ (SBVg-Präsident Mirabaud in Le Temps, 29. Mai 2004), dass sich das Ausland daran die „Zähne ausbeissen“ würde (Bundesrat Merz im März 2008). Gut zehn Jahre später ist davon fast nichts mehr übrig. Im Nachhinein scheint der Untergang des Bankgeheimnisses sogar fast unvermeidlich.
Doch wie konnte es passieren, dass eine Schweizer Institution wie das Bankgeheimnis so plötzlich untergeht?
Zum einen hat die Schweiz viele Jahre lang die oftmals berechtigte Kritik des Auslands am Bankgeheimnis sträflich ignoriert. 2008, als im Zuge der Zumwinkel- und UBS-Affären eine neue Welle der internationalen Kritik über die Schweiz hereinbrach, versuchte die Schweiz zudem einmal mehr, die internationale Kritik einfach auszusitzen. Zum anderen legte sich die Schweiz, als der internationale Druck immer grösser wurde, durch innenpolitische Streitereien selber lahm. Statt nationaler Einheit und Pragmatismus in Krisenzeiten gab es Parteiengezänk und Selbstblockade (siehe Eggenberger und Emmenegger 2015).
Doch diese Perspektive verdeckt den Blick auf drei Problembereiche, die vor 2008 so noch nicht zu erkennen waren. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sind wir diesen nachgegangen (Emmenegger 2015, 2017; Emmenegger und Eggenberger 2017) und beantworten im Folgenden die wichtigsten Fragen rund um den Niedergang des Schweizer Bankgeheimnisses:
(1) Das Bankgeheimnis betrifft die Beziehung zwischen einer Schweizer Bank und einem Kunden bzw. einer Kundin in der Schweiz. Wie ist es der amerikanischen Justiz gelungen, in diese nach Schweizer Recht gestaltete Beziehung einzudringen? Warum hat der nationale Schutzwall versagt?
Ein extraterritorialer Rechtsanspruch ist den amerikanischen Justizbehörden zwar nicht fremd, er wird aber auch in den USA eng ausgelegt. Breit ausgelegt wird im amerikanischen Recht hingegen die Verantwortung von Unternehmen für das Fehlverhalten von Mitarbeitenden.
Ausserdem steht es Unternehmen (im Gegensatz zu Individuen) nach amerikanischem Recht nicht zu, die Kooperation mit den Justizbehörden zu verweigern. In Kombination mit dem amerikanischen Markt, der gerade für Finanzunternehmen von übergeordneter Bedeutung ist (Stichwort Leitwährung), führt dies zu einer Situation, in der die Schweizer Banken interne Daten amerikanischer Kunden zugänglich machen müssen.
Tun sie dies nicht, riskieren sie eine Anklage, was gemeinhin zum Kollaps der Bank führt, da sich sowohl Kunden wie auch andere Banken augenblicklich zurückziehen. Entsprechend streben die Schweizer Banken eine aussergerichtliche Einigung an, um mit Hilfe eines Schuldbekenntnisses, einer Busse und einer Datenlieferung einer Anklage zu entgehen.
(2) Zu einem politischen Problem wird ein Rechtsstreit mit den amerikanischen Behörden nur, wenn die betroffenen Banken systemrelevant sind. Systemrelevante Banken (too big to fail) galten aber lange Zeit als too big to jail, da sie eine Anklage kaum überleben würden (Garrett 2014). Wie konnten unter diesen Bedingungen die beiden Schweizer Grossbanken UBS und CS in die Fängen der amerikanischen Justiz geraten?
Anfänglich waren die Schweizer Grossbanken, insbesondere die UBS, in einer guten Verhandlungsposition. Da die amerikanischen Justizbehörden den Kollaps einer systemrelevanten Bank nicht riskieren wollten, war eine formelle Anklage eher unwahrscheinlich (too big to jail). Entsprechend fiel die aussergerichtliche Einigung der UBS vorteilhaft aus (geringe Busse, kein Schuldbekenntnis, limitierte Datenlieferung).
Die amerikanischen Behörden haben aber den Kern des Problems erkannt: Eine systemrelevante Bank kollabiert nicht aufgrund der formellen Anklage, sondern aufgrund der Reaktion der anderen Marktteilnehmer. Wenn diese den Kollaps einer Bank erwarten, besteht ein starker Anreiz, als erste die ausstehenden Gelder einzuholen.
Die amerikanischen Behörden informierten deshalb parallel zu den aussergerichtlichen Verhandlungen mit der CS die Öffentlichkeit, dass der Bank selbst bei einem Schuldbekenntnis die Lizenzen nicht entzogen werden und dass die Einigung das Überleben der Bank nicht in Frage stellen solle. Als dann gewichtige Vertreter anderer Banken öffentlich bekundeten, dass sie auch nach einem Schuldbekenntnis weiter mit der CS arbeiten würden, war das Überleben der Bank gesichert. Entsprechend fiel die Einigung mit der CS deutlich unvorteilhafter aus (inklusive Schuldbekenntnis und einer 2.8 Mrd. US Dollar Busse).
(3) Das Schweizer Bankgeheimnis spielt zweifelsohne eine wichtige Rolle in der internationalen „Steuerhinterziehungsindustrie“ (Palan et al. 2010). Es ist aber beileibe nicht das einzige Rechtsinstrument, das zum Zweck der Steuerhinterziehung missbraucht werden kann (siehe Harrington 2016). Warum hat sich die internationale Aufmerksamkeit bis dato fast ausschliesslich auf das Bankgeheimnis beschränkt?
Internationale Steuerkooperation entspricht der Logik eines Gefangenendilemmas. Fast jedes Land spielt unfair (manche etwas mehr) und würde davon profitieren, wenn die anderen Länder in Steuerfragen kooperieren würden, während man selber die Regeln bis auf das Letzte ausreizt.
Aufgrund des Konflikts mit den USA war es für die Schweiz ab 2009 unmöglich, die mangelnde Kooperationsbereitschaft abzustreiten. Für die anderen Länder war es deshalb ein Leichtes, Massnahmen gegen die Schweiz zu fordern, das eigene unkooperative Verhalten aber weiter abzustreiten.
Spieltheoretisch ausgedrückt hat sich die Welt auf einen neuen Fokalpunkt geschoben. Bis ein weiterer Skandal ein ganzes Land an den Pranger stellt, bleibt das System stabil. Weitere Fortschritte im Bereich der internationalen Steuerkooperation sind daher eher unwahrscheinlich.
Die Schweiz hat hoch gepokert und nach 2008 viel verloren. Hätte man vor 2008 eine Zeitmaschine gehabt, hätte man wohl anders gehandelt.
Referenzen:
- Emmenegger, Patrick (2015). “The Long Arm of Justice: U.S. Structural Power and International Banking,” Business and Politics 17(3): 473-493.
- Emmenegger, Patrick (2017). “Swiss Banking Secrecy and the Problem of International Cooperation in Tax Matters: A Nut too Hard to Crack?” Regulation & Governance. Im Erscheinen.
- Emmenegger, Patrick und Katrin Eggenberger (2017). State sovereignty, economic interdependence and US extraterritoriality: the demise of Swiss banking secrecy and the re-embedding of international finance. Journal of International Relations and Development. Im Erscheinen.
- Finkelstein, Ken H. (1999). The Tax Haven Guide Book. Olympia: Big Island Media Corp.
- Garrett, B.L. (2014). Too Big to Jail: How Prosecutors Compromise with Corporations. Cambridge: Harvard University Press.
- Harrington, Brooke (2016). Capital without Borders: Wealth Managers and the One Percent. Cambridge MA: Cambridge University Press.
- Palan, Ronen, Murphy, Richard and Christian Chavagneux (2010). Tax Havens: How Globalization Really Works. Ithaca NY: Cornell University Press.
Foto: Pavlo Petrenko (CC-BY)