Was Liechtenstein beim Kampf ums Bankgeheimnis besser machte als die Schweiz

Inner­halb der OECD-Welt ist das Schwei­zer Bank­ge­heim­nis Geschich­te. Auch Liech­ten­stein muss­te sei­ne Poli­tik ändern. Doch wäh­rend in der Schweiz viel Geschirr zer­schla­gen wur­de, ver­lief die Ange­le­gen­heit in Liech­ten­stein weit­ge­hend geräusch­los. Liech­ten­stei­ni­scher Prag­ma­tis­mus war für die Schweiz aber kei­ne Opti­on (mehr).

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Am Anfang stand für bei­de Län­der ein Steu­er­hin­ter­zie­hungs­skan­dal. Im Früh­jahr 2008 wur­de Liech­ten­stein von der soge­nann­ten Zum­win­kel-Affä­re erschüt­tert. Weni­ge Wochen spä­ter wur­de bekannt, dass sich ein ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter der Schwei­ze­ri­schen UBS als Whist­leb­lower an die ame­ri­ka­ni­schen Jus­tiz­be­hör­den gewandt hat­te. Zuerst gab man sich in der Schweiz kämp­fe­risch. Der dama­li­ge Finanz­mi­nis­ter Hans-Rudolf Merz liess die Welt wis­sen, dass sie sich (ein­mal mehr) am Schwei­zer Bank­ge­heim­nis die Zäh­ne aus­beis­sen werde.

Bekannt­lich kam es anders. Ret­ten konn­te man das Bank­ge­heim­nis nicht. Zuerst erklär­ten sich Liech­ten­stein und die Schweiz bereit, Infor­ma­tio­nen mit den ame­ri­ka­ni­schen Behör­den bila­te­ral aus­zu­tau­schen. Wenig spä­ter wil­lig­ten bei­de Län­der auch in den auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch mit den ande­ren OECD-Mit­glieds­staa­ten ein.

Drei augenfällige Unterschiede

Auf den ers­ten Blick wei­sen die Ent­wick­lun­gen, die in Liech­ten­stein und der Schweiz zur Auf­he­bung des Bank­ge­heim­nis­ses führ­ten, kla­re Par­al­le­len auf. Schaut man genau­er hin, fin­det man aber gros­se Unter­schie­de. Drei ste­chen beson­ders hervor:

Ers­tens war Liech­ten­stein der Schweiz immer einen Schritt voraus.

  • Liech­ten­stein konn­te die Pri­vat­bank LGT bereits im Dezem­ber 2008 aus der Schuss­li­nie der ame­ri­ka­ni­schen Behör­den neh­men. Die Schweiz hin­ge­gen konn­te die UBS-Affä­re erst im Juni 2010 end­gül­tig abschlies­sen. Als die ame­ri­ka­ni­schen Behör­den wei­te­re Ban­ken ins Visier nah­men, gewähr­te ihnen Liech­ten­stein rück­wir­kend Zugang zu den Kun­den­da­ten. Die sys­tem­re­le­van­te LLB blieb dadurch von einer Kla­ge verschont.
  • Die Schweiz gewich­te­te Rechts­staat­lich­keit höher und beharr­te auf regu­lä­ren Amts­hil­fe­ver­fah­ren. Der Preis dafür war, dass noch heu­te zahl­rei­che Schwei­zer Ban­ken dar­auf war­ten, mit Hil­fe einer Straf­zah­lung den Rechts­streit mit den ame­ri­ka­ni­schen Behör­den zu beenden.
  • Auch im Umgang mit der OECD war Liech­ten­stein schnel­ler. Als sich Ende 2012 abzeich­ne­te, dass der neue OECD-Stan­dard bald den auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch umfas­sen wür­de, signa­li­sier­te Liech­ten­stein früh Bereit­schaft, die­sen zu über­neh­men. Die Schweiz zier­te sich deut­lich län­ger. Erst im Okto­ber 2014 erklär­te sich die Schweiz als eines der letz­ten Län­der Euro­pas offi­zi­ell bereit, den auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch einzuführen.

Zwei­tens war die schwei­ze­ri­sche Stra­te­gie mit hohen Kos­ten verbunden.

  • Wäh­rend kei­ne liech­ten­stei­ni­sche Bank ange­klagt wur­de und auch die LLB mit einer sehr gerin­gen Bus­se glimpf­lich davon­kam, wur­de die Schweiz wegen einer Kla­ge­an­dro­hung gegen die UBS in die Knie gezwun­gen. Die Pri­vat­bank Wege­lin & Co. wur­de ange­klagt, sie kol­la­bier­te anschlies­send. Die sys­tem­re­le­van­te Credit Suis­se wur­de von den ame­ri­ka­ni­schen Behör­den zu einem Schuld­ein­ge­ständ­nis genö­tigt und zu einer Mil­li­ar­den­bus­se verurteilt.
  • Gegen­über Liech­ten­stein zeig­te sich die OECD zurück­hal­tend. So hielt sie sich mit Kri­tik an Liech­ten­stein zurück und liess Liech­ten­stein bereits im Okto­ber 2012 im Rah­men des Glo­bal Forum in die zwei­te Pha­se vor­drin­gen. Die Schweiz muss­te auf die­sen Ent­scheid bis im März 2015 warten.

Drit­tens wur­den die Ent­wick­lun­gen in Liech­ten­stein in der Regel von weni­gen Neben­ge­räu­schen begleitet.

  • Zwi­schen den poli­ti­schen Par­tei­en und dem Fürs­ten­haus herrsch­te weit­ge­hend Kon­sens und der liech­ten­stei­ni­sche Ban­ken­ver­band unter­stütz­te die Ent­schei­dun­gen der Regie­rung aus­drück­lich. In den Medi­en wur­den die Ent­schei­de kaum kon­tro­vers dis­ku­tiert. Nicht ein­mal der rechts­staat­lich frag­wür­di­ge Beschluss, den ame­ri­ka­ni­schen Behör­den rück­wir­kend Zugriff auf Kun­den­da­ten zu erlau­ben, erzeug­te ein Medienecho.
  • In der Schweiz hin­ge­gen war­fen die meis­ten Ent­schei­de hohe Wel­len. So wur­de bei­spiels­wei­se die damals neue Finanz­mi­nis­te­rin Eve­li­ne Wid­mer-Schlumpf scharf kri­ti­siert, als sie im Dezem­ber 2012 den auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch als Mög­lich­keit in Betracht zog. Die Lex USA wur­de im Juni 2013 von einer unhei­li­gen Alli­anz zu Fall gebracht. Die Schwei­ze­ri­sche Volks­par­tei ver­such­te mit Hil­fe einer par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ve und anschlies­send mit einer Volks­in­itia­ti­ve, dem Bank­ge­heim­nis Ver­fas­sungs­rang zu geben. Kurz, die Schweiz war heil­los zer­strit­ten und Ver­tre­ter der Ban­ken, der Ban­kier­ver­ei­ni­gung und der Par­tei­en wie­sen sich gegen­sei­tig die Schuld für die Mise­re zu (vgl. Scheu et al. 2013).
Reife Schweiz, pragmatisches Liechtenstein?

Die Schweiz konn­te bekannt­lich nicht ver­hin­dern, dass das Bank­ge­heim­nis letzt­lich fiel, aber bis es soweit war, wur­de viel Geschirr zer­schla­gen. Nicht so in Liech­ten­stein. Auch dort ist das Bank­ge­heim­nis Geschich­te, aber in Liech­ten­stein füg­te man sich dem Unver­meid­li­chen ver­gleichs­wei­se ruhig.

Wie kön­nen die unter­schied­li­chen Reak­ti­ons­wei­sen von Liech­ten­stein und der Schweiz erklärt wer­den? Auf den ers­ten Blick ist es erstaun­lich, dass die Schweiz so gros­se Mühe bekun­de­te, mit der Bank­ge­heim­nis­af­fä­re kon­struk­tiv umzu­ge­hen. Denn in der inter­na­tio­na­len poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur wird die Schweiz ger­ne als Para­de­bei­spiel für ein Land wahr­ge­nom­men, das sich durch einen aus­ge­spro­che­nen Prag­ma­tis­mus in inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen aus­zeich­net. Ins­be­son­de­re Kat­zen­stein (1985) hat am Bei­spiel der Schweiz gezeigt, wie klei­ne Staa­ten den Nach­teil man­geln­der Macht­res­sour­cen durch eine hohe Fle­xi­bi­li­tät und Anpas­sungs­fä­hig­keit kompensieren.

Klei­ne Län­der sind sich im Kon­zert der Gros­sen in der Regel ihrer Ver­letz­lich­keit bewusst. Sie wei­sen dar­um in Kri­sen­zei­ten eine höhe­re Bereit­schaft zur Koope­ra­ti­on über Par­tei- und Inter­es­sen­gren­zen hin­weg auf. Wie­der­hol­te Inter­ak­tio­nen zwi­schen einer letzt­lich klei­nen Grup­pe von Ent­schei­dungs­trä­gern füh­ren zur Bil­dung von zwi­schen­mensch­li­chem Ver­trau­en. Kur­ze Distan­zen erlau­ben per­sön­li­che Tref­fen, die der Ver­trau­ens­bil­dung eben­falls för­der­lich sind. Schliess­lich führt das Bewusst­sein einer aus­ge­präg­ten Ver­letz­lich­keit auf­grund von Klein­heit zu einer erhöh­ten Kom­pro­miss­be­reit­schaft in Anbe­tracht der mög­li­cher­wei­se desas­trö­sen Kon­se­quen­zen eines anhal­ten­den Konflikts.

Mit ande­ren Wor­ten, die Schweiz steht inter­na­tio­nal im Ruf, in Kri­sen­zei­ten zusam­men­zu­rü­cken, den Kon­sens zu suchen und prag­ma­ti­sche Lösun­gen zu fin­den. Der Ver­gleich mit Liech­ten­stein in der Bank­ge­heim­nis­af­fä­re zeigt aber, dass die­ser Ruf nicht immer zutrifft. Liech­ten­stein erwies sich in jeder Hin­sicht als geschlos­se­ner, hand­lungs­fä­hi­ger und prag­ma­ti­scher. Für die Schweiz ist das jedoch nicht not­wen­di­ger­wei­se eine schlech­te Entwicklung.

Die Schweiz bezahlte einen hohen Preis

In der Schweiz wur­de die Affä­re öffent­lich kon­tro­vers dis­ku­tiert, die Ban­ken hat­ten nur begrenz­ten Ein­fluss auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen, die Gerich­te lies­sen sich von poli­ti­schen Begehr­lich­kei­ten nicht beein­flus­sen und die Regie­rung beharr­te auf rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en. Die Schweiz zahl­te hier­für aller­dings einen hohen Preis. Mit dem von Kat­zen­stein beschrie­be­nen Prag­ma­tis­mus hät­te die Schweiz wohl eini­ges an Unge­mach ver­hin­dern kön­nen, aber viel­leicht ist es gera­de ein Rei­fe­zeug­nis für die schwei­ze­ri­sche Demo­kra­tie, dass man die­ser Ver­su­chung für ein­mal wider­ste­hen konnte.

Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von:

Eggen­ber­ger, Kat­rin und Patrick Emmen­eg­ger (2015). Eco­no­mic Vul­nera­bi­li­ty and Poli­ti­cal Respon­ses to Inter­na­tio­nal Pres­su­re: Liech­ten­stein, Switz­er­land and the Strugg­le for Ban­king Secrecy. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 21(4).


Refe­ren­zen:

  • Kat­zen­stein, Peter J. (1985). Small Sta­tes in World Mar­kets: Indus­tri­al Poli­cy in Euro­pe. Itha­ca NY: Cor­nell Uni­ver­si­ty Press.
  • Scheu, René, Vol­ker Varn­holt, Oswald Grü­bel, Phil­ipp Mül­ler und Chris­tof Reich­muth (2013). Vor und nach dem gros­sen Kater. Schwei­zer Monat Nr. 1008, Juli 2013.

Foto: Flickr

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