Können die Medien den Stimmentscheid der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen?

In poli­ti­schen Kam­pa­gnen spie­len heut­zu­ta­ge die Mas­sen­me­di­en eine zen­tra­le Rol­le. Aller­dings konn­ten die meis­ten Stu­di­en kei­ne direk­ten Effek­te der Aus­rich­tung der Medi­en­be­richt­erstat­tung auf den Stimm­ent­scheid der Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger nach­wei­sen. Eine Ana­ly­se von drei eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mun­gen zeigt nun auf, dass die Medi­en einen sys­te­ma­ti­schen Ein­fluss bei der weit­aus kom­ple­xes­ten Vor­la­ge – der Unter­neh­mens­steu­er­re­form II — ausübten.

Ver­si­on française

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Die direk­te Demo­kra­tie stellt hohe Anfor­de­run­gen an die Stimm­bür­ge­rIn­nen. In der Tat zeich­nen sich Abstim­mungs­vor­la­gen in der Regel durch eine aus­ge­präg­te Kom­ple­xi­tät aus. Dem­zu­fol­ge erweist es sich für die meis­ten Bür­ge­rIn­nen als schwie­rig, die ent­spre­chen­den Inhal­te zu ver­ste­hen und sich auf gründ­li­che Wei­se eine Mei­nung zu bilden.

In die­sem Zusam­men­hang haben zahl­rei­che Stu­di­en auf die Wich­tig­keit der öffent­li­chen Debat­te hin­ge­wie­sen. Inten­si­ve und kon­tro­vers geführ­te Kam­pa­gnen sind von gros­sem Nut­zen, da die­se es den Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­gern im Ide­al­fall ermög­li­chen, sich ein Bild über die Inhal­te sowie die Vor- und Nach­tei­le der Vor­la­gen zu machen und somit Ent­schei­de zu tref­fen, die in Über­ein­stim­mung mit ihren poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen sind.

Die Bedeutung der Medien

Im Rah­men von Abstim­mungs­kam­pa­gnen spie­len die Medi­en als inter­me­diä­re Instan­zen zwi­schen den poli­ti­schen Eli­ten und den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern eine zen­tra­le Rol­le. Medi­en­schaf­fen­de wäh­len nicht nur die poli­ti­schen Akteu­re aus, die in die Bericht­erstat­tung Ein­gang fin­den, son­dern ent­schei­den auch über die Art und Wei­se, wie die­se dar­ge­stellt wer­den. Dar­über hin­aus scheu­en sie natür­lich nicht davor zurück, ihre eige­nen Posi­tio­nen und Ansich­ten einzubringen.

Es ist daher nicht erstaun­lich, dass zahl­rei­che empi­ri­sche Stu­di­en zum Schluss gekom­men sind, dass die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger durch ihren Medi­en­kon­sum beein­flusst wer­den. Es konn­te ins­be­son­de­re gezeigt wer­den, dass die Medi­en indi­vi­du­el­les Ler­nen über den Inhalt von Abstim­mungs­vor­la­gen för­dern. Im Ver­lauf der Kam­pa­gnen steigt auch ihr Wis­sen bezüg­lich der Stimm­emp­feh­lun­gen der ver­schie­de­nen poli­ti­schen Par­tei­en. Aus­ser­dem ist es erwie­sen, dass die Medi­en die Kri­te­ri­en des Stimm­ent­scheids beein­flus­sen kön­nen. So wei­sen jene Argu­men­te, die in der Medi­en­be­richt­erstat­tung eine zen­tra­le Rol­le spie­len, eine hohe Wahr­schein­lich­keit aus, in den indi­vi­du­el­len Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess einzufliessen.

Mei­nes Wis­sens hat jedoch bis­her kei­ne empi­ri­sche Ana­ly­se den Effekt des Medi­en­in­hal­tes auf den Stimm­ent­scheid im Bereich der direk­ten Demo­kra­tie unter­sucht. Was die Wahl­for­schung anbe­trifft, wur­den meist kei­ne signi­fi­kan­ten Effek­te fest­ge­stellt, wobei anzu­mer­ken ist, dass die meis­ten Stu­di­en in den USA durch­ge­führt wur­den. Ange­sichts der her­aus­ra­gen­den Bedeu­tung, die heut­zu­ta­ge die Medi­en ein­neh­men, ver­mag die­se Abwe­sen­heit von direk­ten Effek­ten zu erstau­nen. Der ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaf­ter Lar­ry M. Bar­tels bezeich­ne­te die­se weit ver­brei­te­ten Null-Resul­ta­te gar als eine der gröss­ten Pein­lich­kei­ten der moder­nen Sozialwissenschaften.

Die Wahl­for­scher haben dafür eine gan­ze Rei­he von sub­stan­ti­el­len und metho­di­schen Erklä­run­gen ins Feld geführt. Die­se bezie­hen sich auf die star­ken poli­ti­schen Prä­dis­po­si­tio­nen der Bür­ge­rin­nen und Bür­gern, auf den Umstand, dass sich ent­ge­gen gesetz­te Bot­schaf­ten im Effekt neu­tra­li­sie­ren, auf die Schwie­rig­keit den indi­vi­du­el­len Medi­en­kon­sum empi­risch zu erfas­sen oder auf die unge­nü­gen­de Stich­pro­ben­grös­se der ver­wen­de­ten Bevölkerungsbefragungen.

Der Fall der Unternehmenssteuerreform II

Auf­grund die­ser Schwie­rig­kei­ten kann davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass sich eine Medi­en­be­ein­flus­sung am ehes­ten unter Umstän­den einer hoch kom­ple­xen Vor­la­ge mani­fes­tie­ren soll­te, die dar­über hin­aus weit von den Lebens­wel­ten der Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger ent­fernt ist. In einer sol­chen Ent­schei­dungs­si­tua­ti­on dürf­ten sich Letz­te­re stark auf Mei­nun­gen abstüt­zen, die von exter­nen Mei­nun­gen ver­tre­ten wer­den, wozu die Medi­en zu zäh­len sind.

Es steht aus­ser Fra­ge, dass es sich bei der Unter­neh­mens­steu­er­re­form II (USR2) um eine beson­ders kom­ple­xe und für meis­ten Stimm­bür­ge­rIn­nen wenig ver­trau­te Vor­la­ge han­del­te. Die Reform beinhal­te­te ver­schie­de­ne Mass­nah­men, mit denen sich nor­ma­ler­wei­se nur Steu­er­recht­le­rIn­nen und betrof­fe­ne Unter­neh­mer befas­sen. Die umstrit­tens­te Ände­rung betraf eine Reduk­ti­on der Divi­den­den­be­steue­rung für qua­li­fi­zier­te Betei­li­gun­gen. Um den schwer zugäng­li­chen Inhalt der USR2 zu illus­trie­ren, sei in Erin­ne­rung geru­fen, dass die Anrech­nung der Gewinn­steu­er an die Kapi­tal­steu­er auf Stu­fe der Kan­to­ne, die Ein­füh­rung des Kapi­tal­ein­la­ge­prin­zips, die Aus­wei­tung der Ersatz­be­schaf­fung sowie die indi­rek­te Teil­li­qui­da­ti­on Bestand­teil davon waren.

Lin­ke Orga­ni­sa­tio­nen lan­cier­ten im Jah­re 2007 das Refe­ren­dum gegen die Reform. Am 24. Febru­ar 2008 wur­de die Vor­la­ge von 50,5 Pro­zent der teil­neh­men­den Stimm­bür­ge­rIn­nen angenommen.

Die empirische Analyse

Eine im Rah­men von NCCR Demo­cra­cy an der Uni­ver­si­tät Zürich durch­ge­führ­te Ana­ly­se unter­such­te drei eid­ge­nös­si­sche Abstim­mungs­kam­pa­gnen. Neben der USR2 wur­den zwei weit ver­ständ­li­che­re Fäl­le aus­ge­wählt. Mit der Asyl­ge­setz­re­vi­si­on (Sep­tem­ber 2006) und der Ein­bür­ge­rungs­in­itia­ti­ve (Juni 2008) han­delt es sich um zwei aus­län­der­po­li­ti­sche Vorlagen.

Die Unter­su­chung basiert auf Panel­be­fra­gun­gen, in denen pro Volks­ab­stim­mung rund 1000 Stimm­bür­ge­rIn­nen der Deutsch­schweiz und der Roman­die jeweils zu Beginn der Kam­pa­gne und nach dem Urnen­gang befragt wur­den. In die­se Daten­sät­ze wur­den Indi­ka­to­ren ein­ge­fügt, die im Rah­men von Medi­en­in­halts­ana­ly­sen erho­ben wur­den. Die­se umfass­ten die wich­tigs­ten Tages­zei­tun­gen sowie poli­ti­schen TV-Sen­dun­gen. Die Ver­knüp­fung erfolg­te über Fra­gen, die den Medi­en­kon­sum der Befrag­ten erfassten.

Unter Berück­sich­ti­gung übli­cher Kon­troll­va­ria­blen geht aus der Ana­ly­se her­vor, dass in Bezug auf die USR2 die Aus­rich­tung der Medi­en­be­richt­erstat­tung einen signi­fi­kan­ten Ein­fluss auf die Mei­nungs­bil­dung aus­üb­te. Je mehr eine Per­son mit posi­ti­ven (oder nega­ti­ven) Infor­ma­tio­nen zur Reform aus­ge­setzt wur­de des­to eher wech­sel­te sie ins Pro- (oder ins Con­tra-) Lager. Im Gegen­satz dazu las­sen sich bei den zwei aus­län­der­po­li­ti­schen Vor­la­gen kei­ne direk­ten Medi­en­ef­fek­te nachweisen.

Die empi­ri­sche Ana­ly­se lässt somit den vor­läu­fi­gen Schluss zu, dass sich die Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger auf sys­te­ma­ti­sche Wei­se beein­flus­sen las­sen, wenn sie auf inhalt­li­cher Ebe­ne mit höchst kom­ple­xen und wenig ver­trau­ten Volks­ab­stim­mun­gen kon­fron­tiert sind. Im Gegen­satz dazu schei­nen sie bei leicht zugäng­li­chen Vor­la­gen der Macht der Medi­en zu widerstehen.


Refe­renz:

  • Bar­tels, Lar­ry M. (1993). Messages recei­ved: the poli­ti­cal impact of media expo­sure. Ame­ri­can Poli­ti­cal Sci­ence Review, 87(2), 267–285.

Titel­bild: Wal­ly Gobetz (CC-BY-NC-ND)

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