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Können die Medien den Stimmentscheid der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen?

Laurent Bernhard
17th März 2017

In politischen Kampagnen spielen heutzutage die Massenmedien eine zentrale Rolle. Allerdings konnten die meisten Studien keine direkten Effekte der Ausrichtung der Medienberichterstattung auf den Stimmentscheid der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nachweisen. Eine Analyse von drei eidgenössischen Volksabstimmungen zeigt nun auf, dass die Medien einen systematischen Einfluss bei der weitaus komplexesten Vorlage – der Unternehmenssteuerreform II - ausübten.

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Die direkte Demokratie stellt hohe Anforderungen an die StimmbürgerInnen. In der Tat zeichnen sich Abstimmungsvorlagen in der Regel durch eine ausgeprägte Komplexität aus. Demzufolge erweist es sich für die meisten BürgerInnen als schwierig, die entsprechenden Inhalte zu verstehen und sich auf gründliche Weise eine Meinung zu bilden.

In diesem Zusammenhang haben zahlreiche Studien auf die Wichtigkeit der öffentlichen Debatte hingewiesen. Intensive und kontrovers geführte Kampagnen sind von grossem Nutzen, da diese es den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern im Idealfall ermöglichen, sich ein Bild über die Inhalte sowie die Vor- und Nachteile der Vorlagen zu machen und somit Entscheide zu treffen, die in Übereinstimmung mit ihren politischen Präferenzen sind.

Die Bedeutung der Medien

Im Rahmen von Abstimmungskampagnen spielen die Medien als intermediäre Instanzen zwischen den politischen Eliten und den Bürgerinnen und Bürgern eine zentrale Rolle. Medienschaffende wählen nicht nur die politischen Akteure aus, die in die Berichterstattung Eingang finden, sondern entscheiden auch über die Art und Weise, wie diese dargestellt werden. Darüber hinaus scheuen sie natürlich nicht davor zurück, ihre eigenen Positionen und Ansichten einzubringen.

Es ist daher nicht erstaunlich, dass zahlreiche empirische Studien zum Schluss gekommen sind, dass die Bürgerinnen und Bürger durch ihren Medienkonsum beeinflusst werden. Es konnte insbesondere gezeigt werden, dass die Medien individuelles Lernen über den Inhalt von Abstimmungsvorlagen fördern. Im Verlauf der Kampagnen steigt auch ihr Wissen bezüglich der Stimmempfehlungen der verschiedenen politischen Parteien. Ausserdem ist es erwiesen, dass die Medien die Kriterien des Stimmentscheids beeinflussen können. So weisen jene Argumente, die in der Medienberichterstattung eine zentrale Rolle spielen, eine hohe Wahrscheinlichkeit aus, in den individuellen Meinungsbildungsprozess einzufliessen.

Meines Wissens hat jedoch bisher keine empirische Analyse den Effekt des Medieninhaltes auf den Stimmentscheid im Bereich der direkten Demokratie untersucht. Was die Wahlforschung anbetrifft, wurden meist keine signifikanten Effekte festgestellt, wobei anzumerken ist, dass die meisten Studien in den USA durchgeführt wurden. Angesichts der herausragenden Bedeutung, die heutzutage die Medien einnehmen, vermag diese Abwesenheit von direkten Effekten zu erstaunen. Der amerikanische Politikwissenschafter Larry M. Bartels bezeichnete diese weit verbreiteten Null-Resultate gar als eine der grössten Peinlichkeiten der modernen Sozialwissenschaften.

Die Wahlforscher haben dafür eine ganze Reihe von substantiellen und methodischen Erklärungen ins Feld geführt. Diese beziehen sich auf die starken politischen Prädispositionen der Bürgerinnen und Bürgern, auf den Umstand, dass sich entgegen gesetzte Botschaften im Effekt neutralisieren, auf die Schwierigkeit den individuellen Medienkonsum empirisch zu erfassen oder auf die ungenügende Stichprobengrösse der verwendeten Bevölkerungsbefragungen.

Der Fall der Unternehmenssteuerreform II

Aufgrund dieser Schwierigkeiten kann davon ausgegangen werden, dass sich eine Medienbeeinflussung am ehesten unter Umständen einer hoch komplexen Vorlage manifestieren sollte, die darüber hinaus weit von den Lebenswelten der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entfernt ist. In einer solchen Entscheidungssituation dürften sich Letztere stark auf Meinungen abstützen, die von externen Meinungen vertreten werden, wozu die Medien zu zählen sind.

Es steht ausser Frage, dass es sich bei der Unternehmenssteuerreform II (USR2) um eine besonders komplexe und für meisten StimmbürgerInnen wenig vertraute Vorlage handelte. Die Reform beinhaltete verschiedene Massnahmen, mit denen sich normalerweise nur SteuerrechtlerInnen und betroffene Unternehmer befassen. Die umstrittenste Änderung betraf eine Reduktion der Dividendenbesteuerung für qualifizierte Beteiligungen. Um den schwer zugänglichen Inhalt der USR2 zu illustrieren, sei in Erinnerung gerufen, dass die Anrechnung der Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer auf Stufe der Kantone, die Einführung des Kapitaleinlageprinzips, die Ausweitung der Ersatzbeschaffung sowie die indirekte Teilliquidation Bestandteil davon waren.

Linke Organisationen lancierten im Jahre 2007 das Referendum gegen die Reform. Am 24. Februar 2008 wurde die Vorlage von 50,5 Prozent der teilnehmenden StimmbürgerInnen angenommen.

Die empirische Analyse

Eine im Rahmen von NCCR Democracy an der Universität Zürich durchgeführte Analyse untersuchte drei eidgenössische Abstimmungskampagnen. Neben der USR2 wurden zwei weit verständlichere Fälle ausgewählt. Mit der Asylgesetzrevision (September 2006) und der Einbürgerungsinitiative (Juni 2008) handelt es sich um zwei ausländerpolitische Vorlagen.

Die Untersuchung basiert auf Panelbefragungen, in denen pro Volksabstimmung rund 1000 StimmbürgerInnen der Deutschschweiz und der Romandie jeweils zu Beginn der Kampagne und nach dem Urnengang befragt wurden. In diese Datensätze wurden Indikatoren eingefügt, die im Rahmen von Medieninhaltsanalysen erhoben wurden. Diese umfassten die wichtigsten Tageszeitungen sowie politischen TV-Sendungen. Die Verknüpfung erfolgte über Fragen, die den Medienkonsum der Befragten erfassten.

Unter Berücksichtigung üblicher Kontrollvariablen geht aus der Analyse hervor, dass in Bezug auf die USR2 die Ausrichtung der Medienberichterstattung einen signifikanten Einfluss auf die Meinungsbildung ausübte. Je mehr eine Person mit positiven (oder negativen) Informationen zur Reform ausgesetzt wurde desto eher wechselte sie ins Pro- (oder ins Contra-) Lager. Im Gegensatz dazu lassen sich bei den zwei ausländerpolitischen Vorlagen keine direkten Medieneffekte nachweisen.

Die empirische Analyse lässt somit den vorläufigen Schluss zu, dass sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auf systematische Weise beeinflussen lassen, wenn sie auf inhaltlicher Ebene mit höchst komplexen und wenig vertrauten Volksabstimmungen konfrontiert sind. Im Gegensatz dazu scheinen sie bei leicht zugänglichen Vorlagen der Macht der Medien zu widerstehen.


Referenz:

  • Bartels, Larry M. (1993). Messages received: the political impact of media exposure. American Political Science Review, 87(2), 267-285.

Titelbild: Wally Gobetz (CC-BY-NC-ND)