Hochdeutsch blitzt ab – Wie die Interviewsprache Telefonumfragen beeinflusst

Ob man an einer Umfra­ge mit­macht oder nicht, hängt nicht nur vom The­ma ab, son­dern auch von der Spra­che des Inter­view­ers. Schwei­zer­deutsch fin­det viel mehr Anklang als Hoch­deutsch, vor allem in der Agglo­me­ra­ti­on. Dies zeigt ein sozi­al­wis­sen­schaft­li­ches Expe­ri­ment, das in der Deutsch­schweiz durch­ge­führt wurde. 

«Eins kann ich Ihnen gleich sagen, hät­ten Sie mit mir Hoch­deutsch gespro­chen, hät­te ich garan­tiert nicht an Ihrer Umfra­ge mit­ge­macht», lacht die freund­li­che, der Stim­me nach schon etwas älte­re Dame am andern Ende ins Tele­fon, als ich ihr nach dem kur­zen Inter­view den wah­ren Grund mei­nes Anrufs offen­ba­re. So deut­lich habe ich es bei meh­re­ren hun­dert Gesprä­chen aller­dings nur sel­ten zu hören bekom­men. Han­delt es sich bei die­ser Aus­sa­ge also bloss um einen Ein­zel­fall, oder bil­det die Dame die Aus­nah­me, weil sie als ein­zi­ge den wah­ren Grund für ihre Absa­ge offen­bart hat? Reagie­ren Deutsch­schwei­ze­rin­nen und Deutsch­schwei­zer tat­säch­lich abwei­sen­der auf die hoch­deut­sche Spra­che? Genau die­ser Fra­ge bin ich in mei­ner Bache­lor-Arbeit nachgegangen. 

Weniger Erfolg für «deutschen» Interviewer

Ein Expe­ri­ment hat gezeigt, dass bei gleich­blei­ben­dem The­ma ein Hoch­deutsch spre­chen­der Inter­view­er eine signi­fi­kant tie­fe­re Teil­nah­me­ra­te erzielt als ein Dia­lekt spre­chen­der. Auch die Teil­nah­me­ra­te bei einer Umfra­ge mit kon­flikt­ge­la­de­nem Inhalt (Immi­gra­ti­on) liegt signi­fi­kant tie­fer als bei einem weni­ger heik­len The­ma (Sport).

Abbildung 1:

Graph 1 

So nahm bei der auf Deutsch geführ­ten Umfra­ge zu Immi­gra­ti­on nur jede zehn­te, bei der glei­chen im Dia­lekt geführ­ten Umfra­ge jedoch jede sechs­te Per­son teil (Abbil­dung 1). Wäh­rend die­ser nega­ti­ve Ein­fluss der Spra­che in der Zür­cher Agglo­me­ra­ti­on am stärks­ten aus­ge­prägt ist, fällt er in der Stadt Zürich aller­dings über­haupt nicht ins Gewicht.

Heikel aber effektiv – Experimente in den Sozialwissenschaften

Mei­ne Stu­die wur­de als sozi­al­wis­sen­schaft­li­ches Expe­ri­ment ent­wor­fen. Expe­ri­men­tel­le For­schungs­de­signs wer­den häu­fig als «Gold­stan­dard» unter den wis­sen­schaft­li­chen Metho­den bezeich­net. Wäh­rend Expe­ri­men­te in den Natur­wis­sen­schaf­ten zum cou­rant nor­mal gehö­ren, sind sie in den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten nach wie vor eine Rari­tät. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass die Pro­ban­den meist nicht wis­sen, dass sie Teil einer Stu­die sind, was zu Recht ethi­sche Fra­gen auf­wirft. Auch mein Expe­ri­ment wur­de vor­ran­gig von der Ethik­kom­mis­si­on der Uni­ver­si­tät Zürich beur­teilt und abgesegnet.

Ein tolerierbarer Zustand?

Die gefun­de­nen Resul­ta­te sind aus einem prak­ti­schen sowie einem nor­ma­ti­ven Grund rele­vant. Ers­tens ist es für die Vor­be­rei­tung von Tele­fon­um­fra­gen zen­tral zu wis­sen, dass die Spra­che der Inter­view­er die Teil­nah­me­ra­te beein­flusst. Die­se Infor­ma­ti­on kann zu einer prä­zi­se­ren und effi­zi­en­te­ren Pla­nung führen.

Zwei­tens bestä­tigt das Expe­ri­ment nicht bloss eine Dis­kri­mi­nie­rung des Hoch­deut­schen gegen­über dem Dia­lekt, son­dern schreibt die­ser unglei­chen Behand­lung einen kon­kre­ten Wert zu. Als Teil einer welt­of­fe­nen und tole­ran­ten Gesell­schaft muss sich jede und jeder die Fra­ge stel­len, ob es sich bei die­ser Benach­tei­li­gung, die sich auf nichts ande­rem als der Spra­che begrün­det, um einen tole­rier­ba­ren Zustand han­delt oder nicht.

Das Expe­ri­ment

Um den Effekt der Spra­che und des The­mas auf die Teil­nah­me­ra­te zu mes­sen, wur­den 1’500 zufäl­lig aus­ge­wähl­te Per­so­nen vier Grup­pen zuge­wie­sen und erhiel­ten anschlies­send gemäss ihrer Ein­tei­lung die ent­spre­chen­de «Behand­lung». Die Behand­lungs­grup­pen bestehen aus Per­so­nen aus der Stadt Zürich (Kreis 4 und 5), der Gemein­de Regens­dorf und der Stadt Appen­zell. Jeder der vier Behand­lungs­grup­pen wur­den zufäl­lig 375 Per­so­nen zuge­teilt, wel­che wie­der­um gleich­mäs­sig auf die drei Regio­nen (Blocks) auf­ge­teilt wur­den. Um eine aus­ge­wo­ge­ne Ver­tre­tung jeder Regi­on in den Behand­lungs­grup­pen zu erzie­len, wur­de eine Block-Ran­do­mi­sie­rung durchgeführt.

Die Anzahl geführ­ter Inter­views dien­te als Indi­ka­tor für den Ein­fluss der Spra­che und des The­mas. Um wei­te­re poten­ti­el­le Stör­fak­to­ren kon­stant zu hal­ten, habe ich alle Anru­fe selbst durch­ge­führt. Somit kön­nen unter­schied­li­che Teil­nah­me­ra­ten zwi­schen den Grup­pen nur auf die Ver­än­de­run­gen in der Behand­lung zurück­ge­führt werden.

Die unab­hän­gi­gen Varia­blen sind das The­ma der Befra­gung und die Spra­che, die abhän­gi­ge Varia­ble bil­det die Teil­nah­me­ra­te. Die Schät­zung der Effek­te basiert auf einem linea­ren Regressionsmodell.


Refe­renz

  • Cohen, Ced­ric (2015). Lan­guage and Issu­es – Influ­en­ces on the Respon­se Rate in Tele­pho­ne Sur­veys in Switz­er­land (Unver­öf­fent­lich­te Bache­lor Arbeit). Uni­ver­si­tät Zürich.

Titel­bild: Wiki­me­dia Commons

Gra­fik: Pas­cal Burkhard

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