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Hochdeutsch blitzt ab – Wie die Interviewsprache Telefonumfragen beeinflusst

Cedric Cohen
27th September 2016

Ob man an einer Umfrage mitmacht oder nicht, hängt nicht nur vom Thema ab, sondern auch von der Sprache des Interviewers. Schweizerdeutsch findet viel mehr Anklang als Hochdeutsch, vor allem in der Agglomeration. Dies zeigt ein sozialwissenschaftliches Experiment, das in der Deutschschweiz durchgeführt wurde. 

«Eins kann ich Ihnen gleich sagen, hätten Sie mit mir Hochdeutsch gesprochen, hätte ich garantiert nicht an Ihrer Umfrage mitgemacht», lacht die freundliche, der Stimme nach schon etwas ältere Dame am andern Ende ins Telefon, als ich ihr nach dem kurzen Interview den wahren Grund meines Anrufs offenbare. So deutlich habe ich es bei mehreren hundert Gesprächen allerdings nur selten zu hören bekommen. Handelt es sich bei dieser Aussage also bloss um einen Einzelfall, oder bildet die Dame die Ausnahme, weil sie als einzige den wahren Grund für ihre Absage offenbart hat? Reagieren Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer tatsächlich abweisender auf die hochdeutsche Sprache? Genau dieser Frage bin ich in meiner Bachelor-Arbeit nachgegangen. 

Weniger Erfolg für «deutschen» Interviewer

Ein Experiment hat gezeigt, dass bei gleichbleibendem Thema ein Hochdeutsch sprechender Interviewer eine signifikant tiefere Teilnahmerate erzielt als ein Dialekt sprechender. Auch die Teilnahmerate bei einer Umfrage mit konfliktgeladenem Inhalt (Immigration) liegt signifikant tiefer als bei einem weniger heiklen Thema (Sport).

Abbildung 1:

Graph 1 

So nahm bei der auf Deutsch geführten Umfrage zu Immigration nur jede zehnte, bei der gleichen im Dialekt geführten Umfrage jedoch jede sechste Person teil (Abbildung 1). Während dieser negative Einfluss der Sprache in der Zürcher Agglomeration am stärksten ausgeprägt ist, fällt er in der Stadt Zürich allerdings überhaupt nicht ins Gewicht.

Heikel aber effektiv – Experimente in den Sozialwissenschaften

Meine Studie wurde als sozialwissenschaftliches Experiment entworfen. Experimentelle Forschungsdesigns werden häufig als «Goldstandard» unter den wissenschaftlichen Methoden bezeichnet. Während Experimente in den Naturwissenschaften zum courant normal gehören, sind sie in den Sozialwissenschaften nach wie vor eine Rarität. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass die Probanden meist nicht wissen, dass sie Teil einer Studie sind, was zu Recht ethische Fragen aufwirft. Auch mein Experiment wurde vorrangig von der Ethikkommission der Universität Zürich beurteilt und abgesegnet.

Ein tolerierbarer Zustand?

Die gefundenen Resultate sind aus einem praktischen sowie einem normativen Grund relevant. Erstens ist es für die Vorbereitung von Telefonumfragen zentral zu wissen, dass die Sprache der Interviewer die Teilnahmerate beeinflusst. Diese Information kann zu einer präziseren und effizienteren Planung führen.

Zweitens bestätigt das Experiment nicht bloss eine Diskriminierung des Hochdeutschen gegenüber dem Dialekt, sondern schreibt dieser ungleichen Behandlung einen konkreten Wert zu. Als Teil einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft muss sich jede und jeder die Frage stellen, ob es sich bei dieser Benachteiligung, die sich auf nichts anderem als der Sprache begründet, um einen tolerierbaren Zustand handelt oder nicht.

Das Experiment

Um den Effekt der Sprache und des Themas auf die Teilnahmerate zu messen, wurden 1'500 zufällig ausgewählte Personen vier Gruppen zugewiesen und erhielten anschliessend gemäss ihrer Einteilung die entsprechende «Behandlung». Die Behandlungsgruppen bestehen aus Personen aus der Stadt Zürich (Kreis 4 und 5), der Gemeinde Regensdorf und der Stadt Appenzell. Jeder der vier Behandlungsgruppen wurden zufällig 375 Personen zugeteilt, welche wiederum gleichmässig auf die drei Regionen (Blocks) aufgeteilt wurden. Um eine ausgewogene Vertretung jeder Region in den Behandlungsgruppen zu erzielen, wurde eine Block-Randomisierung durchgeführt.

Die Anzahl geführter Interviews diente als Indikator für den Einfluss der Sprache und des Themas. Um weitere potentielle Störfaktoren konstant zu halten, habe ich alle Anrufe selbst durchgeführt. Somit können unterschiedliche Teilnahmeraten zwischen den Gruppen nur auf die Veränderungen in der Behandlung zurückgeführt werden.

Die unabhängigen Variablen sind das Thema der Befragung und die Sprache, die abhängige Variable bildet die Teilnahmerate. Die Schätzung der Effekte basiert auf einem linearen Regressionsmodell.


Referenz

  • Cohen, Cedric (2015). Language and Issues – Influences on the Response Rate in Telephone Surveys in Switzerland (Unveröffentlichte Bachelor Arbeit). Universität Zürich.

Titelbild: Wikimedia Commons

Grafik: Pascal Burkhard