Der Regenmacher-Effekt: Wie die Zivilgesellschaft Vertrauen in die Politik schaffen kann

Ver­ei­ne haben eine posi­ti­ve Wir­kung auf das sozia­le Mit­ein­an­der in einer Gemein­de. Nicht nur Ver­eins­mit­glie­der, son­dern alle Men­schen pro­fi­tie­ren davon. Denn in Gemein­den mit einem regen Aus­tausch zwi­schen loka­len Poli­ti­kern und ansäs­si­gen Ver­ei­nen wird der Poli­tik mehr Ver­trau­en geschenkt als in Orten, in denen Poli­tik und Zivil­ge­sell­schaft nicht mit­ein­an­der ver­keh­ren. Das zeigt unse­re neue Stu­die, die 57 Schwei­zer Gemein­den ver­gli­chen hat.

Kann die Zivil­ge­sell­schaft das Ver­trau­en in lokal­po­li­ti­sche Insti­tu­tio­nen und Ent­schei­dungs­trä­ger beein­flus­sen? Ja, denn Men­schen in Gemein­den mit einem regen Aus­tausch zwi­schen poli­ti­schen Amts­trä­gern und dort ansäs­si­gen Ver­ei­nen schen­ken der Poli­tik mehr Ver­trau­en als Men­schen in Orten, in denen Poli­tik und Zivil­ge­sell­schaft nicht mit­ein­an­der ver­keh­ren. Das gilt nicht nur für Ver­eins­mit­glie­der, son­dern auch für den ver­eins­lo­sen Rest der loka­len Bevölkerung.

Wir ver­glei­chen in unse­rer Stu­die 57 Schwei­zer Gemein­den und kön­nen den soge­nann­ten Regen­ma­cher-Effekt des geteil­ten Umfelds klar bestä­ti­gen: Unab­hän­gig von der sozia­len Teil­ha­be an der Zivil­ge­sell­schaft wer­den alle Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner glei­cher­mas­sen von den posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen des sozia­len Mit­ein­an­ders zwi­schen Poli­tik und Ver­eins­welt erfasst.

Vertrauen ist wichtig für politische Stabilität

Dem poli­ti­schen Ver­trau­en wird gemein­hin eine zen­tra­le Rol­le beim Erhalt poli­ti­scher Sta­bi­li­tät von demo­kra­ti­schen Staats­for­men zuge­schrie­ben. Wäh­rend sich die meis­ten Stu­di­en aber mit dem Ver­trau­en in natio­na­le Insti­tu­tio­nen aus­ein­an­der­set­zen, rich­ten nur weni­ge Unter­su­chun­gen ihren Blick auf das Zutrau­en in lokal­po­li­ti­sche Insti­tu­tio­nen und Entscheidungsträger.

Die­ses Ver­trau­en­s­ur­teil fällt jedoch mög­li­cher­wei­se unter­schied­lich zur Bewer­tung natio­na­ler Poli­tik­pro­zes­se und poli­ti­scher Akteu­re aus: Die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sind auf loka­ler Ebe­ne akti­ver in die Poli­tik ein­ge­bun­den, haben einen per­sön­li­che­ren Bezug zu poli­ti­schen Amts­trä­gern und sind von loka­len poli­ti­schen Ent­schei­den eher direkt betrof­fen als von abs­trak­ten Beschlüs­sen auf natio­na­ler Ebe­ne. Für unse­re Unter­su­chung rückt des­halb das poli­ti­sche Ver­trau­en auf Gemein­de­ebe­ne als zu erklä­ren­de Grös­se in den Mit­tel­punkt des ana­ly­ti­schen Interesses.

Die positiven Effekte des Vereinslebens

Aus­ge­hend von den Grund­ge­dan­ken des Sozi­al­ka­pi­tal­an­satz und der Sicht­wei­se von Ver­ei­nen als Schu­len der Demo­kra­tie, unter­su­chen wir den Zusam­men­hang zwi­schen Cha­rak­te­ris­ti­ka der loka­len Ver­eins­land­schaft und dem indi­vi­du­el­len Ver­trau­en in loka­le poli­ti­sche Institutionen.

Ins­be­son­de­re zwei Eigen­schaf­ten des Ver­eins­le­bens soll­ten das poli­ti­sche Ver­trau­en der loka­len Bewoh­ner posi­tiv beein­flus­sen: Neben der Exis­tenz, Inten­si­tät und der Trans­pa­renz inter­ner demo­kra­ti­scher Pro­zes­se gilt dies auch für das Aus­mass des Aus­tau­sches zwi­schen den loka­len Ver­ei­nen und den poli­ti­schen Amtsträgern.

Zum einen schu­len die demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren inner­halb eines Ver­ei­nes die poli­ti­schen Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se ihrer Mit­glie­der und stei­gern deren Glau­ben an die poli­ti­sche Wirk­sam­keit und mit­hin deren poli­ti­sches Vertrauen.

Zum ande­ren ver­hilft ein reger Aus­tausch zwi­schen Ver­ei­nen und der Poli­tik zu einer gegen­sei­ti­gen Kul­tur der Aner­ken­nung und des Ver­trau­ens und ver­schafft poli­ti­schen Man­dats­trä­gern zu Repu­ta­ti­ons­ge­win­nen. Von die­sen Mecha­nis­men soll­ten in ers­ter Linie die Mit­glie­der von Ver­ei­nen ergrif­fen wer­den. Aller­dings lässt sich erwar­ten, dass durch sozia­le Kon­tak­te und Begeg­nun­gen auch Nicht­mit­glie­der von den vor­herr­schen­den demo­kra­ti­schen Nor­men und Pro­zes­sen Kennt­nis neh­men und ihr Ver­ständ­nis für die Lokal­po­li­tik und das poli­ti­sche Ver­trau­en gestei­gert wird.

Mehr Vertrauen in Politik durch starkes soziales Miteinander

Unse­re Ergeb­nis­se hier­ar­chisch linea­rer Regres­si­ons­mo­del­le zei­gen zunächst aber, dass die inter­nen demo­kra­ti­schen Pro­zes­se nicht sys­te­ma­tisch mit dem poli­ti­schen Ver­trau­en ver­bun­den sind. Hin­ge­gen stärkt der Aus­tausch zwi­schen der loka­len Ver­eins­welt und den lokal­po­li­ti­schen Akteu­ren das indi­vi­du­el­le poli­ti­sche Ver­trau­en. Wie Abbil­dung 1 zeigt, nimmt das poli­ti­sche Ver­trau­en einer Per­son zu, wenn in Gemein­den ein stär­ke­res sozia­les Mit­ein­an­der zwi­schen den poli­ti­schen Behör­den und den Ver­ei­nen gepflegt wird.

Abbildung 1:

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Der Regenmacher-Effekt

Die­ser Effekt beschränkt sich nicht nur auf Ver­eins­mit­glie­der, son­dern erfasst auch die Nicht­mit­glie­der: auch deren poli­ti­sches Ver­trau­en wird posi­tiv vom Aus­tausch zwi­schen Zivil­ge­sell­schaft und Poli­tik betrof­fen (Abbil­dung 2).

Ganz im Sin­ne der Regen­ma­cher-Hypo­the­se erfas­sen damit die posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen des Zusam­men­spiels zwi­schen Ver­ei­nen und loka­len Man­dats­trä­gern auch die Men­schen, die kei­nem Ver­ein angehören.

Mit ande­ren Wor­ten: Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner von Gemein­den, in denen poli­ti­sche Akteu­re inten­siv am Ver­eins­le­ben teil­neh­men, wei­sen unab­hän­gig von ihrer Ver­eins­mit­glied­schaft ein höhe­res poli­ti­sches Ver­trau­en auf als Per­so­nen, in deren Gemein­den kein oder nur wenig Aus­tausch zwi­schen Ver­ei­nen und Poli­tik stattfindet.

Mar­kus Frei­tag, Maya Ackermann 

Abbildung 2:

Abbildung 2:

Ver­ei­ne wie loka­le Ent­schei­dungs­trä­ger tra­gen damit zur For­mie­rung einer spe­zi­fi­schen poli­ti­schen Kul­tur bei, die mög­li­cher­wei­se das poli­ti­sche Ver­trau­en von Ver­eins­mit­glie­dern und Nicht­mit­glie­dern zu beein­flus­sen ver­mag. Die­ses Resul­tat birgt sowohl für die Sozi­al­ka­pi­tal­theo­rie als auch für poli­ti­sche Akteu­re wich­ti­ge Impli­ka­tio­nen. Letz­te­re müs­sen sich immer wie­der mit der viel­fach pos­tu­lier­ten Poli­tik­ver­dros­sen­heit aus­ein­an­der­set­zen und erhal­ten im ver­mehr­ten Aus­tausch mit der loka­len Zivil­ge­sell­schaft einen gang­ba­ren Aus­weg präsentiert.

INFOBOX: Metho­den und Daten
Die Stu­die über­prüft zwei Hypo­the­sen zum Zusam­men­hang zwi­schen Merk­ma­len der Ver­eins­land­schaft und dem indi­vi­du­el­len poli­ti­schen Ver­trau­en. Dabei ste­hen ins­be­son­de­re poli­ti­sche Aspek­te des Ver­eins­le­bens im Zen­trum des Inter­es­ses. In Bezug auf die inter­nen demo­kra­ti­schen Pro­zes­se wird die Anzahl Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen pro Jahr mit­ein­be­zo­gen. Das Kon­zept des Aus­tau­sches zwi­schen den poli­ti­schen Amts­trä­gern und den loka­len Ver­ei­nen wird anhand der Häu­fig­keit erfasst, mit der Mit­glie­der der Gemein­de­be­hör­de auf Ein­la­dung an Ver­eins­ver­an­stal­tun­gen teilnehmen.

Als Daten­satz dient die Orga­ni­sa­ti­ons­stu­die von Born (2014), wel­che kon­tex­tu­el­le Daten über die Struk­tur des Ver­eins­le­bens in 57 Schwei­zer Gemein­den ent­hält. Dazu wur­den die Anga­ben von loka­len Ver­eins­prä­si­den­tin­nen und Ver­eins­prä­si­den­ten auf Gemein­de­ebe­ne aggre­giert. Das indi­vi­du­el­le poli­ti­sche Ver­trau­en wur­de im Rah­men des Pro­jek­tes Schwei­zer Frei­wil­li­gen-Moni­tor Gemein­den 2010 erho­ben und dient als abhän­gi­ge Varia­ble der Stu­die. Die­ser Daten­satz ent­hält Infor­ma­tio­nen von 4955 Indi­vi­du­en aus 60 Schwei­zer Gemein­den. Die Stu­die grenzt sich damit von frü­he­ren Unter­su­chun­gen ab, da zur Über­prü­fung der For­schungs­fra­ge erst­mals Ver­eins­da­ten auf Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne und nicht allein aggre­gier­te Mit­glie­der­zah­len ver­wen­det werden.


Lite­ra­tur: 

Titel­bild: Der Turn- und Sport­ver­ein Vechi­gen an einem Turn­fest in Her­zo­gen­buch­see, 1946. Quel­le: Turn- und Sport­ver­ein Vechi­gen.

Lek­to­rat: Sarah Büti­ko­fer

Gra­phik & Lay­out: Pas­cal Burkhard

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