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Der Regenmacher-Effekt: Wie die Zivilgesellschaft Vertrauen in die Politik schaffen kann

Markus Freitag, Maya Ackermann
29th März 2016

Vereine haben eine positive Wirkung auf das soziale Miteinander in einer Gemeinde. Nicht nur Vereinsmitglieder, sondern alle Menschen profitieren davon. Denn in Gemeinden mit einem regen Austausch zwischen lokalen Politikern und ansässigen Vereinen wird der Politik mehr Vertrauen geschenkt als in Orten, in denen Politik und Zivilgesellschaft nicht miteinander verkehren. Das zeigt unsere neue Studie, die 57 Schweizer Gemeinden verglichen hat.

Kann die Zivilgesellschaft das Vertrauen in lokalpolitische Institutionen und Entscheidungsträger beeinflussen? Ja, denn Menschen in Gemeinden mit einem regen Austausch zwischen politischen Amtsträgern und dort ansässigen Vereinen schenken der Politik mehr Vertrauen als Menschen in Orten, in denen Politik und Zivilgesellschaft nicht miteinander verkehren. Das gilt nicht nur für Vereinsmitglieder, sondern auch für den vereinslosen Rest der lokalen Bevölkerung.

Wir vergleichen in unserer Studie 57 Schweizer Gemeinden und können den sogenannten Regenmacher-Effekt des geteilten Umfelds klar bestätigen: Unabhängig von der sozialen Teilhabe an der Zivilgesellschaft werden alle Bewohnerinnen und Bewohner gleichermassen von den positiven Auswirkungen des sozialen Miteinanders zwischen Politik und Vereinswelt erfasst.

Vertrauen ist wichtig für politische Stabilität

Dem politischen Vertrauen wird gemeinhin eine zentrale Rolle beim Erhalt politischer Stabilität von demokratischen Staatsformen zugeschrieben. Während sich die meisten Studien aber mit dem Vertrauen in nationale Institutionen auseinandersetzen, richten nur wenige Untersuchungen ihren Blick auf das Zutrauen in lokalpolitische Institutionen und Entscheidungsträger.

Dieses Vertrauensurteil fällt jedoch möglicherweise unterschiedlich zur Bewertung nationaler Politikprozesse und politischer Akteure aus: Die Bürgerinnen und Bürger sind auf lokaler Ebene aktiver in die Politik eingebunden, haben einen persönlicheren Bezug zu politischen Amtsträgern und sind von lokalen politischen Entscheiden eher direkt betroffen als von abstrakten Beschlüssen auf nationaler Ebene. Für unsere Untersuchung rückt deshalb das politische Vertrauen auf Gemeindeebene als zu erklärende Grösse in den Mittelpunkt des analytischen Interesses.

Die positiven Effekte des Vereinslebens

Ausgehend von den Grundgedanken des Sozialkapitalansatz und der Sichtweise von Vereinen als Schulen der Demokratie, untersuchen wir den Zusammenhang zwischen Charakteristika der lokalen Vereinslandschaft und dem individuellen Vertrauen in lokale politische Institutionen.

Insbesondere zwei Eigenschaften des Vereinslebens sollten das politische Vertrauen der lokalen Bewohner positiv beeinflussen: Neben der Existenz, Intensität und der Transparenz interner demokratischer Prozesse gilt dies auch für das Ausmass des Austausches zwischen den lokalen Vereinen und den politischen Amtsträgern.

Zum einen schulen die demokratischen Strukturen innerhalb eines Vereines die politischen Fähigkeiten und Kenntnisse ihrer Mitglieder und steigern deren Glauben an die politische Wirksamkeit und mithin deren politisches Vertrauen.

Zum anderen verhilft ein reger Austausch zwischen Vereinen und der Politik zu einer gegenseitigen Kultur der Anerkennung und des Vertrauens und verschafft politischen Mandatsträgern zu Reputationsgewinnen. Von diesen Mechanismen sollten in erster Linie die Mitglieder von Vereinen ergriffen werden. Allerdings lässt sich erwarten, dass durch soziale Kontakte und Begegnungen auch Nichtmitglieder von den vorherrschenden demokratischen Normen und Prozessen Kenntnis nehmen und ihr Verständnis für die Lokalpolitik und das politische Vertrauen gesteigert wird.

Mehr Vertrauen in Politik durch starkes soziales Miteinander

Unsere Ergebnisse hierarchisch linearer Regressionsmodelle zeigen zunächst aber, dass die internen demokratischen Prozesse nicht systematisch mit dem politischen Vertrauen verbunden sind. Hingegen stärkt der Austausch zwischen der lokalen Vereinswelt und den lokalpolitischen Akteuren das individuelle politische Vertrauen. Wie Abbildung 1 zeigt, nimmt das politische Vertrauen einer Person zu, wenn in Gemeinden ein stärkeres soziales Miteinander zwischen den politischen Behörden und den Vereinen gepflegt wird.

Abbildung 1:

 Abbildung 01

Der Regenmacher-Effekt

Dieser Effekt beschränkt sich nicht nur auf Vereinsmitglieder, sondern erfasst auch die Nichtmitglieder: auch deren politisches Vertrauen wird positiv vom Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Politik betroffen (Abbildung 2).

Ganz im Sinne der Regenmacher-Hypothese erfassen damit die positiven Auswirkungen des Zusammenspiels zwischen Vereinen und lokalen Mandatsträgern auch die Menschen, die keinem Verein angehören.

Mit anderen Worten: Bewohnerinnen und Bewohner von Gemeinden, in denen politische Akteure intensiv am Vereinsleben teilnehmen, weisen unabhängig von ihrer Vereinsmitgliedschaft ein höheres politisches Vertrauen auf als Personen, in deren Gemeinden kein oder nur wenig Austausch zwischen Vereinen und Politik stattfindet.

Markus Freitag, Maya Ackermann

Abbildung 2:

Abbildung 2:

Vereine wie lokale Entscheidungsträger tragen damit zur Formierung einer spezifischen politischen Kultur bei, die möglicherweise das politische Vertrauen von Vereinsmitgliedern und Nichtmitgliedern zu beeinflussen vermag. Dieses Resultat birgt sowohl für die Sozialkapitaltheorie als auch für politische Akteure wichtige Implikationen. Letztere müssen sich immer wieder mit der vielfach postulierten Politikverdrossenheit auseinandersetzen und erhalten im vermehrten Austausch mit der lokalen Zivilgesellschaft einen gangbaren Ausweg präsentiert.

INFOBOX: Methoden und Daten
Die Studie überprüft zwei Hypothesen zum Zusammenhang zwischen Merkmalen der Vereinslandschaft und dem individuellen politischen Vertrauen. Dabei stehen insbesondere politische Aspekte des Vereinslebens im Zentrum des Interesses. In Bezug auf die internen demokratischen Prozesse wird die Anzahl Mitgliederversammlungen pro Jahr miteinbezogen. Das Konzept des Austausches zwischen den politischen Amtsträgern und den lokalen Vereinen wird anhand der Häufigkeit erfasst, mit der Mitglieder der Gemeindebehörde auf Einladung an Vereinsveranstaltungen teilnehmen.

Als Datensatz dient die Organisationsstudie von Born (2014), welche kontextuelle Daten über die Struktur des Vereinslebens in 57 Schweizer Gemeinden enthält. Dazu wurden die Angaben von lokalen Vereinspräsidentinnen und Vereinspräsidenten auf Gemeindeebene aggregiert. Das individuelle politische Vertrauen wurde im Rahmen des Projektes Schweizer Freiwilligen-Monitor Gemeinden 2010 erhoben und dient als abhängige Variable der Studie. Dieser Datensatz enthält Informationen von 4955 Individuen aus 60 Schweizer Gemeinden. Die Studie grenzt sich damit von früheren Untersuchungen ab, da zur Überprüfung der Forschungsfrage erstmals Vereinsdaten auf Organisationsebene und nicht allein aggregierte Mitgliederzahlen verwendet werden.


Literatur: 

Titelbild: Der Turn- und Sportverein Vechigen an einem Turnfest in Herzogenbuchsee, 1946. Quelle: Turn- und Sportverein Vechigen.

Lektorat: Sarah Bütikofer

Graphik & Layout: Pascal Burkhard