Rechtspopulismus und Migration: Hunde, die bellen, beissen nicht?

Uner­müd­lich und sehr erfolg­reich beackern rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en das The­ma Migra­ti­on. Mit ihrer Agen­da bestim­men sie vie­ler­orts den Ton der öffent­li­chen Migra­ti­ons­de­bat­te – so aktu­ell auch die SVP mit der Durch­set­zungs­in­itia­ti­ve. Doch wel­chen Nie­der­schlag fin­den rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en mit ihrer aus­län­der­s­kep­ti­schen Agen­da in der Inte­gra­ti­ons­po­li­tik? Die Ant­wort erstaunt.

Wel­chen Ein­fluss haben rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en auf Migra­ti­ons­po­li­tik, etwa den Bereich der Inte­gra­ti­ons­po­li­tik? Sel­ten wird die poli­ti­sche Debat­te über ein Poli­tik­feld der­art klar durch eine bestimm­te Par­tei­fa­mi­lie domi­niert. Und sel­ten gewinnt eine Par­tei mit der nega­ti­ven Beset­zung eines The­mas der­art vie­le Wäh­ler­stim­men sowie – zumin­dest in der Schweiz – direkt­de­mo­kra­ti­sche Abstimmungen.

Doch nicht etwa Rechts­po­pu­lis­mus, son­dern macht­tei­len­de demo­kra­ti­sche Insti­tu­tio­nen wie brei­te Regie­rungs­ko­ali­tio­nen, Par­tei­en­viel­falt, Föde­ra­lis­mus und direk­te Demo­kra­tie kön­nen die Inte­gra­ti­ons­po­li­tik eines Lan­des erklä­ren. Dies geht aus einer Stu­die her­vor, in wel­cher wir die Inte­gra­ti­ons­po­li­ti­ken in dreis­sig euro­päi­schen und nord­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern unter­sucht haben.

Bedeutung politischer Institutionen

Poli­tik­for­mu­lie­rung ist häu­fig kein rein ratio­na­ler, tech­ni­scher Pro­zess, son­dern mit­un­ter das Resul­tat eines kom­ple­xen und chao­ti­schen sich Durch­wurs­telns diver­gie­ren­der Inter­es­sen (Etzio­ni 1967). Exis­tie­ren­de Stu­di­en, die die Inte­gra­ti­ons­po­li­tik eines Lan­des mit aus­ge­wähl­ten Fak­to­ren wie etwa rechts- (oder links-) gerich­te­ter Par­tei­po­li­tik oder der Immi­gra­ti­ons­ge­schich­te eines Lan­des zu erklä­ren ver­su­chen (z.B. Bru­baker 1992, Koop­mans et al. 2012), grei­fen des­halb häu­fig zu kurz.

Vor allem voll­zieht sich der Poli­tik­for­mu­lie­rungs­pro­zess jedoch unter bestimm­ten demo­kra­ti­schen Rah­men­be­din­gen, wel­che die Poli­tik­for­mu­lie­rung mass­geb­lich mit beein­flus­sen. In der bestehen­den Migra­ti­ons­for­schung fin­den die­se demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen kaum Beach­tung. Unse­re Stu­die deckt jedoch auf, dass gera­de demo­kra­ti­sche Insti­tu­tio­nen wie pro­por­tio­na­le, föde­ra­le oder direkt­de­mo­kra­ti­sche Macht­tei­lung in einem kla­ren Zusam­men­hang mit der Inte­gra­ti­ons­po­li­tik eines Lan­des stehen.

Proporz

Laut einem pro­mi­nen­ten Argu­ment aus der Demo­kra­tie­for­schung begüns­ti­gen pro­por­tio­nal macht­tei­len­de Insti­tu­tio­nen wie breit abge­stütz­te Regie­rungs­ko­ali­tio­nen und eine hohe Par­tei­en­viel­falt Min­der­hei­ten­an­lie­gen (Lij­phart 2012). In Län­dern mit pro­por­tio­na­ler Macht­tei­lung haben die Inter­es­sen von Min­der­hei­ten ent­spre­chend bes­se­re Chan­cen reprä­sen­tiert zu wer­den als in majo­ri­tä­ren Demo­kra­tien, in wel­chen die Geschi­cke eines Lan­des im Wesent­li­chen durch ein Regie­rungs­ober­haupt sowie die par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heit gelenkt wer­den. Zwar beschränkt sich die bestehen­de For­schung zu die­sem The­ma auf tra­di­tio­nel­le oder ter­ri­to­ria­le Min­der­hei­ten wie sprach­re­gio­na­le Min­der­hei­ten in der Schweiz. Unse­re Resul­ta­te in Abbil­dung 1 zei­gen jedoch, dass sich die­ses Argu­ment auch auf die „neue“ Min­der­heit Immi­gran­ten anwen­den lässt, zumal Pro­porz-Demo­kra­tien zu libe­ra­len und somit inklu­si­ven Inte­gra­ti­ons­po­li­ti­ken tendieren.

Dezentralisierung

Neben den eben beschrie­be­nen hori­zon­ta­len Insti­tu­tio­nen der Macht­tei­lung haben auch ver­ti­kal macht­tei­len­de Insti­tu­tio­nen, allen vor­an der Föde­ra­lis­mus, den Ruf, Min­der­hei­ten­in­ter­es­sen gut zu reprä­sen­tie­ren (Kymlicka 2001). Für Immi­gran­ten ist die­ser Zusam­men­hang jedoch frag­lich, da es sich hier in der Regel nicht um eine klar ter­ri­to­ri­al kon­zen­trier­te Min­der­heit han­delt. Wäh­rend die Tes­si­ner oder Gen­fer ihre poli­ti­sche Mit­spra­che dank Stän­de­rat auch über den Kan­ton gesi­chert wis­sen, kann etwa die por­tu­gie­si­sche oder öster­rei­chi­sche Wohn­be­völ­ke­rung in der Schweiz nicht auf eine ähn­li­che insti­tu­tio­nel­le Berück­sich­ti­gung ihrer Inter­es­sen zäh­len. Unse­re Resul­ta­te legen sogar nahe, dass die Inter­es­sen von Immi­gran­ten in stark föde­ra­len Sys­te­men der Kon­kur­renz mit ande­ren Min­der­hei­ten­in­ter­es­sen unter­le­gen sind. Der nega­ti­ve Befund in Abbil­dung 1 ver­deut­licht näm­lich, dass föde­ra­le Staa­ten ten­den­zi­ell restrik­ti­ve­re Inte­gra­ti­ons­po­li­ti­ken for­mu­lie­ren als zen­tra­li­sier­te Staaten.

Direkte Demokratie

Als „Mehr­heits­vo­tum“ ist die direk­te Demo­kra­tie die ein­zi­ge Form demo­kra­ti­scher Macht­tei­lung, wel­che expli­zit dafür bekannt ist, die Rech­te von Immi­gran­ten eher zu schmä­lern denn zu stär­ken. Nebst diver­sen Stu­di­en zeigt vor allem auch die jüngs­te Schwei­zer Abstim­mungs­ge­schich­te, nament­lich die Annah­me der Ausschaffungs‑, Mina­rett- und Mas­sen­ein­wan­de­rungs­in­itia­ti­ve, dass gera­de Immi­gran­ten­rech­te ger­ne ein­mal durch die direk­te Demo­kra­tie beschnit­ten wer­den. Ein ähn­lich nega­ti­ver Zusam­men­hang lässt sich auch aus unse­rer inter­na­tio­nal ver­glei­chen­den Ana­ly­se zu direk­ter Demo­kra­tie und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik in Abb. 1 ablesen.

Abbil­dung 1:

Einfluss

Alles nur Rhetorik?

Die Befun­de unse­rer Stu­die legen nahe, dass sich die Aus­rich­tung natio­na­ler Inte­gra­ti­ons­po­li­tik mass­geb­lich durch macht­tei­len­de demo­kra­ti­sche Insti­tu­tio­nen sowie durch den Wohl­stand eines Lan­des erklä­ren lässt. Kei­ne direk­te Rol­le spie­len dem­ge­gen­über rech­te oder rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­po­li­tik oder die Immi­gra­ti­ons­ge­schich­te eines Lan­des. Dies bedeu­tet nicht, dass Rechts­po­pu­lis­mus gar kei­nen Ein­fluss auf Migra­ti­ons­po­li­tik aus­übt. Viel­mehr dürf­te die­ser wenn, dann indi­rekt erfol­gen. Die Annah­me der Mas­sen­ein­wan­de­rungs­in­itia­ti­ve der SVP zeigt etwa, dass rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en mit ihrer Anti-Immi­gra­ti­ons-Agen­da durch die direk­te Demo­kra­tie in die­sem Poli­tik­be­reich gezielt Ein­fluss neh­men kön­nen. Gleich­zei­tig zei­gen wei­ter­füh­ren­de, hier nicht abge­bil­de­te Ana­ly­sen jedoch, dass sich im inter­na­tio­na­len Ver­gleich kein sys­te­ma­ti­sches Zusam­men­spiel zwi­schen Rechts­po­pu­lis­mus, direk­ter Demo­kra­tie und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik aus­ma­chen lässt.

Ins­ge­samt ermah­nen die hier dar­ge­leg­ten Resul­ta­te, dass der Ein­fluss rechts­po­pu­lis­ti­scher Par­tei­en auf den Poli­tik­for­mu­lie­rungs­pro­zess im Bereich Migra­ti­on nicht über­be­wer­tet wer­den soll­te — unge­ach­tet der anders lau­ten­den Rhe­to­rik die­ser Parteien.

INFOBOX: Ana­ly­se­me­tho­de und Daten

Zur Unter­su­chung der Ein­fluss­fak­to­ren von Inte­gra­ti­ons­po­li­tik ver­wen­den wir ein spe­zi­el­les, kom­bi­nier­tes Mess- und Regres­si­ons­mo­dell. Dies dient dazu, einer­seits aus beob­acht­ba­ren Indi­ka­to­ren wie der Par­tei­en­zahl oder Koali­ti­ons­mus­tern metho­disch fun­diert Schät­zun­gen etwa für den Pro­porz­grad eines Lan­des zu gene­rie­ren, und ande­rer­seits des­sen Aus­wir­kun­gen auf die Inte­gra­ti­ons­po­li­tik zu ana­ly­sie­ren. Für die in Abbil­dung 1 dar­ge­stell­te Ana­ly­se wur­den fol­gen­de Daten­quel­len ver­wen­det: Inte­gra­ti­ons­po­li­tik wur­de über den Migrant Inte­gra­ti­on Poli­cy Index (MIPEX) des Jah­res 2010 gemes­sen. Zur Erfas­sung demo­kra­ti­scher Dimen­sio­nen ver­wen­de­ten wir einen neu­en, noch unver­öf­fent­lich­ten Daten­satz zu empi­ri­schen Demo­kra­tie­mus­tern in 61 Demo­kra­tien von Prof. Adri­an Vat­ter und Juli­an Ber­nau­er (Uni­ver­si­tät Bern). Die Klas­si­fi­zie­rung der Immi­gra­ti­ons­ge­schich­te wur­de basie­rend auf Sekun­där­li­te­ra­tur zum The­ma vor­ge­nom­men. Alle ver­blei­ben­den Kon­troll­va­ria­blen stam­men aus dem Com­pa­ra­ti­ve Poli­ti­cal Data­set (CPDS) der Arbeits­grup­pe von Prof. Klaus Armin­ge­on, Uni­ver­si­tät Bern. Die Abbil­dung zeigt neben den Effek­ten der erklä­ren­den Varia­blen auf die Inte­gra­ti­ons­po­li­tik zwei Mas­se der Unsi­cher­heit, wobei die hori­zon­ta­len Stri­che 95%-Intervalle, die ver­ti­ka­len Stri­che 80%-Intervalle anzeigen.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von: Manat­schal, Ani­ta und Juli­an Ber­nau­er (2016): Con­sen­ting to Exclu­de? Empi­ri­cal Pat­terns of Demo­cra­cy and Immi­grant Inte­gra­ti­on Poli­cy, in: West Euro­pean Poli­tics, 39(2): 183–204.


Lite­ra­tur

  • Bru­baker, Rogers (1992). Citi­zenship and nati­on­hood in Fran­ce and Ger­ma­ny, Cam­bridge, Mass. etc.: Har­vard Uni­ver­si­ty Press.

  • Etzio­ni, Amitai (1967). Mixed-Scan­ning: A “Third” Approach to Decisi­on-Making. Public Admi­nis­tra­ti­on Review, 27(5): 385–392.

  • Koop­mans, Ruud, Ines Micha­e­low­ski und Sti­ne Wai­bel (2012). Citi­zenship Rights for Immi­grants: Natio­nal Poli­ti­cal Pro­ces­ses and Cross-Natio­nal Con­ver­gence in Wes­tern Euro­pe, 1980–2008. Ame­ri­can Jour­nal of Socio­lo­gy, 117(4): 1202–1245.

  • Kymlicka, Will (2001). Mino­ri­ty Natio­na­lism and Mul­ti­na­ti­on Federa­lism. In Kymlicka (Hrsg.) Poli­tics in the Ver­na­cu­lar. Natio­na­lism, Mul­ti­cul­tu­ra­lism and Citi­zenship. Oxford: Oxford Uni­ver­si­ty Press. 91–119.

  • Lij­phart, Arend (2012). Pat­terns of demo­cra­cy: government forms and per­for­mance in thir­ty-six coun­tries, Yale: Yale Uni­ver­si­ty Press.

Foto: Schwei­ze­ri­sche Volks­par­tei SVP

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