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Rechtspopulismus und Migration: Hunde, die bellen, beissen nicht?

Anita Manatschal, Julian Bernauer
23rd Februar 2016

Unermüdlich und sehr erfolgreich beackern rechtspopulistische Parteien das Thema Migration. Mit ihrer Agenda bestimmen sie vielerorts den Ton der öffentlichen Migrationsdebatte – so aktuell auch die SVP mit der Durchsetzungsinitiative. Doch welchen Niederschlag finden rechtspopulistische Parteien mit ihrer ausländerskeptischen Agenda in der Integrationspolitik? Die Antwort erstaunt.

Welchen Einfluss haben rechtspopulistische Parteien auf Migrationspolitik, etwa den Bereich der Integrationspolitik? Selten wird die politische Debatte über ein Politikfeld derart klar durch eine bestimmte Parteifamilie dominiert. Und selten gewinnt eine Partei mit der negativen Besetzung eines Themas derart viele Wählerstimmen sowie – zumindest in der Schweiz – direktdemokratische Abstimmungen.

Doch nicht etwa Rechtspopulismus, sondern machtteilende demokratische Institutionen wie breite Regierungskoalitionen, Parteienvielfalt, Föderalismus und direkte Demokratie können die Integrationspolitik eines Landes erklären. Dies geht aus einer Studie hervor, in welcher wir die Integrationspolitiken in dreissig europäischen und nordamerikanischen Ländern untersucht haben.

Bedeutung politischer Institutionen

Politikformulierung ist häufig kein rein rationaler, technischer Prozess, sondern mitunter das Resultat eines komplexen und chaotischen sich Durchwurstelns divergierender Interessen (Etzioni 1967). Existierende Studien, die die Integrationspolitik eines Landes mit ausgewählten Faktoren wie etwa rechts- (oder links-) gerichteter Parteipolitik oder der Immigrationsgeschichte eines Landes zu erklären versuchen (z.B. Brubaker 1992, Koopmans et al. 2012), greifen deshalb häufig zu kurz.

Vor allem vollzieht sich der Politikformulierungsprozess jedoch unter bestimmten demokratischen Rahmenbedingen, welche die Politikformulierung massgeblich mit beeinflussen. In der bestehenden Migrationsforschung finden diese demokratischen Institutionen kaum Beachtung. Unsere Studie deckt jedoch auf, dass gerade demokratische Institutionen wie proportionale, föderale oder direktdemokratische Machtteilung in einem klaren Zusammenhang mit der Integrationspolitik eines Landes stehen.

Proporz

Laut einem prominenten Argument aus der Demokratieforschung begünstigen proportional machtteilende Institutionen wie breit abgestützte Regierungskoalitionen und eine hohe Parteienvielfalt Minderheitenanliegen (Lijphart 2012). In Ländern mit proportionaler Machtteilung haben die Interessen von Minderheiten entsprechend bessere Chancen repräsentiert zu werden als in majoritären Demokratien, in welchen die Geschicke eines Landes im Wesentlichen durch ein Regierungsoberhaupt sowie die parlamentarische Mehrheit gelenkt werden. Zwar beschränkt sich die bestehende Forschung zu diesem Thema auf traditionelle oder territoriale Minderheiten wie sprachregionale Minderheiten in der Schweiz. Unsere Resultate in Abbildung 1 zeigen jedoch, dass sich dieses Argument auch auf die „neue“ Minderheit Immigranten anwenden lässt, zumal Proporz-Demokratien zu liberalen und somit inklusiven Integrationspolitiken tendieren.

Dezentralisierung

Neben den eben beschriebenen horizontalen Institutionen der Machtteilung haben auch vertikal machtteilende Institutionen, allen voran der Föderalismus, den Ruf, Minderheiteninteressen gut zu repräsentieren (Kymlicka 2001). Für Immigranten ist dieser Zusammenhang jedoch fraglich, da es sich hier in der Regel nicht um eine klar territorial konzentrierte Minderheit handelt. Während die Tessiner oder Genfer ihre politische Mitsprache dank Ständerat auch über den Kanton gesichert wissen, kann etwa die portugiesische oder österreichische Wohnbevölkerung in der Schweiz nicht auf eine ähnliche institutionelle Berücksichtigung ihrer Interessen zählen. Unsere Resultate legen sogar nahe, dass die Interessen von Immigranten in stark föderalen Systemen der Konkurrenz mit anderen Minderheiteninteressen unterlegen sind. Der negative Befund in Abbildung 1 verdeutlicht nämlich, dass föderale Staaten tendenziell restriktivere Integrationspolitiken formulieren als zentralisierte Staaten.

Direkte Demokratie

Als „Mehrheitsvotum“ ist die direkte Demokratie die einzige Form demokratischer Machtteilung, welche explizit dafür bekannt ist, die Rechte von Immigranten eher zu schmälern denn zu stärken. Nebst diversen Studien zeigt vor allem auch die jüngste Schweizer Abstimmungsgeschichte, namentlich die Annahme der Ausschaffungs-, Minarett- und Masseneinwanderungsinitiative, dass gerade Immigrantenrechte gerne einmal durch die direkte Demokratie beschnitten werden. Ein ähnlich negativer Zusammenhang lässt sich auch aus unserer international vergleichenden Analyse zu direkter Demokratie und Integrationspolitik in Abb. 1 ablesen.

Abbildung 1:

Einfluss

Alles nur Rhetorik?

Die Befunde unserer Studie legen nahe, dass sich die Ausrichtung nationaler Integrationspolitik massgeblich durch machtteilende demokratische Institutionen sowie durch den Wohlstand eines Landes erklären lässt. Keine direkte Rolle spielen demgegenüber rechte oder rechtspopulistische Parteipolitik oder die Immigrationsgeschichte eines Landes. Dies bedeutet nicht, dass Rechtspopulismus gar keinen Einfluss auf Migrationspolitik ausübt. Vielmehr dürfte dieser wenn, dann indirekt erfolgen. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative der SVP zeigt etwa, dass rechtspopulistische Parteien mit ihrer Anti-Immigrations-Agenda durch die direkte Demokratie in diesem Politikbereich gezielt Einfluss nehmen können. Gleichzeitig zeigen weiterführende, hier nicht abgebildete Analysen jedoch, dass sich im internationalen Vergleich kein systematisches Zusammenspiel zwischen Rechtspopulismus, direkter Demokratie und Integrationspolitik ausmachen lässt.

Insgesamt ermahnen die hier dargelegten Resultate, dass der Einfluss rechtspopulistischer Parteien auf den Politikformulierungsprozess im Bereich Migration nicht überbewertet werden sollte - ungeachtet der anders lautenden Rhetorik dieser Parteien.

INFOBOX: Analysemethode und Daten

Zur Untersuchung der Einflussfaktoren von Integrationspolitik verwenden wir ein spezielles, kombiniertes Mess- und Regressionsmodell. Dies dient dazu, einerseits aus beobachtbaren Indikatoren wie der Parteienzahl oder Koalitionsmustern methodisch fundiert Schätzungen etwa für den Proporzgrad eines Landes zu generieren, und andererseits dessen Auswirkungen auf die Integrationspolitik zu analysieren. Für die in Abbildung 1 dargestellte Analyse wurden folgende Datenquellen verwendet: Integrationspolitik wurde über den Migrant Integration Policy Index (MIPEX) des Jahres 2010 gemessen. Zur Erfassung demokratischer Dimensionen verwendeten wir einen neuen, noch unveröffentlichten Datensatz zu empirischen Demokratiemustern in 61 Demokratien von Prof. Adrian Vatter und Julian Bernauer (Universität Bern). Die Klassifizierung der Immigrationsgeschichte wurde basierend auf Sekundärliteratur zum Thema vorgenommen. Alle verbleibenden Kontrollvariablen stammen aus dem Comparative Political Dataset (CPDS) der Arbeitsgruppe von Prof. Klaus Armingeon, Universität Bern. Die Abbildung zeigt neben den Effekten der erklärenden Variablen auf die Integrationspolitik zwei Masse der Unsicherheit, wobei die horizontalen Striche 95%-Intervalle, die vertikalen Striche 80%-Intervalle anzeigen.

Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung von: Manatschal, Anita und Julian Bernauer (2016): Consenting to Exclude? Empirical Patterns of Democracy and Immigrant Integration Policy, in: West European Politics, 39(2): 183-204.


Literatur

  • Brubaker, Rogers (1992). Citizenship and nationhood in France and Germany, Cambridge, Mass. etc.: Harvard University Press.

  • Etzioni, Amitai (1967). Mixed-Scanning: A "Third" Approach to Decision-Making. Public Administration Review, 27(5): 385-392.

  • Koopmans, Ruud, Ines Michaelowski und Stine Waibel (2012). Citizenship Rights for Immigrants: National Political Processes and Cross-National Convergence in Western Europe, 1980-2008. American Journal of Sociology, 117(4): 1202-1245.

  • Kymlicka, Will (2001). Minority Nationalism and Multination Federalism. In Kymlicka (Hrsg.) Politics in the Vernacular. Nationalism, Multiculturalism and Citizenship. Oxford: Oxford University Press. 91-119.

  • Lijphart, Arend (2012). Patterns of democracy: government forms and performance in thirty-six countries, Yale: Yale University Press.

Foto: Schweizerische Volkspartei SVP