Frauen in der Politik: Vorbilder reichen nicht

Damit mehr Frau­en öffent­li­che Ämter über­neh­men, brau­che es vor allem Vor­bil­der, heisst es ger­ne. Doch die­se Zei­ten sind längst vor­bei, wie Daten aus der Schweiz zei­gen – inzwi­schen geht es um Grundsätzliches.

Der Vor­bild­ef­fekt von Pio­nie­rin­nen in der Poli­tik wirkt nur eine begrenz­te Zeit lang. Wird eine Frau in einer Gemein­de gewählt, kan­di­die­ren bei den nächs­ten Wah­len mehr Frau­en – auch in den umlie­gen­den Gemein­den. Aller­dings nur, solan­ge noch kei­ne oder fast kei­ne Frau­en im Amt sind – danach ebbt die­se posi­ti­ve Wel­le innert weni­ger Jah­re ab.

Zu die­sem Schluss kommt eine Stu­die, die im Ame­ri­can Jour­nal of Poli­ti­cal Sci­ence erschie­nen ist. Dafür wur­den die Wahl­da­ten von 168 Gemein­den des Kan­tons Zürich von 1970 bis 2010 aus­ge­wer­tet. Für die ers­ten Jah­re nach der Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts lässt sich tat­säch­lich einen Vor­bild­ef­fekt fest­stel­len: Für jede Frau, die es 1970 neu in den Gemein­de­rat schaff­te, stieg die Anzahl der Kan­di­da­tin­nen bei den nächs­ten Wah­len an. In der jeweils eige­nen Gemein­de um 60 Pro­zent, in den zwan­zig nächs­ten Nach­bar­ge­mein­den um zehn Prozent.

Doch in den nach­fol­gen­den Wahl­pe­ri­oden schrumpf­te die­ser Vor­bild­ef­fekt gra­du­ell, 1986 ver­schwand er gar gänz­lich. Seit­her sta­gniert die Zahl weib­li­cher Amts­in­ha­ber bei etwa 30 Prozent.

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Karte

Nach den ers­ten Anfangs­jah­ren sind es nicht mehr indi­vi­du­el­le Vor­bil­der, die über die Reprä­sen­ta­ti­on von Frau­en ent­schei­den, son­dern brei­te­re sozia­le Nor­men, die der poli­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on von Frau­en för­der­lich sind oder nicht. Mit ande­ren Wor­ten: danach geht es um Grund­sätz­li­che­res. Einer­seits dar­um, wie vie­le weib­li­che Reprä­sen­tan­ten die Bevöl­ke­rung als „genug“ ansieht – in der Schweiz offen­bar um die 30 Pro­zent. Ande­rer­seits um die Funk­ti­ons­wei­se des Systems.

Unterstützung von Parteien

Wis­sen­schaft­ler haben in den letz­ten Jah­ren zahl­rei­che Fak­to­ren iden­ti­fi­ziert, wel­che die Reprä­sen­ta­ti­on von Frau­en in der Poli­tik beein­flus­sen. Wich­tig ist etwa der Zugang zu Res­sour­cen wie Aus­bil­dung, Zeit und finan­zi­el­le Mit­tel. Eine der bedeu­tends­ten Ursa­chen für die sta­gnie­ren­de Zahl von Poli­ti­ke­rin­nen fin­den zahl­rei­che Autoren in der nied­ri­ge­ren Moti­va­ti­on von Frau­en, über­haupt zu kandidieren.

Frau­en nei­gen eher als Män­ner dazu, ihre Fähig­kei­ten zu unter­schät­zen, und sie fürch­ten sich stär­ker vor man­geln­der Unter­stüt­zung im Wahl­kampf. Ent­spre­chend spielt die par­tei­in­ter­ne Aus­wahl und die Unter­stüt­zung für Frau­en eine beson­ders ent­schei­den­de Rolle.

Eben­falls von Bedeu­tung ist das Wahl­sys­tem. In Pro­porz­sys­te­men mit gros­sen Wahl­krei­sen haben Frau­en und ande­re unter­re­prä­sen­tier­te Grup­pen bes­se­re Wahl­chan­cen als in Majorz­sys­te­men mit ihren win­ner-takes-it-all-Effek­ten.

Wirkung von Quoten verpufft

Mei­ne Unter­su­chung lie­fert auch Hin­wei­se für Mass­nah­men, die auf eine Erhö­hung des Frau­en­an­teils in der Poli­tik abzie­len könn­ten. So ver­pufft der Effekt von Quo­ten mög­li­cher­wei­se rela­tiv schnell – para­do­xer­wei­se gera­de dann, wenn sie grei­fen. Dar­um ist der Zeit­punkt mög­li­cher Inter­ven­tio­nen entscheidend.

Ganz grund­sätz­lich kön­nen Wahl­er­fol­ge von Kan­di­da­tin­nen dazu füh­ren, dass die Reprä­sen­ta­ti­on von Frau­en bald als aus­rei­chend wahr­ge­nom­men wird und dar­auf hin sta­gniert. Eine gleich­mäs­si­ge Ver­tre­tung von Frau­en und Män­nern muss dar­um ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Anlie­gen sein. Par­tei­en, poli­ti­sche Akteu­re und Wäh­ler­schaft müs­sen sich gemein­sam dafür ein­set­zen, dass indi­vi­du­el­le Erfolgs­ge­schich­ten von Poli­ti­ke­rin­nen nicht wir­kungs­los verpuffen. 

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von Gilar­di, Fabri­zio (2015). “The Tem­pora­ry Impor­t­ance of Role Models for Women’s Poli­ti­cal Repre­sen­ta­ti­on”, Ame­ri­can Jour­nal of Poli­ti­cal Sci­ence, 59(4): 957–970.

Eine Visua­li­sie­rung der gefun­de­nen Effek­te fin­det sich hier: “Vom ver­schwin­den­den Domi­no­ef­fekt bei Poli­ti­ke­rin­nen”, poli­tan, 21. Juni 2015. 


Foto: Eli­sa­beth Kopp als Gemein­de­prä­si­den­tin von Zumi­kon (1974 — 1980). Wiki­me­dia Commons.

Lek­to­rat: Oli­via Kühni

Gra­phik & Lay­out: Pas­cal Burkhard

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