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Frauen in der Politik: Vorbilder reichen nicht

Fabrizio Gilardi
9th Februar 2016

Damit mehr Frauen öffentliche Ämter übernehmen, brauche es vor allem Vorbilder, heisst es gerne. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, wie Daten aus der Schweiz zeigen – inzwischen geht es um Grundsätzliches.

Der Vorbildeffekt von Pionierinnen in der Politik wirkt nur eine begrenzte Zeit lang. Wird eine Frau in einer Gemeinde gewählt, kandidieren bei den nächsten Wahlen mehr Frauen – auch in den umliegenden Gemeinden. Allerdings nur, solange noch keine oder fast keine Frauen im Amt sind – danach ebbt diese positive Welle innert weniger Jahre ab.

Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im American Journal of Political Science erschienen ist. Dafür wurden die Wahldaten von 168 Gemeinden des Kantons Zürich von 1970 bis 2010 ausgewertet. Für die ersten Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts lässt sich tatsächlich einen Vorbildeffekt feststellen: Für jede Frau, die es 1970 neu in den Gemeinderat schaffte, stieg die Anzahl der Kandidatinnen bei den nächsten Wahlen an. In der jeweils eigenen Gemeinde um 60 Prozent, in den zwanzig nächsten Nachbargemeinden um zehn Prozent.

Doch in den nachfolgenden Wahlperioden schrumpfte dieser Vorbildeffekt graduell, 1986 verschwand er gar gänzlich. Seither stagniert die Zahl weiblicher Amtsinhaber bei etwa 30 Prozent.

Abbildung:

Karte

Nach den ersten Anfangsjahren sind es nicht mehr individuelle Vorbilder, die über die Repräsentation von Frauen entscheiden, sondern breitere soziale Normen, die der politischen Partizipation von Frauen förderlich sind oder nicht. Mit anderen Worten: danach geht es um Grundsätzlicheres. Einerseits darum, wie viele weibliche Repräsentanten die Bevölkerung als „genug“ ansieht – in der Schweiz offenbar um die 30 Prozent. Andererseits um die Funktionsweise des Systems.

Unterstützung von Parteien

Wissenschaftler haben in den letzten Jahren zahlreiche Faktoren identifiziert, welche die Repräsentation von Frauen in der Politik beeinflussen. Wichtig ist etwa der Zugang zu Ressourcen wie Ausbildung, Zeit und finanzielle Mittel. Eine der bedeutendsten Ursachen für die stagnierende Zahl von Politikerinnen finden zahlreiche Autoren in der niedrigeren Motivation von Frauen, überhaupt zu kandidieren.

Frauen neigen eher als Männer dazu, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen, und sie fürchten sich stärker vor mangelnder Unterstützung im Wahlkampf. Entsprechend spielt die parteiinterne Auswahl und die Unterstützung für Frauen eine besonders entscheidende Rolle.

Ebenfalls von Bedeutung ist das Wahlsystem. In Proporzsystemen mit grossen Wahlkreisen haben Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen bessere Wahlchancen als in Majorzsystemen mit ihren winner-takes-it-all-Effekten.

Wirkung von Quoten verpufft

Meine Untersuchung liefert auch Hinweise für Massnahmen, die auf eine Erhöhung des Frauenanteils in der Politik abzielen könnten. So verpufft der Effekt von Quoten möglicherweise relativ schnell – paradoxerweise gerade dann, wenn sie greifen. Darum ist der Zeitpunkt möglicher Interventionen entscheidend.

Ganz grundsätzlich können Wahlerfolge von Kandidatinnen dazu führen, dass die Repräsentation von Frauen bald als ausreichend wahrgenommen wird und darauf hin stagniert. Eine gleichmässige Vertretung von Frauen und Männern muss darum ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein. Parteien, politische Akteure und Wählerschaft müssen sich gemeinsam dafür einsetzen, dass individuelle Erfolgsgeschichten von Politikerinnen nicht wirkungslos verpuffen. 

Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung von Gilardi, Fabrizio (2015). “The Temporary Importance of Role Models for Women’s Political Representation”, American Journal of Political Science, 59(4): 957-970.

Eine Visualisierung der gefundenen Effekte findet sich hier: “Vom verschwindenden Dominoeffekt bei Politikerinnen”, politan, 21. Juni 2015.  


Foto: Elisabeth Kopp als Gemeindepräsidentin von Zumikon (1974 - 1980). Wikimedia Commons.

Lektorat: Olivia Kühni

Graphik & Layout: Pascal Burkhard