Mehr Möglichkeit zum Mitreden – grössere Demokratiezufriedenheit: Ein Vergleich der Schweizer Kantone

Direk­te, oder prä­zi­ser for­mu­liert halb­di­rek­te Demo­kra­tie ist eine in der Schweiz beson­ders aus­ge­präg­te Form der poli­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on. Es gibt Hin­wei­se dar­auf, dass das Mass an direk­ter Demo­kra­tie und die Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern zusam­men­hän­gen. Die Mög­lich­keit zur direkt­de­mo­kra­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on ist für die Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit wich­ti­ger als die tat­säch­li­che Nut­zung die­ser Instrumente. 

In kei­nem Land der Welt haben die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf der Ebe­ne des Natio­nal­staa­tes der­art aus­ge­bau­te Mög­lich­kei­ten, ganz direkt am poli­ti­schen Gesche­hen teil­zu­neh­men und es zu beein­flus­sen wie in der Schweiz. Auch auf glied­staat­li­cher Ebe­ne – in den Kan­to­nen — gibt es nur weni­ge Staa­ten, die ihrer Bevöl­ke­rung ähn­li­che Mit­spra­che­rech­te bie­ten. Mit ihren 26 Glied­staa­ten, den Kan­to­nen, bie­tet die Schweiz ein her­vor­ra­gen­des Labor, um die Aus­wir­kun­gen der direk­ten Demo­kra­tie auf die Zufrie­den­heit der Bevöl­ke­rung zu untersuchen.

Unbestrittene Vorteile der direkten Demokratie 

Die direk­te Demo­kra­tie ist ein in der Schwei­zer Poli­tik heiss dis­ku­tier­tes und auch etwas glo­ri­fi­zier­tes The­ma. Bis­wei­len wird die direk­te Demo­kra­tie von poli­ti­schen Kräf­ten stark ver­herr­licht. Manch­mal wird auch das Span­nungs­feld an der Schnitt­stel­le zwi­schen Rechts­staat und Demo­kra­tie aus­ge­reizt und auf die Pro­be gestellt. Trotz­dem ist es unbe­strit­ten, dass die­se Form der poli­ti­schen Teil­nah­me zu vor­teil­haf­ten Ergeb­nis­sen für die Bevöl­ke­rung führt. Dies liegt dar­an, dass der poli­ti­schen Eli­te das Ver­fol­gen eige­ner Inter­es­sen erschwert wird. Dadurch, dass die Stimm­bür­ger­schaft zum wich­ti­gen Mit­spie­ler im poli­ti­schen Pro­zess wird müs­sen deren Anlie­gen ernst genom­men werden.

Macht direkte Demokratie zufriedener?

In mei­ner Bache­lor-Arbeit ging ich der Fra­ge nach, ob Men­schen, wel­che in Kan­to­nen mit mehr direk­ter Demo­kra­tie leben, mit der Art und Wei­se wie die Demo­kra­tie funk­tio­niert, zufrie­de­ner sind als Men­schen, die in Kan­to­nen leben mit weni­ger direk­ter, dafür aber mehr reprä­sen­ta­ti­ver Demo­kra­tie. Bei der direk­ten Demo­kra­tie geht es dar­um, dass Bür­ge­rin­nen und Bür­ger bei Sach­fra­gen direkt mit­be­stim­men kön­nen. Je bes­ser sich Bür­ge­rin­nen und Bür­ger mit­tels direkt­de­mo­kra­ti­scher Instru­men­te in den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zess ein­brin­gen kön­nen, umso bes­ser wer­den deren poli­ti­sche Prä­fe­ren­zen von der poli­ti­schen Eli­te berück­sich­tigt. Dies führt zu vor­teil­haf­ten Ergeb­nis­sen für die Bevöl­ke­rung und dies wie­der­um, so die Ver­mu­tung, wirkt sich posi­tiv auf die Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit aus.

Zwei Arten von Partizipationsmöglichkeiten

Zwei Arten direkt­de­mo­kra­ti­scher Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten kön­nen pri­mär unter­schie­den werden:

  • Die for­ma­le Mög­lich­keit zur Teil­nah­me an poli­ti­schen Pro­zes­sen. Dies dient dem Stimm­volk zur Kon­trol­le ihrer poli­ti­schen Elite.

  • Der effek­ti­ve Gebrauch der poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen, z.B. Initia­ti­ve und Refe­ren­dum. Dadurch zei­gen die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ihre poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen den gewähl­ten Poli­ti­ke­rin­nen und Politikern.

Die Kon­trol­le, die das Volk über die Poli­ti­ker aus­übt, hilft in ers­ter Linie, den Poli­ti­kern das Ver­fol­gen ego­is­ti­scher Zie­le und Inter­es­sen zu erschwe­ren. Mit den Infor­ma­tio­nen, wel­che die Stimm­bür­ger­schaft den Eli­ten mit­tels direkt­de­mo­kra­ti­schen Abstim­mun­gen zukom­men lässt, wird sie im poli­ti­schen Gefü­ge zum wich­ti­gen Mit­spie­ler und muss ent­spre­chend ernst genom­men wer­den. Die­se zwei unter­schied­li­chen Mecha­nis­men der Mit­be­stim­mung habe ich anhand der Höhe der insti­tu­tio­nel­len Hür­den zur Ergrei­fung direkt­de­mo­kra­ti­scher Instru­men­te wie Verfassungs‑, Geset­zes­in­tia­ti­ven und Refe­ren­den und dem effek­ti­ven Gebrauch die­ser Instru­men­te – in Form der Anzahl von Abstim­mun­gen – untersucht. 

 

Info­box: Insti­tu­tio­nel­le Hürden

Damit sind die Hür­den gemeint, wel­che ver­langt wer­den, um das ent­spre­chen­de direkt­de­mo­kra­ti­sche Instru­ment – Initia­ti­ve oder Refe­ren­dum — zu ergrei­fen. Dazu gehö­ren die abso­lu­te und rela­ti­ve Anzahl not­wen­di­ger Unter­schrif­ten und die Frist, wel­che für das Sam­meln der Unter­schrif­ten gewährt wird. Beim Finanz­re­fe­ren­dum wird zusätz­lich zu den bereits genann­ten Hür­den noch die Aus­ga­ben­hö­he pro Kopf der Wohn­be­völ­ke­rung, wel­che für das Ergrei­fen des Refe­ren­dums min­des­tens not­wen­dig ist, berücksichtigt.

Grosse Unterschiede zwischen den Landesteilen 

Mei­ne Ana­ly­sen zei­gen, dass die Bevöl­ke­rung von Kan­to­nen mit mehr direk­ter Demo­kra­tie und sol­chen, in denen die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Instru­men­te zur poli­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on häu­fi­ger genutzt wer­den, mit der Demo­kra­tie im Durch­schnitt zufrie­de­ner sind. Geht man etwas mehr ins Detail und kon­trol­liert für ande­re Fak­to­ren, ver­schwin­det ihre sta­tis­ti­sche Signi­fi­kanz allerdings.

Abbildung 1:

Rey

Ins­be­son­de­re der sprach­lich-kul­tu­rel­le Raum spielt eine gros­se Rol­le im Bezug auf die Zufrie­den­heit mit der Demo­kra­tie in der Schweiz. Es ist bekannt, dass die deutsch­spra­chi­gen Kan­to­ne mehr direkt­de­mo­kra­tisch ori­en­tiert sind als die latei­nisch­spra­chi­gen Kan­to­ne, die eher die reprä­sen­ta­ti­ve­re Vari­an­te von Demo­kra­tie pflegen.

Schwierige Ursachenforschung

Die Grün­de die­ser sprach­re­gio­na­len Unter­schie­de sind aller­dings nicht so ein­fach zu eru­ie­ren. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass unter­schied­li­che his­to­ri­sche Ent­wick­lun­gen für die Unter­schie­de zwi­schen deutsch- und latei­nisch­spra­chi­gen Gegen­den ver­ant­wort­lich sind. Es scheint viel wahr­schein­li­cher, dass die vor­han­de­ne Mög­lich­keit zur Nut­zung direkt­de­mo­kra­ti­scher Par­ti­zi­pa­ti­on wich­ti­ger ist als die effek­ti­ve Nut­zung die­ser Institutionen.

Dies war nicht unbe­dingt zu erwar­ten. Es beant­wor­tet aller­dings die Fra­ge, ob die bei­den Mecha­nis­men – Kon­trol­le und Infor­ma­ti­on – unter­schie­den wer­den kön­nen. Der Kon­troll­me­cha­nis­mus soll­te sei­ne Wir­kung, sowohl bei der rein for­ma­len Mög­lich­keit zur direkt­de­mo­kra­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on als auch beim effek­ti­ven Gebrauch, ent­fal­ten. Der Mecha­nis­mus bezüg­lich der Infor­ma­ti­on soll­te aller­dings sei­ne Wir­kung nur über deren effek­ti­ven Gebrauch ent­fal­ten kön­nen. Die Tat­sa­che, dass stär­ke­re – wenn auch nicht signi­fi­kan­te — Effek­te bei den for­mal-insti­tu­tio­nel­len Instru­men­ten gefun­den wur­den, spricht folg­lich dafür, dass der Kon­troll-Mecha­nis­mus die grös­se­re Rol­le spielt als die Information.

Vorhandensein wichtiger als tatsächliche Nutzung

Die Mög­lich­keit zur direkt­de­mo­kra­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on ist also wich­ti­ger, als die tat­säch­li­che Nut­zung die­ser Instru­men­te. Das Vor­han­den­sein poli­ti­scher Ein­fluss­mög­lich­kei­ten zwingt die poli­ti­sche Eli­te dazu, Rück­sicht auf die Anlie­gen der Wäh­ler­schaft zu neh­men. Man könn­te dar­aus die Ver­mu­tung ablei­ten, dass die Instru­men­te also eine indi­rek­te Wir­kung auf den poli­ti­schen Betrieb aus­üben und es in der Fol­ge zu weni­ger fakul­ta­ti­ven Refe­ren­den kommt und ent­spre­chend zu weni­ger Abstim­mun­gen in den jewei­li­gen Kan­to­nen. Die Erkennt­nis aus mei­ner Arbeit ist somit, dass die kon­kre­te Mög­lich­keit, sich an demo­kra­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu betei­li­gen, stär­ke­re Aus­wir­kun­gen auf die Zufrie­den­heit der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hat als die tat­säch­li­che Beteiligung.


Refe­ren­zen: 

  • Rey, Ste­fan (2015). Direk­te Demo­kra­tie und Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit — Ein Ver­gleich der Schwei­zer Kan­to­ne. Bache­lor-Arbeit. Zürich: Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft / Uni­ver­si­tät Zürich. 

  • Stut­zer, Alo­is (1999): Demo­kra­tie­in­di­zes für die Kan­to­ne der Schweiz. Insti­tu­te for Empi­ri­cal Rese­arch in Eco­no­mics. Uni­ver­si­ty of Zurich. 

Foto: Flickr 

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