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Mehr Möglichkeit zum Mitreden – grössere Demokratiezufriedenheit: Ein Vergleich der Schweizer Kantone

Stefan Rey
13th November 2015

Direkte, oder präziser formuliert halbdirekte Demokratie ist eine in der Schweiz besonders ausgeprägte Form der politischen Partizipation. Es gibt Hinweise darauf, dass das Mass an direkter Demokratie und die Demokratiezufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern zusammenhängen. Die Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation ist für die Demokratiezufriedenheit wichtiger als die tatsächliche Nutzung dieser Instrumente. 

In keinem Land der Welt haben die Bürgerinnen und Bürger auf der Ebene des Nationalstaates derart ausgebaute Möglichkeiten, ganz direkt am politischen Geschehen teilzunehmen und es zu beeinflussen wie in der Schweiz. Auch auf gliedstaatlicher Ebene – in den Kantonen - gibt es nur wenige Staaten, die ihrer Bevölkerung ähnliche Mitspracherechte bieten. Mit ihren 26 Gliedstaaten, den Kantonen, bietet die Schweiz ein hervorragendes Labor, um die Auswirkungen der direkten Demokratie auf die Zufriedenheit der Bevölkerung zu untersuchen.

Unbestrittene Vorteile der direkten Demokratie 

Die direkte Demokratie ist ein in der Schweizer Politik heiss diskutiertes und auch etwas glorifiziertes Thema. Bisweilen wird die direkte Demokratie von politischen Kräften stark verherrlicht. Manchmal wird auch das Spannungsfeld an der Schnittstelle zwischen Rechtsstaat und Demokratie ausgereizt und auf die Probe gestellt. Trotzdem ist es unbestritten, dass diese Form der politischen Teilnahme zu vorteilhaften Ergebnissen für die Bevölkerung führt. Dies liegt daran, dass der politischen Elite das Verfolgen eigener Interessen erschwert wird. Dadurch, dass die Stimmbürgerschaft zum wichtigen Mitspieler im politischen Prozess wird müssen deren Anliegen ernst genommen werden.

Macht direkte Demokratie zufriedener?

In meiner Bachelor-Arbeit ging ich der Frage nach, ob Menschen, welche in Kantonen mit mehr direkter Demokratie leben, mit der Art und Weise wie die Demokratie funktioniert, zufriedener sind als Menschen, die in Kantonen leben mit weniger direkter, dafür aber mehr repräsentativer Demokratie. Bei der direkten Demokratie geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger bei Sachfragen direkt mitbestimmen können. Je besser sich Bürgerinnen und Bürger mittels direktdemokratischer Instrumente in den politischen Entscheidungsprozess einbringen können, umso besser werden deren politische Präferenzen von der politischen Elite berücksichtigt. Dies führt zu vorteilhaften Ergebnissen für die Bevölkerung und dies wiederum, so die Vermutung, wirkt sich positiv auf die Demokratiezufriedenheit aus.

Zwei Arten von Partizipationsmöglichkeiten

Zwei Arten direktdemokratischer Partizipationsmöglichkeiten können primär unterschieden werden:

  • Die formale Möglichkeit zur Teilnahme an politischen Prozessen. Dies dient dem Stimmvolk zur Kontrolle ihrer politischen Elite.

  • Der effektive Gebrauch der politischen Institutionen, z.B. Initiative und Referendum. Dadurch zeigen die Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Präferenzen den gewählten Politikerinnen und Politikern.

Die Kontrolle, die das Volk über die Politiker ausübt, hilft in erster Linie, den Politikern das Verfolgen egoistischer Ziele und Interessen zu erschweren. Mit den Informationen, welche die Stimmbürgerschaft den Eliten mittels direktdemokratischen Abstimmungen zukommen lässt, wird sie im politischen Gefüge zum wichtigen Mitspieler und muss entsprechend ernst genommen werden. Diese zwei unterschiedlichen Mechanismen der Mitbestimmung habe ich anhand der Höhe der institutionellen Hürden zur Ergreifung direktdemokratischer Instrumente wie Verfassungs-, Gesetzesintiativen und Referenden und dem effektiven Gebrauch dieser Instrumente – in Form der Anzahl von Abstimmungen – untersucht. 

 

Infobox: Institutionelle Hürden

Damit sind die Hürden gemeint, welche verlangt werden, um das entsprechende direktdemokratische Instrument – Initiative oder Referendum - zu ergreifen. Dazu gehören die absolute und relative Anzahl notwendiger Unterschriften und die Frist, welche für das Sammeln der Unterschriften gewährt wird. Beim Finanzreferendum wird zusätzlich zu den bereits genannten Hürden noch die Ausgabenhöhe pro Kopf der Wohnbevölkerung, welche für das Ergreifen des Referendums mindestens notwendig ist, berücksichtigt.

Grosse Unterschiede zwischen den Landesteilen 

Meine Analysen zeigen, dass die Bevölkerung von Kantonen mit mehr direkter Demokratie und solchen, in denen die zur Verfügung stehenden Instrumente zur politischen Partizipation häufiger genutzt werden, mit der Demokratie im Durchschnitt zufriedener sind. Geht man etwas mehr ins Detail und kontrolliert für andere Faktoren, verschwindet ihre statistische Signifikanz allerdings.

Abbildung 1:

Rey

Insbesondere der sprachlich-kulturelle Raum spielt eine grosse Rolle im Bezug auf die Zufriedenheit mit der Demokratie in der Schweiz. Es ist bekannt, dass die deutschsprachigen Kantone mehr direktdemokratisch orientiert sind als die lateinischsprachigen Kantone, die eher die repräsentativere Variante von Demokratie pflegen.

Schwierige Ursachenforschung

Die Gründe dieser sprachregionalen Unterschiede sind allerdings nicht so einfach zu eruieren. Es ist davon auszugehen, dass unterschiedliche historische Entwicklungen für die Unterschiede zwischen deutsch- und lateinischsprachigen Gegenden verantwortlich sind. Es scheint viel wahrscheinlicher, dass die vorhandene Möglichkeit zur Nutzung direktdemokratischer Partizipation wichtiger ist als die effektive Nutzung dieser Institutionen.

Dies war nicht unbedingt zu erwarten. Es beantwortet allerdings die Frage, ob die beiden Mechanismen – Kontrolle und Information – unterschieden werden können. Der Kontrollmechanismus sollte seine Wirkung, sowohl bei der rein formalen Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation als auch beim effektiven Gebrauch, entfalten. Der Mechanismus bezüglich der Information sollte allerdings seine Wirkung nur über deren effektiven Gebrauch entfalten können. Die Tatsache, dass stärkere – wenn auch nicht signifikante - Effekte bei den formal-institutionellen Instrumenten gefunden wurden, spricht folglich dafür, dass der Kontroll-Mechanismus die grössere Rolle spielt als die Information.

Vorhandensein wichtiger als tatsächliche Nutzung

Die Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation ist also wichtiger, als die tatsächliche Nutzung dieser Instrumente. Das Vorhandensein politischer Einflussmöglichkeiten zwingt die politische Elite dazu, Rücksicht auf die Anliegen der Wählerschaft zu nehmen. Man könnte daraus die Vermutung ableiten, dass die Instrumente also eine indirekte Wirkung auf den politischen Betrieb ausüben und es in der Folge zu weniger fakultativen Referenden kommt und entsprechend zu weniger Abstimmungen in den jeweiligen Kantonen. Die Erkenntnis aus meiner Arbeit ist somit, dass die konkrete Möglichkeit, sich an demokratischen Entscheidungen zu beteiligen, stärkere Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger hat als die tatsächliche Beteiligung.


Referenzen: 

  • Rey, Stefan (2015). Direkte Demokratie und Demokratiezufriedenheit - Ein Vergleich der Schweizer Kantone. Bachelor-Arbeit. Zürich: Institut für Politikwissenschaft / Universität Zürich. 

  • Stutzer, Alois (1999): Demokratieindizes für die Kantone der Schweiz. Institute for Empirical Research in Economics. University of Zurich. 

Foto: Flickr