Wieso es die SVP nicht in den Ständerat schafft

Aus dem Sturm auf’s Stöckli wurde wieder nichts. Die SVP-Vertretung ist im Ständerat mit fünf Sitzen gleich gross wie vor vier Jahren. Ihre Kandidaten, egal ob prominent oder gemässigt, sind für viele Wählerinnen und Wähler keine Option. 

Auch die letzten beiden Wahlkämpfe hat die SVP verloren. Die FDP holte gestern sowohl im Aargau wie in Zürich die noch zu vergebenden Ständeratssitze. Während die Volkspartei ihre Vertretung im Nationalrat 2015 deutlich ausbauen konnte, gelang ihr dies für den Ständerat nicht.

Die SVP ist in allen Deutschschweizer Proporzkantonen mit Ausnahme von Basel-Stadt zur wählerstärksten Partei geworden. In den meisten Kantonen tritt sie mittlerweile auch zu den Ständeratswahlen an. Doch die Liste der bekannten, aber erfolglosen Ständeratskandidaten ist lang: Adrian Amstutz, Christoph Blocher, Toni Brunner, Oskar Freysinger, Ulrich Giezendanner, Ueli Maurer und Jean-François Rime waren alle mindestens einmal nominiert, gewählt wurde keiner.

Abbildung 1

Sitzverteilung

Ständerat von Mitteparteien dominiert

Ständeräte werden durch Majorzwahlen bestimmt – ausser im Kanton Jura und im Kanton Neuenburg. Dieser Umstand führte dazu, dass die Mitte des politischen Spektrums, bestehend aus der CVP und der FDP, im Ständerat lange Zeit tonangebend war. In den 1970er und 80er Jahren waren die Liberalen und der LdU im Ständerat vertreten, seit 2007 gewannen die Parteien der sogenannten neuen Mitte GLP und BDP einige Sitze. Die SP konnte ihre Vertretung im Ständerat über die letzten zwanzig Jahre deutlich ausbauen (Abbildung 1).

Auch die SVP-Vertretung im Ständerat stieg zu Beginn der Polarisierung des Parteiensystems in der Schweiz an, bei den Wahlen 1999 und 2003 gewann die Partei Sitze hinzu. Doch statt wie im Nationalrat noch mehr zuzulegen, hat es mit dem angekündigten Sturm auf’s Stöckli nicht geklappt. Die SVP ist im Verhältnis zu ihrer Wählerstärke die am schwächsten repräsentierte Partei im Ständerat.

Es gibt mehrere Erklärungen, weshalb die SVP im Ständerat schwach vertreten ist. Manche Erklärungen zielen auf die Strategien der Parteien, andere auf das Verhalten der Wählerschaft.

Absprachen unter den Mitteparteien

Früher gingen Mitteparteien häufig Koalitionen ein und unterstützten sich gegenseitig. Dadurch gewannen sie in vielen Kantonen gleiche beide Sitze (Linder 2005). Zudem trat die SVP nur in wenigen Kantonen überhaupt zur Wahl an.

Die Parteien des linken Spektrums, die in keinem Kanton über eine solide Mehrheit verfügen, gewinnen bei Ständeratswahlen vor allem dann einen Sitz , wenn sich die bürgerlichen Parteien über ihre Kandidierenden uneinig sind (Lutz und Selb 2006). Die SP gewinnt zudem überdurchschnittlich oft, wenn sie im zweiten Wahlgang gegen die SVP antritt.

Beispielsweise waren sich in den Kantonen Waadt und Genf die Bürgerlichen im Vorfeld der Wahlen 2007 und 2011 uneinig und konnten sich nicht auf eine chancenreiche gemeinsame Kandidatur einigen. Die Folge davon war, dass die SP und die Grünen je einen Sitz gewannen. In Neuchâtel, wo die Linke 2003 beide Sitze gewinnen konnte, traten die bürgerlichen Parteien 2007 wieder mit einer gemeinsamen Kandidatur an und eroberten den Sitz zu Lasten eines bisherigen SP-Ständerats zurück. Ähnlich erging es den Grünen 2015 in der Waadt.

 Wähler wählen gerne die FDP in den Ständerat

Auf dem Ständeratswahlzettel hat es zwei Linien. Die Wählerinnen und Wähler schreiben in der Regel auf die erste Linie den Namen des Ständeratskandidaten oder der Ständeratskandidatin der gleichen Partei, die sie auch für den Nationalrat unterstützt haben.

Auf die zweite Linie setzten die Wähler lange Zeit überdurchschnittlich oft den Namen der Kandidatur der FDP, sofern diese nicht schon auf der ersten Linie steht. Wählende, die für den Nationalrat die FDP-Liste verwenden, wählen ebenfalls die FDP-Kandidatur für den Ständerat. Die „zweite Stimme“ wird dann aber auf die Kandidaturen aus der CVP, der SP oder der SVP verteilt. Ein Umstand, der sich vor allem für die SVP als nachteilig erweist. Denn ihre Wähler unterstützen zwar ebenfalls häufig FDP-Ständeratskandidaturen, können aber nicht in gleich vielen Fällen auf Gegenseitigkeit zählen, wie eine empirische Auswertung von Lachat (2006) zeigte. Für den zweiten Wahlgang gilt dies ebenfalls.

Die SP gewinnt mit gemässigten Kandidaten

Der SP erging es lange ähnlich: Wählerinnen und Wähler der SP setzten in vielen Kantonen häufig eine FDP-Kandidatur auf die zweite Linie, aber eine SP-Ständeratskandidatur bekam proportional weniger Unterstützung aus den Reihen der FDP bzw. anderen Mitteparteien (Lachat 2006). Dies dürfte sich in den letzten beiden Wahlgängen geändert haben. Dies, weil viele der SP-Ständeratskandidaten ein deutlich gemässigteres politisches Profil aufweisen als die Sozialdemokratische Partei, beispielsweise die Aargauerin Pascale Bruderer oder der neugewählte Zürcher Daniel Jositsch. Dadurch werden SP-Kandidierende auch für die Mitte wählbar.

Wähler sind Strategen

Wähler entscheiden aber nicht nur nach parteipolitischen Präferenzen, sondern machen sich auch Gedanken zu den Wahlchancen der Kandidierenden. Kommen Wähler zum Schluss, dass der eigentlich bevorzugte Kandidat keine realistischen Wahlchancen hat, entscheiden sie sich oft für die Unterstützung einer chancenreicheren Kandidatur aus einer Partei, die ihnen politisch vielleicht nicht am nächsten steht, mit der sie sich aber arrangieren können.

Die Häufigkeit des strategischen Wählens wird von den Kräfteverhältnissen der Parteien in den einzelnen Kantonen beeinflusst sowie von den Absprachen unter den Parteien (Kriesi 2003). Vom strategischen Wählerverhalten profitieren vor allem Mittepolitiker, aber auch Kandidierende aus Polparteien, die ein gemässigtes Profil haben.

Erfolgsquote der SVP ging deutlich zurück

Früher traten wenige Kandidierende mit guten Wahlchancen zu den Ständeratswahlen an. Mittlerweile stellt vor allem in den grösseren Kantonen fast jede Partei jemanden auf. Die Erfolgsquoten sind dadurch für die meisten Parteien gesunken, aber nicht für alle im gleichen Ausmass (Abbildung 2).

Die Wahlquoten der CVP und der FDP, die lange dominierenden Kräfte im Ständerat, gingen über die Zeit zurück. Ihre Kandidierenden werden sowohl von links wie rechts und der neuen Mitte bedrängt. Die Wahlquote der SP-Ständeratskandidaten stieg über die Zeit hingegen an. Dies kann zum einen auf die Nomination von SP-Politikerinnen und Politikern, deren Profil mehr zur Mitte tendiert, zurückgeführt werden. Zum anderen gewann die SP auch einige Ständeratssitze, wenn sie (häufig im zweiten Wahlgang) einem SVP-Herausforderer gegenüberstand. Beispielsweise 2007 in Basel Landschaft, 2011 in St.Gallen oder 2015 in Solothurn.

Die SVP konnte seit 1971 erst in acht Kantonen überhaupt einen Ständerat stellen. Und zwar vorwiegend in den Kantonen, in denen die Partei schon vor dem schweizweiten Aufstieg eine wichtige Kraft war. Mittlerweile bestreitet sie in den meisten Kantonen einen häufig erfolglosen Ständeratswahlkampf. Dadurch ist ihre Erfolgsquote stark gesunken.

Abbildung 2

Wahlquote

 Die SVP ist keine Mehrheitspartei

Die Mehrheit der Wählerschaft unterstützt die SVP nicht. Dies wird in Majorzwahlen deutlich. Die profiliertesten Köpfe der SVP sind in der Regel Hardliner, deren Beliebtheitsgrad nicht mit ihrem Bekanntheitsgrad deckungsgleich ist. Das macht sie für bürgerliche Wählerinnen und Wähler nicht wählbar. Auf die Unterstützung anderer Kreise kann die Partei ohnehin nicht zählen. Und die gemässigten SVP-Politiker sind ausserhalb der Partei zu wenig bekannt bzw. parteiintern weniger geschätzt, was eine Nomination als Ständeratskandidat häufig verhindert.

INFOBOX: Ständeratswahlen sind anders

Die Ständeräte wurden früher in der Regel durch die kantonalen Parlamente oder Regierungen eingesetzt. Erst in den 1960er und 1970er Jahren führten die letzten Kantone auch für den Ständerat eine Volkswahl ein. Allgemein ist über Ständeratswahlen weniger bekannt als über Nationalratswahlen. Ständeratswahlen sind kantonal geregelt, was zur Folge hat, dass es eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen gibt, die allgemeine Aussagen erschweren.

 1. Wahlsystem

Ständeräte werden – ausser im Jura und in Neuchâtel seit 2011 – durch Majorzwahlen bestimmt. Um in einem Mehrheitswahlsystem zu bestehen, spielt die Persönlichkeit des einzelnen Kandidaten eine wesentlich wichtigere Rolle als im Proporzsystem. Die Kandidierenden müssen einen grösseren Anteil der Wählerstimmen auf sich vereinen als Angehörige des Nationalrats. Auch verhalten sich Wähler in Majorzsystemen anders. Nicht nur die Parteipräferenzen spielen für den Wahlentscheid eine Rolle, sondern auch strategische Überlegungen.

2. Sitzzahl

Zwanzig der sechsundzwanzig Kantone schicken zwei Personen nach Bern, die ehemaligen Halbkantone Nidwalden, Obwalden, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden sowie Basel Stadt und Landschaft je einen.

3. Unterschiedliches Elektorat

Da das Elektorat aus den Stimmberechtigten auf kantonaler Ebene besteht, können sich in den Kantonen Neuchâtel und Jura auch niedergelassene ausländische Staatsangehörige an den Ständeratswahlen beteiligen, da sie in diesen Kantonen das aktive Wahlrecht auf Kantons- und Gemeindeebene besitzen. Bis in die 1990er Jahre wurden die Standesvertreter in einigen Kantonen der Inner- und Ostschweiz per Landsgemeinde bestimmt, aktuell wird nur noch der Ständerat des Kantons Appenzell Innerrhoden ohne Urnenwahlgang gewählt. Da der Kanton Glarus an der Landsgemeinde 2007 Stimmrechtsalter 16 für kantonale Angelegenheiten beschlossen hat, können junge Glarnerinnen und Glarner, die über das aktive Wahlrecht verfügen, ebenfalls an den Ständeratswahlen teilnehmen.


Referenzen: 

  • Kriesi, Hanspeter (2003). Wahlentscheide bei den Ständeratswahlen, in: Pascal Sciarini, Sibylle Hardmeier und Adrian Vatter (Hrsg.). Schweizer Wahlen 1999. Bern: Haupt.

  • Lachat, Romain (2006). A Tale of Two Councils: Explaining the Weakness of the SVP in the Upper House of the Federal Parliament. Swiss Political Science Review 12(4).

  • Lachat, Romain und Sarah Bütikofer (2007). Swiss Council of States elections – Candidate-level dataset, 1967-2003. Datensatz.

  • Linder, Wolf (2005). Schweizer Demokratie. Institutionen, Prozesse, Perspektiven. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bern: Haupt.

  • Lutz, Georg und Peter Selb (2006). “Die nationalen Wahlen in der Schweiz”, in: Ulrich Klöti et al. (Hrsg.). Handbuch der Schweizer Politik. Zürich: Verlag Neue Züricher Zeitung, 427–457.

  • Smartvote. Kandidierende Ständeratswahlen 2007, 2015 (Datensätze).

Foto: Ständeratssaal, www.parlament.ch

image_pdfimage_print