Wie Lobbying Wählerinteressen stärken kann

Nicht immer hilft Lob­by­ing nur Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen. Der Ein­fluss man­cher Inter­es­sen­grup­pen kann im Gegen­teil dafür sor­gen, dass Par­la­men­ta­ri­er die Anlie­gen der Mehr­heit bes­ser ver­tre­ten. Das zei­gen die Aus­wer­tung zwei­er For­sche­rin­nen. 

Schwei­zer Par­la­men­ta­ri­er, deren Par­tei mit bestimm­ten Lob­by­grup­pen eng ver­bun­den ist, stim­men in Sach­fra­gen häu­fi­ger gleich wie die Bevöl­ke­rung in ihrem Hei­mat­kan­ton als unab­hän­gi­ge­re Kol­le­gen. Ihre Ver­bin­dung zu den Inter­es­sen­grup­pen sorgt offen­bar nicht dafür, dass sie sich von ihrer Wäh­ler­schaft ent­fer­nen – im Gegen­teil. Zu die­sem Schluss kommt eine Stu­die von Natha­lie Giger von der Uni­ver­si­tät Genf und Hei­ke Klü­ver von der Uni­ver­si­tät Hamburg. 

Die For­sche­rin­nen haben dazu das Abstim­mungs­ver­hal­ten von 448 Par­la­men­ta­ri­ern in ins­ge­samt 118 Sach­fra­gen mit den Ergeb­nis­sen von Volks­ab­stim­mun­gen zu den­sel­ben The­men ver­gli­chen und auf Abwei­chun­gen unter­sucht. Dar­un­ter waren etwa das neue Asyl- und Aus­län­der­recht oder die Mut­ter­schafts­ver­si­che­rung. Die welt­weit ein­zig­ar­ti­ge Situa­ti­on der Schweiz, in der sowohl die Bevöl­ke­rung als auch das Par­la­ment über die glei­chen Sach­fra­gen abstim­men kön­nen, macht einen sol­chen Ver­gleich möglich. 

Zwei Arten von Lobbying

In der öffent­li­chen Debat­te wird oft ange­nom­men, dass Lob­by­ing in jedem Fall die Bür­ger­nä­he von Par­la­men­ta­ri­ern und die Reprä­sen­ta­ti­on der Wäh­ler­schaft im Par­la­ment unter­gräbt. Wie die Stu­die zeigt, gilt dies jedoch nur für soge­nann­te sek­tio­na­le Grup­pen (sie­he Infobox).

INFOBOX
  • Sek­tio­na­le Grup­pen (engl. sec­tio­n­al groups) sind Lob­by­is­ten, die (länder)spezifische, oft öko­no­mi­sche Inter­es­sen ver­tre­ten. Bei­spiel dafür sind der Bau­ern­ver­band oder Economiesuisse.

  • Ziel­ori­en­tier­te Grup­pen (engl. cau­se groups) set­zen sich für all­ge­mei­ne­re, über­ge­ord­ne­te Anlie­gen wie den Umwelt­schutz oder Men­schen­rech­te ein. Zwei bekann­te Bei­spie­le sind Amnes­ty Inter­na­tio­nal und Greenpeace. 

Zielorientierte Gruppen stärken die Repräsentation

Par­la­men­ta­ri­er von Par­tei­en mit star­ken Ver­bin­dun­gen zu soge­nann­ten sek­tio­na­len Grup­pen fäl­len in der Hälf­te der Fäl­le ande­re Ent­schei­de als die Wäh­ler­ba­sis. In Par­tei­en ohne sol­che Ver­bin­dun­gen beträgt die­se Wahr­schein­lich­keit weni­ger als 30 Pro­zent. Die­ses Ergeb­nis erklä­ren die For­sche­rin­nen damit, dass sek­tio­na­le Grup­pen typi­scher­wei­se die Inter­es­sen einer klei­nen gesell­schaft­li­chen Grup­pe ver­fol­gen. Geht ein Par­la­men­ta­ri­er auf die Inter­es­sen einer sek­tio­na­len Grup­pe ein, muss er in vie­len Fäl­len gegen die Mehr­heit sei­ner Wäh­ler­schaft stimmen.

  Sektionale Gruppen

Genau umge­kehrt ist die Situa­ti­on im Fal­le von inten­si­ven Kon­tak­ten zu ziel­ori­en­tier­ten Grup­pen: Par­la­men­ta­ri­er von Par­tei­en ohne sol­che Kon­tak­te wei­chen mit einer Wahr­schein­lich­keit von knapp 40 Pro­zent von Bür­ger­ent­schei­den ab, mit sol­chen Kon­tak­ten sinkt die Wahr­schein­lich­keit auf weni­ger als 20 Pro­zent. Die­se Art von Lob­by­ing kann also dafür sor­gen, dass Par­la­men­ta­ri­er die Bevöl­ke­rung nicht schlech­ter, son­dern bes­ser vertreten. 

  Zielorientierte Gruppen  

 
Lobbykönigin FDP

Die meis­ten Kon­tak­te zu Inter­es­sen­grup­pen pflegt die Bun­des­haus­frak­ti­on der FDP: Ins­ge­samt 225 ver­schie­de­ne Inter­es­sen­grup­pen waren es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren durch­schnitt­lich. Die zweit­meis­ten Kon­tak­te weist die SVP auf, gefolgt von der SP und der CVP

Durchschnittliche Anzahl Kontakte zu Lobbyisten pro Bundeshausfraktion

Quel­le: Giger/Klüver 2015

Wird zwi­schen sek­tio­na­len Grup­pen und ziel­ori­en­tier­ten Grup­pen unter­schie­den, ergibt sich ein dif­fe­ren­zier­te­res Bild: Die FDP ist bei sek­tio­na­len Grup­pen mit 161 Kon­tak­ten zwar nach wie vor Spit­zen­rei­te­rin. Bei ziel­ori­en­tier­ten Grup­pen führt hin­ge­gen die Bun­des­haus­frak­ti­on der SP die Lis­te mit 83 Kon­tak­ten an.


Refe­ren­zen:

Foto: Par­la­ments­diens­te 3003 Bern, parlament.ch 

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