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Wie Lobbying Wählerinteressen stärken kann

Pascal Burkhard
5th Oktober 2015

Nicht immer hilft Lobbying nur Partikularinteressen. Der Einfluss mancher Interessengruppen kann im Gegenteil dafür sorgen, dass Parlamentarier die Anliegen der Mehrheit besser vertreten. Das zeigen die Auswertung zweier Forscherinnen. 

Schweizer Parlamentarier, deren Partei mit bestimmten Lobbygruppen eng verbunden ist, stimmen in Sachfragen häufiger gleich wie die Bevölkerung in ihrem Heimatkanton als unabhängigere Kollegen. Ihre Verbindung zu den Interessengruppen sorgt offenbar nicht dafür, dass sie sich von ihrer Wählerschaft entfernen – im Gegenteil. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Nathalie Giger von der Universität Genf und Heike Klüver von der Universität Hamburg.  

Die Forscherinnen haben dazu das Abstimmungsverhalten von 448 Parlamentariern in insgesamt 118 Sachfragen mit den Ergebnissen von Volksabstimmungen zu denselben Themen verglichen und auf Abweichungen untersucht. Darunter waren etwa das neue Asyl- und Ausländerrecht oder die Mutterschaftsversicherung. Die weltweit einzigartige Situation der Schweiz, in der sowohl die Bevölkerung als auch das Parlament über die gleichen Sachfragen abstimmen können, macht einen solchen Vergleich möglich.  

Zwei Arten von Lobbying

In der öffentlichen Debatte wird oft angenommen, dass Lobbying in jedem Fall die Bürgernähe von Parlamentariern und die Repräsentation der Wählerschaft im Parlament untergräbt. Wie die Studie zeigt, gilt dies jedoch nur für sogenannte sektionale Gruppen (siehe Infobox).

INFOBOX

  • Sektionale Gruppen (engl. sectional groups) sind Lobbyisten, die (länder)spezifische, oft ökonomische Interessen vertreten. Beispiel dafür sind der Bauernverband oder Economiesuisse.

  • Zielorientierte Gruppen (engl. cause groups) setzen sich für allgemeinere, übergeordnete Anliegen wie den Umweltschutz oder Menschenrechte ein. Zwei bekannte Beispiele sind Amnesty International und Greenpeace.  

Zielorientierte Gruppen stärken die Repräsentation

Parlamentarier von Parteien mit starken Verbindungen zu sogenannten sektionalen Gruppen fällen in der Hälfte der Fälle andere Entscheide als die Wählerbasis. In Parteien ohne solche Verbindungen beträgt diese Wahrscheinlichkeit weniger als 30 Prozent. Dieses Ergebnis erklären die Forscherinnen damit, dass sektionale Gruppen typischerweise die Interessen einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe verfolgen. Geht ein Parlamentarier auf die Interessen einer sektionalen Gruppe ein, muss er in vielen Fällen gegen die Mehrheit seiner Wählerschaft stimmen.

  Sektionale Gruppen

Genau umgekehrt ist die Situation im Falle von intensiven Kontakten zu zielorientierten Gruppen: Parlamentarier von Parteien ohne solche Kontakte weichen mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 40 Prozent von Bürgerentscheiden ab, mit solchen Kontakten sinkt die Wahrscheinlichkeit auf weniger als 20 Prozent. Diese Art von Lobbying kann also dafür sorgen, dass Parlamentarier die Bevölkerung nicht schlechter, sondern besser vertreten. 

  Zielorientierte Gruppen  

 
Lobbykönigin FDP

Die meisten Kontakte zu Interessengruppen pflegt die Bundeshausfraktion der FDP: Insgesamt 225 verschiedene Interessengruppen waren es in den vergangenen Jahren durchschnittlich. Die zweitmeisten Kontakte weist die SVP auf, gefolgt von der SP und der CVP.  

Durchschnittliche Anzahl Kontakte zu Lobbyisten pro Bundeshausfraktion

Quelle: Giger/Klüver 2015

Wird zwischen sektionalen Gruppen und zielorientierten Gruppen unterschieden, ergibt sich ein differenzierteres Bild: Die FDP ist bei sektionalen Gruppen mit 161 Kontakten zwar nach wie vor Spitzenreiterin. Bei zielorientierten Gruppen führt hingegen die Bundeshausfraktion der SP die Liste mit 83 Kontakten an.


Referenzen:

Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern, parlament.ch